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Wie sozial ist der Sozialbereich?

  • Mittwoch, 23. Januar 2013 @ 16:14
Meinung Von Christian Seidl

Für die Medien sind Einsparungen Sozialbereich ein gefundenes Fressen. Das Land Steiermark verkündet alljährlich, meist zur gleichen Zeit im Oktober/November, dass es zu Kürzungen diverser Leistungen kommen wird. Schnell wird, zum Glück, protestiert. Soziallandesrat Siegfried Schrittwieser versucht mit seiner volksnahen Art gute Miene zum bösen Spiel zu machen und ist um keine Ausrede verlegen. Auch die Vertreter führender steirischer Trägerorganisationen dürfen zu Wort kommen und ihr Leid klagen. Was aber nicht in diesem Schmierentheater vorkommt, ist die Perspektive der Betroffenen. Weder werden die Menschen, die betreut werden, gehört, noch die Mitarbeiter, die diese betreuen.

Als „betroffener“ Betreuer bekam und bekomme ich die konkreten Auswirkungen diverser Sparpakete immer wieder vor Augen geführt. Denn wenn gespart wird, bedeutet dies ja nicht nur für den Kunden bzw. Klienten, z.B. ein Mensch mit einer geistigen Beeinträchtigung, dass er eine Leistung nur mehr in eingeschränkter Form bekommen wird – oder gar nicht. Sondern auch für denjenigen der ihn betreut, dass dieser um seine Arbeitsstelle zittern muss. Ein weiterer Punkt, der eine große Unsicherheit auslöst, sind die Gesetzte und Vorschriften welche der Geldgeber, in diesem Fall das Land Steiermark, unter dem Deckmantel der Qualität erlässt.

Mit jeder Gesetzesänderung werden immer wieder neue Regulative betreffend der Berufsausbildung, oft sehr willkürlich, vorgeschrieben. Oder es wird von heute auf morgen gesagt: „du musst diese oder jene Aufschulung machen, oder wir entziehen dir den Berufstitel“. Oder man muss komplett eine neue Ausbildung beginnen.

Um dies nicht falsch zu verstehen: gegen Wissen und Weiterbildung hat niemand etwas. Meist ist dies aber in der praktischen Arbeit nicht umzusetzen.

Wie soll eine 50-jährige Frau, die vor 20 Jahren im Sozialbereich begonnen hat, 38. bzw. 40 Stunden pro Woche arbeitet, ein Familie hat, auf das Einkommen aus dem Beruf angewiesen ist, noch die Energie dazu aufbringen sich zwei Mal pro Woche neben dem Job auf die „Schulbank“ zu setzen, Praktika absolvieren, Lernen, Seminarbeiten schreiben?

Oft gar nicht, auch weil es von Seiten der Firma in der diese Menschen beschäftigt sind, wenig Entgegenkommen gibt. Dann muss die Dame in diesem Beispiel ihren Beruf aufgeben, da sie, weil die Bildung nicht passt, gekündigt werden „muss“.

Oder wie auch ein aktuelles Beispiel in der mobilen Betreuung für Menschen mit geistiger Behinderung zeigt: Das Land kontrolliert eine Einrichtung, sagt welche Mitarbeiter die falsche Ausbildung haben und schreibt dem Unternehmen vor, diese binnen einem Monat zu „entfernen“.

Was die Frage aufwirft, mit welchem Bewusstsein die „Qualitätskontrolleure“ des Landes Steiermark an die Sache herangehen. Werden hier bewusst Existenzängste geschürt? Fakt ist, dass jemand seinen Job verliert und vor dem Nichts steht.

Keine Berücksichtigung findet auch die Rolle der Kunden bzw. Klienten. Gerade in der mobilen Betreuung stellt man für diese Menschen einen wichtigen Bezugspunkt dar.

Über fünf bis zehn Jahre begleitet man einen Menschen durch alle Lebenslagen, plant mit diesem die weiteren Schritte im Leben, welche man gemeinsam bewältigen wird. Und dann soll man von einem Tag auf den Anderen erklären, dass man weg ist. Hier bricht, wie ich selbst oft miterlebt habe, für beide Seiten eine Welt zusammen. Und niemand gibt diesen Menschen, die betreut werden die Chance ihrem Ärger Luft zu machen.

Folgende und ähnliche, mit tiefem Entsetzten ausgesprochene Aussagen habe ich von Seiten meiner Kunden dann zu hören bekommen: „Es hat bei uns immer gepasst, ich verstehe nicht, warum das Land sagt, ihr seid schlecht. Warum nimmt man euch uns weg?“ Ist dem Land Steiermark ein Arbeitsloser und ein emotional verletzter Mensch egal?

Mag. Christian Seidl ist Betriebsrat bei der Lebenshilfe, Behindertenbetreuer, Soziologe und Student an des Studienzweiges Soziale Arbeit-Sozialmanagement in Graz