Sozialtraum(a) EU
- Samstag, 18. Februar 2017 @ 08:28
Franz Grün über den europaweiten Sozialabbau
Die EU-Mitgliedsstaaten konnten mit enormen finanziellen Aufwand der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise entgegenwirken. Sie sind aber nicht bereit, die Verursacher zur Kasse zu bitten. Vielmehr wird Einsparungspotential bei den Sozialleistungen ausgelotet. Das Menschenrecht auf soziale Sicherheit wird infrage gestellt. Die Grundversorgung für Wohnen, Essen und Energie wird überproportional teurer, dagegen steigen die Löhne und Gehälter nur moderat. Waren, die man entweder nicht braucht oder sich nicht leisten kann, sorgen dafür, die Inflationsrate niedrig zu halten.
Nach 1945 wurden soziale Sicherheitssysteme entwickelt, um Armut zu verringern und Wohlstand zu fördern. Staaten mit mittleren Einkommensstrukturen haben diese Systeme ausgeweitet und damit die Wachstumsstruktur gestärkt. Um die Auswirkungen der Krise zu relativieren, sucht man jedoch nicht etwa bei den Verursachern den Ausgleich, sondern bei jenen, wo der geringste Wiederstand zu erwarten ist.
Josef Ackermann, Ex-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank und derzeit Aufsichtsratsvorsitzender der Bank of Cyprus sagte einmal „Wenn die Kosten unseres Sozialmodells die individuelle und gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit übersteigen, stellt der Sozialstaat sein eigenes Fundament in Frage.“ Damit hat er ja Recht, jedoch sollte nicht auf der Ausgabenseite gespart, sondern auf der Einnahmenseite zugegriffen werden.
Doch gerade dies scheint die Hemmschwelle aller Regierungen zu sein. Statt sich endlich durchzuringen, Finanzgewinne entsprechend zu versteuern oder Produktionsstückkosten entsprechend ihres fallenden Aufwandes zu belasten, sinniert man, wo man ein Stückchen von den Sozialleistungen abbrechen kann.
Die hohen Arbeitslosenzahlen stellen die europäischen Regierungen vor große Probleme. Vor allem in Spanien, Portugal, Griechenland und den Balkanstaaten, aber auch Österreich gibt es eine hohe Arbeitslosenrate. Für einen Sozialstaat gibt es aber nichts Teureres als eine große Anzahl von Menschen, welche Kosten verursachen, aber aufgrund der kaum fürs Überleben reichenden Einkommen aus Sozialleistungen Verbrauchersteuern an den Staat zurückführen müssen.
Arbeitslosigkeit bekämpfen heißt die vorhandene und benötigte Arbeitsleistung zu verteilen. Dies ist einerseits möglich indem man Investitionen tätigt, das wird alleine aber nicht ausreichen. Zum anderen wird es unumgänglich die Normalarbeitszeit gesetzlich zu senken und parallel dazu die wöchentliche Höchstarbeitszeit zu reduzieren. Ebenso sind die geleisteten Überstunden für Unternehmen so zu verteuern, dass sich die Einstellung zusätzlicher Mitarbeiter_innen als Alternative erweist.
Trotz hoher Arbeitslosigkeit ist der Beschäftigungsstand so hoch wie nie. Aber eben nicht als Vollbeschäftigung, sondern in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Im ohnehin im Niedriglohnbereich angesiedelten, jedoch ständig steigenden Bedarf an Pflegekräften wird vor allem Teilzeitarbeit bevorzugt. Hier muss die Frage erlaubt sein, warum man bereit ist Bankern sein Geld anzuvertrauen und so viel, hingegen Menschen, welchen man seine Angehörigen anvertraut, so wenig zu zahlen.
