Protest als Rolle rückwärts
- Dienstag, 12. April 2016 @ 15:09
Heike Fischer über den Rechtstrend in Deutschland
Über eine Million Flüchtlinge scheinen Anlass für einen europaweiten Rechtsruck zu sein, sind jedoch nicht dessen Ursache. Der wahre Grund für das Aufblühen rechtsextremer Parteien sind die explosiven sozialen, ökonomischen und politischen Widersprüche, die sich seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus vor 25 Jahren und vor allem seit der Finanzkrise von 2008 angestaut haben. Als Reaktion darauf regieren in Ungarn und Polen nationalkonservative Kräfte, in vielen EU-Staaten werden rechtspopulistische Parteien Wahlsieger, hierzulande regiert die FPÖ in Ländern, Städten und Gemeinden. Viele BürgerInnen fühlen sich sozial deklassiert und von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten.
Protest gegen etablierte Parteien
Um diesen eins auszuwischen, und nicht wegen eigener Ideen und Inhalte, haben unlängst in Deutschland 75 Prozent der AfD-Wähler aus Protest bei der noch jungen Partei ihr Kreuzerl gemacht. Vor allem für ihre Position in der Flüchtlingsdebatte ist die Alternative für Deutschland (AfD) bisher bekannt. Doch wie steht es bei Inhalten wie Mindestlohn, Arbeitslosigkeit, Bildung, Familie und Frauenrechte?
Das ideale Familienbild der AfD besteht aus Vater, Mutter und drei Kindern. Die Realität von Alleinerziehenden, Patchwork-Familien, berufstätigen Müttern oder gleichgeschlechtlichen Paaren wird ignoriert. Dafür befürwortet man ein Verbot von Abtreibungen, lehnt Frauenquoten und Gleichstellungsbeauftragte ab. Die AfD will Frauen auf ihre Rolle als Mutter reduzieren und ihr Leben bei illegalen Abtreibungen aufs Spiel setzen.
Ebenso lehnt die AfD den gesetzlichen Mindestlohn ab, der sicherstellt, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können und keine weitere Unterstützung vom Staat benötigen. Ohne Lohnuntergrenze können sich Unternehmen unfaire Wettbewerbsvorteile zu Lasten ihrer Beschäftigten schaffen. Dies bedeutet mehr Niedriglöhne und Altersarmut.
Entlastung für Reiche?
Die AfD plädiert für einen Einheitssatz bei der Einkommenssteuer für alle, ganz egal ob einfache Krankenschwester, Chefarzt oder schwerreicher Millionär. Damit sind massive Einnahmeausfälle für den Staat vorprogrammiert. Die AfD nutzt die Ängste vieler Menschen vor dem sozialen Abstieg aus und suggeriert vermeintliche Steuergerechtigkeit.
Im Zeitmagazin fordert AfD-Vizechef Alexander Gauland: „Wir müssen die Grenzen dicht machen ..., man kann sich nicht von Kinderaugen erpressen lassen“ und vergleicht Schutzsuchende mit einem Wasserrohrbruch: „...den würde man auch abdichten“. Sogar deutsche Grenzen mit Schusswaffen gegen Flüchtlinge zu schützen, steht im Raum. Die AfD schürt Angst vor Integrationslösungen, vergiftet die Asyldebatte mit Warnungen vor dem „afrikanischen Ausbreitungstyp“ und drohender Islamisierung.
Stolz auf Deutschland?
In Sachsen-Anhalt will die AfD im Geschichtsunterricht weniger über die Nazi-Zeit reden und bezeichnet diese als „zwölf Unglücksjahre unserer Geschichte“. Gemäß einem Schlüsselthema des rechtsintellektuellen Milieus sollen nur positive Beispiele gelehrt werden, damit sich die SchülerInnen mit Stolz auf Deutschland berufen können. Und Theatern, Museen und Orchestern möchte die AfD vorschreiben, was sie zu zeigen und zu spielen haben – ein direkter Eingriff in die Freiheit der Kunst – und nennt dies „Identität stiftende“ Kulturpflege.
