Reflux und Reflex
- Samstag, 13. Februar 2016 @ 08:00
Bärbel Mende-Danneberg über Köln & Co.
Es stößt wie Sodbrennen sauer auf, zum Kotzen, was da aus Köln und anderen deutschen Städten berichtet wird: Frauen wurden in der Silvesternacht von einer männliche Horde begrapscht, vergewaltigt, ausgeraubt. Die Männer, die in Gruppen auf die Opfer losgingen, wurden von vielen Betroffenen als „dem Aussehen nach nordafrikanischer Herkunft“ beschrieben. Sie seien stark alkoholisiert gewesen und mit enthemmter Gewalttätigkeit vorgegangen. Nach Auskunft der Polizei wurden nach den Vorfällen am Kölner Hauptbahnhof hunderte Anzeigen erstattet.
Der Reflex kam prompt: Deutschlands Innenminister de Maizière sprang wie ein Pawlowscher Hund auf das Asylthema an und will die Abschiebung straffälliger Asylbewerber erleichtern. „Wer schwere Straftaten begeht, in welchem Status auch immer er sich befindet, der muss damit rechnen, aus Deutschland abgeschoben zu werden.“ Die Genfer Flüchtlingskonvention mache dazu allerdings strenge Vorgaben. In Deutschland gelte bisher die Regel, dass sich erst eine Haftstrafe von drei Jahren auf ein Asylverfahren auswirke. „Wir werden darüber zu reden haben, ob das nicht geändert werden muss“, so der Minister.
Aha, ahso. Nordafrikaner, Asylwerber, Fremde, die unsere deutschen Frauen angreifen. Ein ganzer Stoßtrupp deutscher Rechtschaffener, Geschlecht meist, aber nicht nur männlich, ist unterwegs, um unsere deutschen Frauen zu schützen. Wieso erinnert mich das alles so fatal an FPÖ-Plakate mit den Slogans „Zu schön für einen Schleier“ oder „Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe“? Der Reflux, der mir sauer aufstößt, ist der völkische Reflex, Gewalt gegen Frauen würde von außerhalb der Schengen-Grenzen eingeschleust, so als würden Übergriffe und Gewalttaten nicht auch hier für viele Frauen trauriger Alltag sein. Mich empört der Beschützergestus männlicher Gattung aus dem rechten Lager, das niemals auch nur irgendein Verständnis hatte für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen.
Und dann kommt der alte Reflex hinzu, Frauen seien selbst schuld: Weshalb müssen sie in der Silvesternacht umherziehen. Auch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, selbst Opfer einer männlichen Messerattacke, riet Frauen nach den Übergriffen in der Silvesternacht: „Es ist immer eine Möglichkeit, eine gewisse Distanz zu halten, die weiter als eine Armlänge betrifft.“
Wie steht es denn eigentlich mit der Distanz der Polizei, die von den Vorfällen am Hauptbahnhof nichts oder zu spät bemerkt haben will? Wo blieb die Zivilcourage von PassantInnen rund um das Geschehen? Und wie steht es mit der Armlänge der Politik, die Gelder für Gewaltopfer-Projekte kürzt und Betroffene, ob „in“- oder „aus“ländisch, am ausgestreckten Arm verhungern lässt? Dass diese Vorfälle, die in ihrem wolfsrudelhaften Auftreten von Männern gegen Frauen, ob „In“- oder „Aus“länder, erschreckend sind, nun für eine schändliche Asyldebatte missbraucht werden, wird weitere scheinheilige Schleimspuren durch Europa ziehen.
Bärbel Danneberg ist Journalistin und lebt in Wien
Aus „Volksstimme“ 1-2/2016
Es stößt wie Sodbrennen sauer auf, zum Kotzen, was da aus Köln und anderen deutschen Städten berichtet wird: Frauen wurden in der Silvesternacht von einer männliche Horde begrapscht, vergewaltigt, ausgeraubt. Die Männer, die in Gruppen auf die Opfer losgingen, wurden von vielen Betroffenen als „dem Aussehen nach nordafrikanischer Herkunft“ beschrieben. Sie seien stark alkoholisiert gewesen und mit enthemmter Gewalttätigkeit vorgegangen. Nach Auskunft der Polizei wurden nach den Vorfällen am Kölner Hauptbahnhof hunderte Anzeigen erstattet.
Der Reflex kam prompt: Deutschlands Innenminister de Maizière sprang wie ein Pawlowscher Hund auf das Asylthema an und will die Abschiebung straffälliger Asylbewerber erleichtern. „Wer schwere Straftaten begeht, in welchem Status auch immer er sich befindet, der muss damit rechnen, aus Deutschland abgeschoben zu werden.“ Die Genfer Flüchtlingskonvention mache dazu allerdings strenge Vorgaben. In Deutschland gelte bisher die Regel, dass sich erst eine Haftstrafe von drei Jahren auf ein Asylverfahren auswirke. „Wir werden darüber zu reden haben, ob das nicht geändert werden muss“, so der Minister.
Aha, ahso. Nordafrikaner, Asylwerber, Fremde, die unsere deutschen Frauen angreifen. Ein ganzer Stoßtrupp deutscher Rechtschaffener, Geschlecht meist, aber nicht nur männlich, ist unterwegs, um unsere deutschen Frauen zu schützen. Wieso erinnert mich das alles so fatal an FPÖ-Plakate mit den Slogans „Zu schön für einen Schleier“ oder „Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe“? Der Reflux, der mir sauer aufstößt, ist der völkische Reflex, Gewalt gegen Frauen würde von außerhalb der Schengen-Grenzen eingeschleust, so als würden Übergriffe und Gewalttaten nicht auch hier für viele Frauen trauriger Alltag sein. Mich empört der Beschützergestus männlicher Gattung aus dem rechten Lager, das niemals auch nur irgendein Verständnis hatte für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen.
Und dann kommt der alte Reflex hinzu, Frauen seien selbst schuld: Weshalb müssen sie in der Silvesternacht umherziehen. Auch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, selbst Opfer einer männlichen Messerattacke, riet Frauen nach den Übergriffen in der Silvesternacht: „Es ist immer eine Möglichkeit, eine gewisse Distanz zu halten, die weiter als eine Armlänge betrifft.“
Wie steht es denn eigentlich mit der Distanz der Polizei, die von den Vorfällen am Hauptbahnhof nichts oder zu spät bemerkt haben will? Wo blieb die Zivilcourage von PassantInnen rund um das Geschehen? Und wie steht es mit der Armlänge der Politik, die Gelder für Gewaltopfer-Projekte kürzt und Betroffene, ob „in“- oder „aus“ländisch, am ausgestreckten Arm verhungern lässt? Dass diese Vorfälle, die in ihrem wolfsrudelhaften Auftreten von Männern gegen Frauen, ob „In“- oder „Aus“länder, erschreckend sind, nun für eine schändliche Asyldebatte missbraucht werden, wird weitere scheinheilige Schleimspuren durch Europa ziehen.
Bärbel Danneberg ist Journalistin und lebt in Wien
Aus „Volksstimme“ 1-2/2016