Wenn man trotz Arbeit ein Einkommen hat von dem man gerade über die Runden kommt, also, wenn überhaupt, knapp über der Armutsgrenze liegt und die Perspektiven keine Besserungen versprechen, wird die Unzufriedenheit weiter steigen. Ist man erst einmal 50+ und verliert seine Arbeit ist ein Wiedereinstieg nur selten zu erwarten. Die Armut im Alter ist de facto vorprogrammiert.
Das Ergebnis des Referendums in Großbritannien über den EU-Austritt ist dem Versagen der politischen Eliten zuzuschreiben, welche in ihrer Selbstzufriedenheit nicht begriffen haben, wovor sich die sogenannte Unterschicht fürchtet. Da reicht es, dass Populisten mit falschen Versprechungen und Unwahrheiten eine Abstimmung beeinflussen. Wenn im Frühjahr die Verhandlungen über die zukünftige Zusammenarbeit zwischen EU und Großbritannien beginnen, steht die EU vor einem Dilemma. Zum einen möchte man Großbritannien als Partner nicht verlieren, zum anderen könnten Zugeständnisse leicht andere Mitgliedstaaten ermutigen, einen ähnlichen Weg zu gehen.
Rechtspopulisten stehen europaweit in den Startlöchern, sind bereits eine Macht oder stellen die Regierung. Petry in Deutschland, Le Pen in Frankreich, Wilders in den Niederlanden oder Strache in Österreich bevorzugen einen autoritären Regierungsstil. Ihnen allen arbeitet die Unfähigkeit der neoliberalen Politik, Probleme der Mittel- und Unterschicht zu lösen, in die Hände. Dabei ist es ihnen nicht zu dreckig, die Schuld bei Migrant_innen oder Systemverlierern zu suchen.
Als Strache die Gefahr eines Bürgerkrieges an die Wand malte, ging ein Aufschrei der Empörung durch die Reihen der etablierten Politikkaste. Was aber ist, wenn die Menschen in ihrer Verzweiflung auf die Straße gehen und die Obrigkeit dagegen die Exekutive in Stellung bringt? Eines ist klar – Menschen sind nicht systemrelevant.
Franz Grün ist Organisationsverantwortlicher im GLBvida
Die EU-Mitgliedsstaaten konnten mit enormen finanziellen Aufwand der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise entgegenwirken. Sie sind aber nicht bereit, die Verursacher zur Kasse zu bitten. Vielmehr wird Einsparungspotential bei den Sozialleistungen ausgelotet. Das Menschenrecht auf soziale Sicherheit wird infrage gestellt. Die Grundversorgung für Wohnen, Essen und Energie wird überproportional teurer, dagegen steigen die Löhne und Gehälter nur moderat. Waren, die man entweder nicht braucht oder sich nicht leisten kann, sorgen dafür, die Inflationsrate niedrig zu halten.
Nach 1945 wurden soziale Sicherheitssysteme entwickelt, um Armut zu verringern und Wohlstand zu fördern. Staaten mit mittleren Einkommensstrukturen haben diese Systeme ausgeweitet und damit die Wachstumsstruktur gestärkt. Um die Auswirkungen der Krise zu relativieren, sucht man jedoch nicht etwa bei den Verursachern den Ausgleich, sondern bei jenen, wo der geringste Wiederstand zu erwarten ist.
Josef Ackermann, Ex-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank und derzeit Aufsichtsratsvorsitzender der Bank of Cyprus sagte einmal „Wenn die Kosten unseres Sozialmodells die individuelle und gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit übersteigen, stellt der Sozialstaat sein eigenes Fundament in Frage.“ Damit hat er ja Recht, jedoch sollte nicht auf der Ausgabenseite gespart, sondern auf der Einnahmenseite zugegriffen werden.
Doch gerade dies scheint die Hemmschwelle aller Regierungen zu sein. Statt sich endlich durchzuringen, Finanzgewinne entsprechend zu versteuern oder Produktionsstückkosten entsprechend ihres fallenden Aufwandes zu belasten, sinniert man, wo man ein Stückchen von den Sozialleistungen abbrechen kann.
