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Wie in feudalen Zeiten

  • Mittwoch, 2. Juli 2014 @ 12:03
Meinung Leo Furtlehner über Vermögenskonzentration und Macht

Die Lobeshymnen sind zahlreich. Als „echten Gezeitenwechsel“ sieht es der Starökonom Paul Krugman, als „ein sehr wichtiges Buch“ der britische Ökonom Stephen Jenkins. Der „Guardian“ sieht den Autor als Kontrapunkt zu Milton Friedman, dem Papst des Neoliberalismus. Die Rede ist von „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des französischen Wirtschaftswissenschafters Thomas Piketty. Die darin gezogenen Schlussfolgerungen sind in Hinblick auf Karl Marx und dessen „Kapital“ nicht wirklich neu, aber in der neoliberal versuchten politischen Ökonomie der letzten Jahrzehnte sicher ein Lichtblick.

Trend zur Vermögenskonzentration

Piketty verknüpft in seinem „Kapital“ seine früheren Forschungen zur Einkommens- und Vermögensverteilung mit einer Theorie des Kapitalismus. Seine wesentliche Erkenntnis lautet, dass ein unregulierter Kapitalismus unweigerlich zu einer steigenden Vermögenskonzentration und einem Wachstum der Kluft zwischen Arm und Reich führt, dies wiederum zu stagnierender Wirtschaft und dies wiederum zu einer Bedrohung der Demokratie. Das ist freilich nicht revolutionär, sondern kann als Fingerzeig für die Herrschenden interpretiert werden, sich im Interesse ihrer eigenen Existenzerhaltung zu mäßigen.

Die These des Autors ist, dass dieser Trend zur Vermögenskonzentration immer dann eintritt, wenn die Kapitaleinkünfte größer sind als das Wirtschaftswachstum. Der Abbau der Vermögenskonzentration und eine Entwicklung, die auch der breiten Masse einen höheren Anteil am Kuchen zubilligte, war in den letzten hundert Jahren allerdings weniger vom Wohlwollen der Herrschenden abhängig, als vom Erstarken der Arbeiter_innenbewegung und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Gegenmacht in Form des Realsozialismus, der allerdings 1989/91 an seinen eigenen Unzulänglichkeiten und stalinistischen Deformationen gescheitert ist.

Vermögenssteuer gefordert

Piketty hat die Steuerdaten von 30 Ländern ausgewertet. Seine Feststellung ist, dass die Ungleichheit in all diesen Ländern gestiegen ist, besonders stark in Ländern wie den USA ohne ein ausgeprägtes Sozialsystem, wie es etwa in Deutschland oder Österreich existiert. Daraus leitet der Autor die Forderung nach höheren Steuern auf hohe Einkommen und eine progressive Vermögenssteuer ab, Vorschläge die den Apologeten des Reichtums hierzulande so gar nicht gefallen werden.

Dazu passt auch, dass laut OECD die Spitzensteuersätze in den Industriestaaten von 66 Prozent Anfang der 1980er Jahre auf 51 Prozent im Jahre 1990 und 41 Prozent im Jahre 2008 gesunken sind. Analog sind die durchschnittlichen Einkommensteuersätze von 47 auf 25 Prozent und die Besteuerung der Dividenden von 75 auf 42 Prozent gesunken.

Daraus resultiert, dass etwa in den USA das reichste Prozent der Bevölkerung seinen Anteil an den Einkommen von 1980 bis 2012 auf 20 Prozent verdoppeln konnte und sogar in Ländern mit hohem Sozialstandard wie Norwegen, Schweden und Finnland um 70 Prozent auf acht Prozent gestiegen ist. Der Einkommensbestandteil der reichsten 0,1 Prozente der Bevölkerung der USA hat sich von 1980 bis 2010 auf acht Prozent vervierfacht, vergleichsweise beträgt dieser Wert in Frankreich nur drei Prozent.

Rückfall in feudale Zeiten

Sibylle Hamann erinnert in der „Presse“ daran, dass in feudalen Zeiten galt „Wer reich war, blieb reich. Wer arm war, blieb arm“. Dies änderte sich mit dem aufkommenden Kapitalismus. Zwar schafften nur ganz wenige den berühmten Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär, aber insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde, bedingt durch die Entwicklung der Produktivkräfte einerseits und den Kampf der Arbeiter_innenbewegung andererseits, ein breiter Massenwohlstand erreicht.

Damit ist es freilich mit dem ab dem 1970er Jahren zunächst schleichend stattfindenden und nach dem Scheitern des Realsozialismus ab den 1990er Jahren rasanten Wandel vom fordistischen zum neoliberalen Kapitalismus wieder vorbei. Es kam zu einem Rollback, durch Arbeit wird heute niemand mehr reich, höchstens durch Erbschaft, Immobilien oder Kapitalerträge. Und das begünstigt durch eine entsprechende Steuergesetzgebung. Der Unternehmer Alois Gölles bringt das mit dem Sager „Fürs Nichtstun krieg ich steuerfrei Geld, fürs Arbeiten nicht, welcher Wahnsinn“ auf den Punkt.

Damit bestätigt sich einmal mehr die Erkenntnis, dass Reichtum Macht bedeutet und diese Macht über das politische Personal und die Vollzugsausschüsse des Kapitals dafür sorgt, dass die oberen zehntausend (genaugenommen sind es die rund 80.000 Millionär_innen) kaum Steuern zahlen, während das Fußvolk zur Steuerleistung ausgeplündert wird. Dass die Steuer auf leistungslos erworbene Erbschaften unter SPÖ-Bundeskanzler Gusenbauer abgeschafft wurde, hat somit eine gewisse Logik, der neue Feudalismus lässt grüßen.

Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“