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Sozialer Friede dank Interessensharmonie

  • Donnerstag, 19. November 2015 @ 16:52
Meinung Michael Heindl über Gewerkschaftspolitik und Klassenkampf

2012 konnte der ÖGB dank vorbildlicher Zusammenarbeit von ArbeitnehmerInnen- und Wirtschaftsinteressensvertretung nur 4,67 Streiksekunden pro ArbeitnehmerIn vorweisen. Im Jahr darauf waren es dann 27 Sekunden. In besonders krisengeschüttelten Zeiten kommt man dann schon auf drei Stunden und 16 Minuten, wie es 2003 unter der schwarzblauen Regierung der Fall war: Pensions- und ÖBB-Reform schafften es immerhin zu „Warnstreiks“, welche jedoch nach dem parlamentarischen Beschluss der Pensionsreform beendet wurden. ÖGB-Präsident Verzetnitsch begründete den Abbruch der Aktionen damit, dass demokratische Entscheidungen respektiert werden müssen.

Wir sehen also, dass der ÖGB durchaus in der Lage wäre, klassenkämpferisch vorzugehen. Immerhin ist er tatsächlich finanziell unabhängig und unterhält einen beachtlichen „Streikfonds“. Andererseits steht die Gewerkschaft vor dem Dilemma, dass sie ihre Macht nicht gegen die repräsentative Demokratie – also jene Staatsform welche „freie Gewerkschaften“ zulässt – einsetzen darf.

Es wäre jedoch irrig zu meinen, beim ÖGB handle es sich um eine „zahnlose“ Organisation: Gegen den „Klassenkampf von unten“ ist der ÖGB sehr wohl in der Lage, und auch willens, zu mobilisieren. Als sich 1950 etwa 120.000 ArbeiterInnen gegen das, vom ÖGB mitbeschlossene, Lohn-Preis-Abkommen stellten, mobilisierte Franz Olah (damaliger Gewerkschaftschef der Bau- und Holzarbeiter) seine Aktivisten erfolgreich gegen die Streikenden. Der von SPÖ und ÖVP als Putschversuch der Kommunisten dargestellte Streik endete mit der Erklärung des ÖGB: „Der Anschlag auf die Freiheit der österreichischen Arbeiter und Angestellten ist abgewehrt“.

Die aus den Geschehnissen 1950 entstandene Sozialpartnerschaft brachte uns also tatsächlich eine Interessensharmonie von Kapital und Arbeit. Auf Streik als Kampfmittel wird seither verzichtet, da dieser die Harmonie von ArbeiterInnen und Unternehmen schädigen könnte. Lediglich auf den „Warnstreik“ wird kurzfristig, z.B. zur Besserstellung der Verhandlungsposition bei Lohnverhandlungen, zurückgegriffen – eine homöopathische Schädigung des Kapitals ist gerade noch zulässig.

In früheren Zeiten hat die Sozialdemokratie sehr wohl noch so getan, als könne sie einer alternativen Gesellschaftsform - dem Sozialismus - etwas abgewinnen. Nach 1945, als der ÖGB als staatstragender Arbeiterverein eine nicht unerhebliche Machtbeteiligung erhielt, wich die klassenkämpferische Rhetorik jedoch der pragmatischen Auffassung, dass man gegen die Abhängigkeit vom Kapital ohnehin nichts machen könne. An gewissen kapitalistischen Entwicklungen hat der ÖGB, mit seiner stärksten Fraktion – der FSG, jedoch sehr wohl etwas auszusetzen: z.B. dem Neoliberalismus:

„Fort mit der falschen Freiheit! Aber in der Wirtschaft darf jeder tun, was er will! Wer sagt das? – Der Liberalismus! In der Wirtschaft ist der Mensch frei! Die Folge davon ist Ausbeutung auf der einen Seite, Klassenkampf auf der anderen! Wir wollen diese falsche Freiheit nicht, wir wollen ein Arbeitsrecht! Das bestimmt, was jedem Arbeiter zukommt! … Wenn es ein Strafrecht gibt, warum nicht auch ein Arbeitsrecht? Die Wirtschaftsfreiheit ruiniert die Wirtschaft! Fort mit ihr!“

Jetzt ist dieses Zitat jedoch nicht aus „unserer Zeit“, es stammt aus den Glaubensbekenntnissen der Gelben Gewerkschaften 1933. Nachzulesen ist es ausgerechnet in einem im ÖGB Verlag erschienenem Buch mit dem Titel „Die Gelben Gewerkschaften Österreichs in der Zwischenkriegszeit“. Den Stolz des ÖGB auf den Streik als Kampfmaßnahme dank Sozialpartnerschaft verzichten zu können, könnte man ebenso Gelben Gewerkschaften zuschreiben (selbst wenn der heutige Begriff „Sozialpartnerschaft“ eher als „Interessensharmonie“ bezeichnet würde).

Auf die Erklärung des ÖGB zur Beendigung des Oktoberstreiks 1950: „Der Anschlag auf die Freiheit der österreichischen Arbeiter und Angestellten ist abgewehrt“ (unter „Freiheit“ kann hier nur die Freiheit der Privateigentümer - in diesem Fall also das Privateigentum der Ware Arbeitskraft - verstanden werden), könnte man auch auf ein Schreiben der Gelben Gewerkschaften in „Arbeit und Wirtschaft“ vom 1.10.1929 hinweisen: „Worauf arbeiten die Roten hin? Auf Zerstörung und Vernichtung des Privateigentums. Worauf arbeiten die Gelben hin? Auf Erhaltung und Erwerb von Eigentum und Besitz für die Arbeiter.“

Selbst wenn unser SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann am 1. Mai den Klassenkampf postuliert, so spricht man in der Sozialdemokratie dann doch lieber von „sozialer Gerechtigkeit“. Man meint damit vermutlich ein ausgewogeneres Verhältnis von Reichen und Armen. In der Praxis konnte der ÖGB eine Steuerreform durchsetzen welche den ArbeiterInnen abgepresste Mehrwert, zumindest ein wenig, wieder zurückführen soll.

Dem gegenüber sprachen die Gelben Gewerkschaften schon ehrlichere Worte: „Fort mit dem Klassenkampf! Es gibt keine Arbeitgeber und Arbeitnehmer! Der Arbeitgeber ist auch nur ein Arbeitnehmer – bei denjenigen, die ihm Aufträge geben! Wenn er keinen Auftrag bekommt, kann er auch keine Arbeit geben! Das haben die Arbeiterkameraden am eigenen Leib erfahren! Wir wollen keinen Klassenkampf, wir wollen Arbeit! Der Klassenkampf vernichtet die Arbeit! Fort mit ihm!“

Michael Heindl ist GLB-Aktivist in Wien