Über Produktivität und Missbrauch
- Mittwoch, 10. April 2013 @ 09:41
Von Leo Furtlehner
„Die Produktivität ist im Sinkflug“ droht die oö Wirtschaftskammer mit dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Schuld sind angeblich zu hohe Arbeitskosten und die „arbeitsplatzfeindlichen Lohnnebenkosten“. Dass letztere nur ein Teil der gesamten Arbeitskosten sind und Österreich dabei keineswegs Europameister ist, wird schamvoll unterschlagen. Das Objekt der Begierde der WKO sind die bezahlten Ausfallszeiten. Und so wird vorgerechnet, dass nach Abzug von 25 Urlaubstagen, 13 Feiertagen, durchschnittlich 13,5 Krankenstandstagen, 2,9 bezahlten Tagen für Arztbesuche, Übersiedlungen etc. und 14,5 Arbeitstagen die angeblich für privates Telefonieren, Rauchpausen, Internetsurfen etc. verplempert werden eigentlich ja kaum mehr Zeit zum Arbeiten bleibt.
Großzügig würden die Dienstgeber also 26,5 Prozent der nominellen Arbeitszeit von 260 Arbeitstagen „ohne unmittelbare Gegenleistung“ bezahlen. Ganz so, als ob die Beschäftigten diese gesetzlich verbrieften oder von Unternehmerseite großzügig unterstellten „Freizeiten“ nicht selbst erarbeiten würden, so wie sie auch ihre Sozialabgaben, die Lohnnebenkosten und Steuern erarbeiten und diese kein Unternehmer von seinem Privatvermögen zahlt.
Und weil die MitarbeiterInnen „zwar fleißig und engagiert, aber zu wenige Stunden an ihrem Arbeitsplatz produktiv tätig“ sind, kommt die WKO mit der Peitsche: Keine Bezahlung des ersten Krankenstandstages, Entgeltfortzahlung bei Freizeitunfällen, Senkung der Lohnnebenkosten um 500 Mio. Euro, Bekämpfung von Krankenstandsmissbrauch, Sanktionierung von Sozialbetrug, Anrechnung von Kur und Dienstbehinderungen auf den Urlaub und strikte Ablehnung weiterer bezahlter Dienstverhinderungen.
Die oö Arbeiterkammer hat die Abstempelung der Lohnabhängigen als Drückeberger zurückgewiesen. Klargestellt wurde, dass Krankenstände als Kalendertage gezählt werden, die WKO aber auch Wochenenden als Arbeitstage rechnet. Die WKO sei den Beschäftigten sogar kurze Kaffeepausen neidig, um verschnaufen zu können, „Menschen sollen offensichtlich wie Maschinen getaktet werden“, so die AK.
Unterschlagen wird von der Kapitalvertretung, dass Österreich bei der Arbeitsproduktivität EU-weit an vierter Stelle liegt und die Wochenarbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte laut Eurostat (Stand 2011) mit 41,8 Stunden nach Großbritannien (42,2) die längste der EU ist. Hingegen sinken die für den Wettbewerb relevanten industriellen Lohn-Stück-Kosten laut WIFO sogar und die Lohnquote sinkt seit den 1970er Jahren, weil die Löhne hinter der Produktivität zurückbleiben. Nach einer Umfrage bei 302 Managern der tausend umsatzstärksten europäischen Unternehmen rangiert Österreich bei der Wettbewerbsfähigkeit mit der Note von 1,9 nach Deutschland (1,6) und Schweden (1,7) gleichauf mit der Schweiz auf Platz drei.
Beim Austeilen über Sozialmissbrauch recht stark, ist die WKO beim Einstecken eine Mimose. Werden Unternehmen wegen notorischer Verletzung von Arbeits- und Sozialrecht angeprangert – wie etwa die jahrelange Rechtsverletzungen der Spedition Stadler (Peuerbach) wo die AK in 200 Vertretungsfällen über hundert Klagen einbringen musste und 800.000 Euro für die Betroffenen erstritt – ist höchstens von einzelnen „schwarzen Schafen“ die Rede. Dass durch eine gesteuerte Insolvenz der Allgemeinheit Millionenkosten aufgebürdet werden ist für die WKO offenbar legitim.
Auch bei den Steuer- und Abgabenschulden ist die WKO auffallend still. So verzeichnet das Finanzministerium satte 1,74 Milliarden Euro (Stand 2009) „am Fälligkeitstag nicht entrichtete“ Steuern, darunter einbehaltene Mehrwertsteuer und Lohnsteuer. Weiters wurden Beitragsrückstände für die Sozialversicherung von 0,96 Mrd. Euro (Stand 2008) verzeichnet, davon 0,44 Mrd. Euro DienstnehmerInnenanteile. Laut dem Linzer Wirtschaftsprofessor Friedrich Schneider gehen dem Fiskus durch betrügerische Karussellgeschäfte jährlich 2,3 Milliarden Euro verloren.
Und während sich die WKO beklagt, dass die Beschäftigten zu wenig produktiv arbeiten, findet sie überhaupt nichts dabei, wenn jährlich 66,9 Millionen (Stand 2011) von insgesamt mehr als 300 Millionen Überstunden ohne Bezahlung oder Zeitausgleich geleistet werden müssen.
