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Von Obergrenze und Untergrenze

  • Dienstag, 12. April 2016 @ 16:43
Meinung Josef Stingl über die Notwendigkeit eines gesetzlichen Mindestlohns

Erstes für die Wochenarbeitszeit, zweites bei den Löhnen und Gehältern. Die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn weckt Emotionen. Vieles wurde von den Unwilligen eines solchen bei unserem Nachbarland Deutschland prognostiziert – unter anderem, dass zahlreiche Jobs flöten gehen werden und die Arbeitslosigkeit noch steigen wird. Das renovierte Münchner Ifo-Institut orakelte gar von bis zu 900.000 verlorenen Jobs.

Sie geben sich inzwischen ein bisschen kleinlauter. Jetzt ist es offensichtlich: Der Mindestlohn hat den deutschen Arbeitsmarkt nicht ruiniert. Vielmehr hat Deutschland unsere „selige Insel Österreich“ bei der Arbeitslosenstatistik hinter sich gelassen. Gleichzeitig hat die arbeitende Bevölkerung in den untersten Einkommenssegmenten dank des Mindestlohns mehr Geld in den Taschen.

Ehrlicherweise sei erwähnt, dass die Bilanz nicht nur wegen der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, sondern auch die Konjunktursteigerung außerordentlich hilfreich war - aber wenn all die Unkenrufer_innen recht gehabt hätten, wäre die Abrechnung nach Einführung des Mindestlohns trotzdem eine andere gewesen.

Gesetz oder Kollektivvertrag?

Auch in Österreich ist wird der Ruf nach einem Mindestlohn lauter. Waren es 2013 beim „Kanzlerduell“ noch die 1.500 Euro die Faymann für alle Branchen anpeilte, ist es jetzt der ÖGB (hier wiederum die GPA-djp federführend), der einen Mindestlohn von 1.700 Euro für alle fordert – kollektivvertraglich und nicht gesetzlich, wie fast alle Gewerkschaftsführenden nicht müde werden zu betonen:

Beim Forum Alpbach im September des Vorjahres vermerkt ÖGB-Präsident Foglar, dass derzeit 200.000 Beschäftigte weniger als 1.500 Euro verdienen. Aufgrund der „Erfolgsgeschichte Kollektivvertrag“ hält er allerdings einen gesetzlichen Mindestlohn wie in Deutschland nicht für nötig: „Hätten wir in Österreich nicht 95 Prozent KV-Deckung , hätten wir auch eine Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn.“

Diese gewerkschaftliche Erfolgsgeschichte ist jedoch löchrig: „Die realen Nettolöhne sind heute gleich hoch wie Mitte der 1990er Jahre. Die Lohnquote sinkt seit Ende der 1970er Jahre. Die Kosten für Wohnen, Energie und andere Grundbedürfnisse steigen hingegen überdurchschnittlich. Bezieher_innen kleiner Einkommen sind davon besonders betroffen. Immer mehr Menschen sind prekär beschäftigt. (…) Ein Grundgedanke des Sozialstaates, dass Menschen ohne Vermögen wenigstens durch Arbeit am Zuwachs des gesellschaftlichen Reichtums beteiligt werden, wird immer mehr ausgeschaltet“, erklärt der Gewerkschaftliche Linksblock im ÖGB (GLB) dazu in seinem Flugblatt „Jetzt schlägt's 13! Ein Lohn zum Leben!'„

Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht die Dramatik zusätzlich: Im Gastgewerbe beginnen die Mindestlöhne bei 8,28 Euro pro Stunde, Friseur_innen verdienen im ersten Berufsjahr gar nur magere 7,80 Euro und für die Taxifahrer_innen gibt’s überhaupt nur 6,88 Euro Mindestlohn. Nicht zu vergessen, wir reden von Bruttolöhnen – netto sind diese Stundenbeträge noch um rund ein Fünftel an Sozialversicherungsbeiträgen geringer. Und natürlich hält auch noch der Finanzminister fallweise für die Lohnsteuer die Hand auf.

Das sind unzumutbar niedrige Löhne, von denen kein Mensch leben – geschweige denn, sich etwas leisten kann, wie beispielsweise mit Freund_innen mal nett Essen oder mal ins Konzert oder Kino zu gehen.

FAIRER Mindestlohn – Aber wann?

Die betroffenen Kollege_innen, die ihr Dasein in den Niedrigbranchen fristen müssen, benötigen rasche Hilfe. Ein 1.700 Euro Mindestlohn wäre eine Hilfe – nach vorherrschender Gewerkschaftsstrategie wird der aber in diesen Branchen erst in Jahren für sie Realität sein und dann nicht mehr wert sein als ihre jetzige Entlohnung.

Das alles läuft vor dem Hintergrund, dass die Produktivität steigend, richtigerweise stark steigend ist. Laut AK-Oberösterreich war 2014 eine Arbeitsstunde um elf Prozent ergiebiger als zehn Jahre zuvor. Wer sich den Leistungsgewinn in die Taschen gesteckt hat, kann sich jedeR selbst ausrechnen.

Derzeit wird viel über – meist über die falschen – Obergrenzen diskutiert. Wir GLBler_innen verlangen eine neue Obergrenze beim ständig steigenden Leistungszwang am Arbeitsplatz – er ist in der Zwischenzeit unerträglich! Unsere Obergrenze bei der Arbeitszeit lautet: 30 Stunden in der Woche sind genug!

Zu Obergrenzen gehören aber auch Untergrenzen: Eine Untergrenze bedarf es bei den Löhnen und Gehältern! Für uns Linksgewerkschafter_innen liegt diese in Österreich bei 13 Euro pro Stunde, und das steuerfrei und wertgesichert!

Nicht finanzierbar?

Die drastische Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Personalausgleich sorgt für rund ein Viertel mehr an Vollzeitarbeitsplätzen. Gepaart mit der höheren Konsumkraft durch die Mindestlöhne wird die Wirtschaft zwangsläufig angekurbelt und gestärkt – was wiederum zu weiteren Arbeitsplätzen führt. Alles im Allen also ein Anstoß zur Schubumkehr der Armutsspirale in der wir uns gerade befinden.

Josef Stingl ist Verkaufsfahrer in Tirol, Mitglied des ÖGB-Bundesvorstandes und Bundesvorsitzender des GLB