Inklusion von Menschen mit Behinderung wird als „ideologisch motiviertes Großexperiment“ abgelehnt, ebenso Sexualkundeunterricht als „Früh- und Hypersexualisierung“. Die AfD fordert ein Verbot von Lehrbüchern, die sich mit Homosexualität oder Transgender beschäftigen, die Thüringer Landtagsfraktion sogar eine Zählung aller Homosexuellen.
Offen für Zwangsarbeit
Hartz IV möchte die AfD in Baden-Württemberg durch eine „Bürgerarbeit“ als Ersatz für andere Förderprogramme, die bereits eingeschränkt oder abgeschafft wurden oder es noch werden sollen, ersetzen. Langzeitarbeitslose sollen zu Niedriglöhnen zur Arbeit unter dem Mindestlohn gezwungen werden. Mit dieser Zwangsmaßnahme erniedrigt die Partei die sozial schwachen Mitglieder der Gesellschaft und fördert ein Klima des Neids.
Weiters fordert die AfD ein sofortiges Ende des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) und ignoriert die Folgen der Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima. Als Ersatz für Atomenergie sieht die AfD nur die klimazerstörende Kohlekraft. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer sauberen und sicheren Energieversorgung werden ausgeblendet.
Der Extremismus-Experte Hajo Funke: „Die AfD will eine gegen Zuwanderung und Flüchtlinge gerichtete ethnisch-reine, völkische Nation und damit eine andere Republik. Sie ist die Partei der Mobilisierung des Ressentiments gegen Flüchtlinge, spricht von Notwehr und Widerstand und fördert damit Gewalt in einer durch die rassistische Bewegung und die gefährliche Steigerung der Gewalt gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte hoch aufgeladene Situation der Republik.“ Was die deutsche Bruderpartei der hiesigen FPÖ anzubieten hat ist also alles in allem ein Zurück in vergangene Zeiten.
Heike Fischer ist Diplompädagogin und Betriebsratsvorsitzende im Diakonie Zentrum Spattstraße Linz und GLB-Landesvorsitzende in OÖ
Über eine Million Flüchtlinge scheinen Anlass für einen europaweiten Rechtsruck zu sein, sind jedoch nicht dessen Ursache. Der wahre Grund für das Aufblühen rechtsextremer Parteien sind die explosiven sozialen, ökonomischen und politischen Widersprüche, die sich seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus vor 25 Jahren und vor allem seit der Finanzkrise von 2008 angestaut haben. Als Reaktion darauf regieren in Ungarn und Polen nationalkonservative Kräfte, in vielen EU-Staaten werden rechtspopulistische Parteien Wahlsieger, hierzulande regiert die FPÖ in Ländern, Städten und Gemeinden. Viele BürgerInnen fühlen sich sozial deklassiert und von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten.
Protest gegen etablierte Parteien
Um diesen eins auszuwischen, und nicht wegen eigener Ideen und Inhalte, haben unlängst in Deutschland 75 Prozent der AfD-Wähler aus Protest bei der noch jungen Partei ihr Kreuzerl gemacht. Vor allem für ihre Position in der Flüchtlingsdebatte ist die Alternative für Deutschland (AfD) bisher bekannt. Doch wie steht es bei Inhalten wie Mindestlohn, Arbeitslosigkeit, Bildung, Familie und Frauenrechte?
Das ideale Familienbild der AfD besteht aus Vater, Mutter und drei Kindern. Die Realität von Alleinerziehenden, Patchwork-Familien, berufstätigen Müttern oder gleichgeschlechtlichen Paaren wird ignoriert. Dafür befürwortet man ein Verbot von Abtreibungen, lehnt Frauenquoten und Gleichstellungsbeauftragte ab. Die AfD will Frauen auf ihre Rolle als Mutter reduzieren und ihr Leben bei illegalen Abtreibungen aufs Spiel setzen.