Leo Furtlehner ist Journalist und verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“
„Die Produktivität ist im Sinkflug“ droht die oö Wirtschaftskammer mit dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Schuld sind angeblich zu hohe Arbeitskosten und die „arbeitsplatzfeindlichen Lohnnebenkosten“. Dass letztere nur ein Teil der gesamten Arbeitskosten sind und Österreich dabei keineswegs Europameister ist, wird schamvoll unterschlagen. Das Objekt der Begierde der WKO sind die bezahlten Ausfallszeiten. Und so wird vorgerechnet, dass nach Abzug von 25 Urlaubstagen, 13 Feiertagen, durchschnittlich 13,5 Krankenstandstagen, 2,9 bezahlten Tagen für Arztbesuche, Übersiedlungen etc. und 14,5 Arbeitstagen die angeblich für privates Telefonieren, Rauchpausen, Internetsurfen etc. verplempert werden eigentlich ja kaum mehr Zeit zum Arbeiten bleibt.
Großzügig würden die Dienstgeber also 26,5 Prozent der nominellen Arbeitszeit von 260 Arbeitstagen „ohne unmittelbare Gegenleistung“ bezahlen. Ganz so, als ob die Beschäftigten diese gesetzlich verbrieften oder von Unternehmerseite großzügig unterstellten „Freizeiten“ nicht selbst erarbeiten würden, so wie sie auch ihre Sozialabgaben, die Lohnnebenkosten und Steuern erarbeiten und diese kein Unternehmer von seinem Privatvermögen zahlt.
Und weil die MitarbeiterInnen „zwar fleißig und engagiert, aber zu wenige Stunden an ihrem Arbeitsplatz produktiv tätig“ sind, kommt die WKO mit der Peitsche: Keine Bezahlung des ersten Krankenstandstages, Entgeltfortzahlung bei Freizeitunfällen, Senkung der Lohnnebenkosten um 500 Mio. Euro, Bekämpfung von Krankenstandsmissbrauch, Sanktionierung von Sozialbetrug, Anrechnung von Kur und Dienstbehinderungen auf den Urlaub und strikte Ablehnung weiterer bezahlter Dienstverhinderungen.
Die oö Arbeiterkammer hat die Abstempelung der Lohnabhängigen als Drückeberger zurückgewiesen. Klargestellt wurde, dass Krankenstände als Kalendertage gezählt werden, die WKO aber auch Wochenenden als Arbeitstage rechnet. Die WKO sei den Beschäftigten sogar kurze Kaffeepausen neidig, um verschnaufen zu können, „Menschen sollen offensichtlich wie Maschinen getaktet werden“, so die AK.
Unterschlagen wird von der Kapitalvertretung, dass Österreich bei der Arbeitsproduktivität EU-weit an vierter Stelle liegt und die Wochenarbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte laut Eurostat (Stand 2011) mit 41,8 Stunden nach Großbritannien (42,2) die längste der EU ist. Hingegen sinken die für den Wettbewerb relevanten industriellen Lohn-Stück-Kosten laut WIFO sogar und die Lohnquote sinkt seit den 1970er Jahren, weil die Löhne hinter der Produktivität zurückbleiben. Nach einer Umfrage bei 302 Managern der tausend umsatzstärksten europäischen Unternehmen rangiert Österreich bei der Wettbewerbsfähigkeit mit der Note von 1,9 nach Deutschland (1,6) und Schweden (1,7) gleichauf mit der Schweiz auf Platz drei.
Beim Austeilen über Sozialmissbrauch recht stark, ist die WKO beim Einstecken eine Mimose. Werden Unternehmen wegen notorischer Verletzung von Arbeits- und Sozialrecht angeprangert – wie etwa die jahrelange Rechtsverletzungen der Spedition Stadler (Peuerbach) wo die AK in 200 Vertretungsfällen über hundert Klagen einbringen musste und 800.000 Euro für die Betroffenen erstritt – ist höchstens von einzelnen „schwarzen Schafen“ die Rede. Dass durch eine gesteuerte Insolvenz der Allgemeinheit Millionenkosten aufgebürdet werden ist für die WKO offenbar legitim.
Auch bei den Steuer- und Abgabenschulden ist die WKO auffallend still. So verzeichnet das Finanzministerium satte 1,74 Milliarden Euro (Stand 2009) „am Fälligkeitstag nicht entrichtete“ Steuern, darunter einbehaltene Mehrwertsteuer und Lohnsteuer. Weiters wurden Beitragsrückstände für die Sozialversicherung von 0,96 Mrd. Euro (Stand 2008) verzeichnet, davon 0,44 Mrd. Euro DienstnehmerInnenanteile. Laut dem Linzer Wirtschaftsprofessor Friedrich Schneider gehen dem Fiskus durch betrügerische Karussellgeschäfte jährlich 2,3 Milliarden Euro verloren.
Und während sich die WKO beklagt, dass die Beschäftigten zu wenig produktiv arbeiten, findet sie überhaupt nichts dabei, wenn jährlich 66,9 Millionen (Stand 2011) von insgesamt mehr als 300 Millionen Überstunden ohne Bezahlung oder Zeitausgleich geleistet werden müssen.
Leo Furtlehner ist Journalist und verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“