Die hohen Arbeitslosenzahlen stellen die europäischen Regierungen vor große Probleme. Vor allem in Spanien, Portugal, Griechenland und den Balkanstaaten, aber auch Österreich gibt es eine hohe Arbeitslosenrate. Für einen Sozialstaat gibt es aber nichts Teureres als eine große Anzahl von Menschen, welche Kosten verursachen, aber aufgrund der kaum fürs Überleben reichenden Einkommen aus Sozialleistungen Verbrauchersteuern an den Staat zurückführen müssen.
Arbeitslosigkeit bekämpfen heißt die vorhandene und benötigte Arbeitsleistung zu verteilen. Dies ist einerseits möglich indem man Investitionen tätigt, das wird alleine aber nicht ausreichen. Zum anderen wird es unumgänglich die Normalarbeitszeit gesetzlich zu senken und parallel dazu die wöchentliche Höchstarbeitszeit zu reduzieren. Ebenso sind die geleisteten Überstunden für Unternehmen so zu verteuern, dass sich die Einstellung zusätzlicher Mitarbeiter_innen als Alternative erweist.
Trotz hoher Arbeitslosigkeit ist der Beschäftigungsstand so hoch wie nie. Aber eben nicht als Vollbeschäftigung, sondern in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Im ohnehin im Niedriglohnbereich angesiedelten, jedoch ständig steigenden Bedarf an Pflegekräften wird vor allem Teilzeitarbeit bevorzugt. Hier muss die Frage erlaubt sein, warum man bereit ist Bankern sein Geld anzuvertrauen und so viel, hingegen Menschen, welchen man seine Angehörigen anvertraut, so wenig zu zahlen.
Wenn man trotz Arbeit ein Einkommen hat von dem man gerade über die Runden kommt, also, wenn überhaupt, knapp über der Armutsgrenze liegt und die Perspektiven keine Besserungen versprechen, wird die Unzufriedenheit weiter steigen. Ist man erst einmal 50+ und verliert seine Arbeit ist ein Wiedereinstieg nur selten zu erwarten. Die Armut im Alter ist de facto vorprogrammiert.
Das Ergebnis des Referendums in Großbritannien über den EU-Austritt ist dem Versagen der politischen Eliten zuzuschreiben, welche in ihrer Selbstzufriedenheit nicht begriffen haben, wovor sich die sogenannte Unterschicht fürchtet. Da reicht es, dass Populisten mit falschen Versprechungen und Unwahrheiten eine Abstimmung beeinflussen. Wenn im Frühjahr die Verhandlungen über die zukünftige Zusammenarbeit zwischen EU und Großbritannien beginnen, steht die EU vor einem Dilemma. Zum einen möchte man Großbritannien als Partner nicht verlieren, zum anderen könnten Zugeständnisse leicht andere Mitgliedstaaten ermutigen, einen ähnlichen Weg zu gehen.
Rechtspopulisten stehen europaweit in den Startlöchern, sind bereits eine Macht oder stellen die Regierung. Petry in Deutschland, Le Pen in Frankreich, Wilders in den Niederlanden oder Strache in Österreich bevorzugen einen autoritären Regierungsstil. Ihnen allen arbeitet die Unfähigkeit der neoliberalen Politik, Probleme der Mittel- und Unterschicht zu lösen, in die Hände. Dabei ist es ihnen nicht zu dreckig, die Schuld bei Migrant_innen oder Systemverlierern zu suchen.
Als Strache die Gefahr eines Bürgerkrieges an die Wand malte, ging ein Aufschrei der Empörung durch die Reihen der etablierten Politikkaste. Was aber ist, wenn die Menschen in ihrer Verzweiflung auf die Straße gehen und die Obrigkeit dagegen die Exekutive in Stellung bringt? Eines ist klar – Menschen sind nicht systemrelevant.
Franz Grün ist Organisationsverantwortlicher im GLBvida