Ebenso lehnt die AfD den gesetzlichen Mindestlohn ab, der sicherstellt, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können und keine weitere Unterstützung vom Staat benötigen. Ohne Lohnuntergrenze können sich Unternehmen unfaire Wettbewerbsvorteile zu Lasten ihrer Beschäftigten schaffen. Dies bedeutet mehr Niedriglöhne und Altersarmut.
Entlastung für Reiche?
Die AfD plädiert für einen Einheitssatz bei der Einkommenssteuer für alle, ganz egal ob einfache Krankenschwester, Chefarzt oder schwerreicher Millionär. Damit sind massive Einnahmeausfälle für den Staat vorprogrammiert. Die AfD nutzt die Ängste vieler Menschen vor dem sozialen Abstieg aus und suggeriert vermeintliche Steuergerechtigkeit.
Im Zeitmagazin fordert AfD-Vizechef Alexander Gauland: „Wir müssen die Grenzen dicht machen ..., man kann sich nicht von Kinderaugen erpressen lassen“ und vergleicht Schutzsuchende mit einem Wasserrohrbruch: „...den würde man auch abdichten“. Sogar deutsche Grenzen mit Schusswaffen gegen Flüchtlinge zu schützen, steht im Raum. Die AfD schürt Angst vor Integrationslösungen, vergiftet die Asyldebatte mit Warnungen vor dem „afrikanischen Ausbreitungstyp“ und drohender Islamisierung.
Stolz auf Deutschland?
In Sachsen-Anhalt will die AfD im Geschichtsunterricht weniger über die Nazi-Zeit reden und bezeichnet diese als „zwölf Unglücksjahre unserer Geschichte“. Gemäß einem Schlüsselthema des rechtsintellektuellen Milieus sollen nur positive Beispiele gelehrt werden, damit sich die SchülerInnen mit Stolz auf Deutschland berufen können. Und Theatern, Museen und Orchestern möchte die AfD vorschreiben, was sie zu zeigen und zu spielen haben – ein direkter Eingriff in die Freiheit der Kunst – und nennt dies „Identität stiftende“ Kulturpflege.
Inklusion von Menschen mit Behinderung wird als „ideologisch motiviertes Großexperiment“ abgelehnt, ebenso Sexualkundeunterricht als „Früh- und Hypersexualisierung“. Die AfD fordert ein Verbot von Lehrbüchern, die sich mit Homosexualität oder Transgender beschäftigen, die Thüringer Landtagsfraktion sogar eine Zählung aller Homosexuellen.
Offen für Zwangsarbeit
Hartz IV möchte die AfD in Baden-Württemberg durch eine „Bürgerarbeit“ als Ersatz für andere Förderprogramme, die bereits eingeschränkt oder abgeschafft wurden oder es noch werden sollen, ersetzen. Langzeitarbeitslose sollen zu Niedriglöhnen zur Arbeit unter dem Mindestlohn gezwungen werden. Mit dieser Zwangsmaßnahme erniedrigt die Partei die sozial schwachen Mitglieder der Gesellschaft und fördert ein Klima des Neids.
Weiters fordert die AfD ein sofortiges Ende des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) und ignoriert die Folgen der Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima. Als Ersatz für Atomenergie sieht die AfD nur die klimazerstörende Kohlekraft. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer sauberen und sicheren Energieversorgung werden ausgeblendet.
Der Extremismus-Experte Hajo Funke: „Die AfD will eine gegen Zuwanderung und Flüchtlinge gerichtete ethnisch-reine, völkische Nation und damit eine andere Republik. Sie ist die Partei der Mobilisierung des Ressentiments gegen Flüchtlinge, spricht von Notwehr und Widerstand und fördert damit Gewalt in einer durch die rassistische Bewegung und die gefährliche Steigerung der Gewalt gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte hoch aufgeladene Situation der Republik.“ Was die deutsche Bruderpartei der hiesigen FPÖ anzubieten hat ist also alles in allem ein Zurück in vergangene Zeiten.
Heike Fischer ist Diplompädagogin und Betriebsratsvorsitzende im Diakonie Zentrum Spattstraße Linz und GLB-Landesvorsitzende in OÖ