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Who cares? Wen schert´s?

  • Sonntag, 19. Februar 2017 @ 08:54
Meinung Christine Braunersreuther über personenbezogene Arbeit

Care-Arbeit ist der umfassende Begriff für alle personenbezogenen Arbeiten: Pflege-, Kümmer-, Sorgearbeiten – bezahlt und unbezahlt. Insgesamt stellt sie damit den weitaus größten aller Arbeitsbereiche dar, sogleich den mit Abstand prekärsten. Doch: Who cares, wen schert´s? Care-Arbeit ist definitiv ein Bereich, über den mehr diskutiert und für den sich mehr engagiert gehört. Doch bei vielen Menschen scheitert dies schon im Ansatz, wenn es darum geht zu verstehen, was Care-Arbeit überhaupt bedeutet.

Reproduktion und Produktion

Die Begriffe Produktions- und Reproduktionsarbeit prägten Marx und Engels, als es mit der Industrialisierung zunehmend sinnvoller wurde, die Arbeit in außerhäusliche und häusliche Arbeit zu trennen. Reproduktion bezeichnete all die – unbezahlten - Tätigkeiten, die notwendig waren, um die Produktionskraft der Arbeiter_innen wiederherzustellen.

Gleichzeitig mit Einführung der Begriffe wurden die häuslichen und personenbezogenen Arbeiten gewissermaßen sexualisiert, nämlich den Frauen zugeschrieben. Ökonomisch blieben sie weitgehend unbeachtet. Adam Smith, noch heute als Begründer der Nationalökonomie geschätzt, verlor kein Wort darüber. Wie sollte er die Tätigkeiten auch wahrnehmen? Er wohnte zeitlebens bei seiner Mutter und ließ sich von ihr den gesamten Haushalt machen.

Feministische Sozialistinnen haben seit jeher versucht, auf diesen Missstand hinzuweisen. Die Französin Flora Tristan hatte etwa bereits 1843 auf die bedeutende Rolle der häuslichen Arbeit von Frauen für die Arbeiter_innenschaft hingewiesen und gefordert, die Proletarier sollten die „letzten Sklaven“ der französischen Gesellschaft befreien und die Rechte der Frau verkünden.

Aber dieser Ruf wurde weitgehend ignoriert. Auch die „Richtlinien für die kommunistische Frauenbewegung“, die Clara Zetkin für den II. Weltkongress der III. Internationale 1920 aufbereitet hatte, blieben ungehört, da die Frauenfrage „wegen Zeitmangels“ nicht behandelt werden konnte.

Ruf nach Generalstreik

Die in den 50er Jahren wirksamen rechtskonservativen Propaganda-Aktionen, die Frauen zurück an den Herd verbannten, behinderten danach lange Zeit die Diskussion um sorgende Tätigkeiten. Das änderte sich mit der so genannten „zweiten Frauenbewegung“ in den 1970er Jahren. Ebenso prägend wie umstritten war die „Lohn-für-Hausarbeit“-Kampagne des „Internationalen Feministischen Kollektiv“.

„Lohn für Hausarbeit“ war jedoch nicht als realpolitische Forderung gedacht, sondern sollte vorweg Reproduktionsarbeit überhaupt als Arbeit sichtbar machen und als politische Perspektive den Zugang zu einem neuen Kampfterrain eröffnen. Mariarosa Dalla Costa sorgte 1974 für Aufsehen als sie postulierte, es habe noch nie einen Generalstreik gegeben – denn wenn sich die Hälfte der Bevölkerung zu Hause in der Küche aufhalte, könne das doch kein Generalstreik sein.

Bereits ein Jahr später wurde diese Behauptung von der Wirklichkeit eingeholt – allerdings nur im kleinen Island. Dort streikten am 24. Oktober 1975 etwa 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung – was zur Folge hatte, dass auch viele Männer der Arbeit fern blieben. Denn wer hätte sonst auf die Kinder aufgepasst, nachdem auch die Erzieherinnen und Lehrerinnen streikten? So wurde ein Frauenstreik beinahe zum Generalstreik – und der hatte zur Folge, dass die Lohnschere heute in Island die geringste der Welt ist.

Care im 21. Jahrhundert

Vor etwa zehn Jahren wurden die leider wieder leiser gewordenen Debatten um Reproduktionsarbeit um Diskussionen und Aktionen zur Care-Arbeit ergänzt. Die Bezeichnung Care-Arbeit beinhaltet bezahlte wie unbezahlte personenorientierte Versorgungsleistungen, die sich an den Bedürfnissen anderer Menschen oder der eigenen Person (Self-Care) orientieren. Der Begriff ist nicht mehr oder weniger wichtig, auch nicht mehr oder weniger Kampfbegriff als der Reproduktionsbegriff. Lediglich wird nicht die Bezahlung in den Mittelpunkt gestellt, sondern stärker die Arbeitsinhalte in den Blick genommen.

Für die Care-Arbeiter_innen macht es ihre Situation jedoch auch kaum besser, wenn sie bezahlt werden. Denn die Bezahlung in den pädagogischen und den Pflegeberufen ist gering, die Arbeitszeiten alles andere als familienfreundlich. Pausen und Feierabend für Frauen, die laut Statistik auch bei Vollzeitberufstätigkeit mehr als 80 Prozent der häuslichen Reproduktionsarbeit erledigen – who cares?

Dass 24-Stunden-Pflegekräfte im Grunde genommen immer illegal beschäftigt sind, egal woher sie kommen, weil 24 Stunden pausenlos zu arbeiten arbeitsrechtlich nicht zulässig ist – wen schert´s? Hinter ihnen steht keine Gewerkschaft. Die einzige Chance, die Care-Arbeiter_innen hätten wäre eine Care-Revolution, wie von Gabriele Winker gefordert und in Ansätzen organisiert, oder Mess-Guerilla, wie es die Schweizer Ökonomin Mascha Madörin nennt. Totale Arbeitsverweigerung im bezahlten wie im unbezahlten Care-Bereich. Der Druck nimmt zu, der Ruf wird immer lauter!

Christine Braunersreuther ist KPÖ-Gemeinderätin in Graz