Gesetzliche Grauzone
- Montag, 13. April 2015 @ 10:51
Franz Grün über Streik und Recht
Anders als in Deutschland, wo Streiks seit den 1950Jahren einer gesetzlichen Regelung unterliegen gibt es in Österreich keine solche. Aber agieren Streikende in Österreich deshalb im rechtsfreien Raum und will man eine gesetzliche Regelung? Im Gegensatz zum Streikrecht ist das Abhalten von Betriebsversammlungen im Arbeitsverfassungsgesetz geregelt. Das hat den Vorteil, dass Teilnehmer_innen an einer Betriebsversammlung keinen Entlassungsgrund wie unbefugtes Verlassen des Arbeitsplatzes oder beharrliche Pflichtverletzung setzen. Der Nachteil: Betriebsversammlungen können gerichtlich untersagt werden. So geschehen 2003, als eine von AUA-Bordbetriebsräten einberufene Betriebsversammlung untersagt wurde.
Österreichische Arbeitnehmer_innen sind traditionell nicht sehr streikfreudig. Seit den 1990er Jahren wurde gleich sieben Mal (1994, 1996, 1998, 1999, 2001, 2005 und 2006) ein Nullwert verzeichnet. Die stärksten Streikjahre der jüngsten Vergangenheit gab es 2003 und 2011. Die Reformpläne der schwarzblauen Regierung 2003 bezüglich Pensionen, ÖBB, Unterricht sowie Sparpläne bei Post und AUA veranlassten den ÖGB Kampfmaßnahmen zu ergreifen. In diesem Jahr wurden 10,4 Millionen Streikstunden gezählt. Beteiligt waren damals knapp 780.000 Arbeitnehmer_innen. 2011 kann man insofern vernachlässigen, da auf jeden Streikenden knapp nur 7,9 Streikminuten kamen.
Geht man davon aus, dass Streiks in Österreich nur eine untergeordnete Rolle spielen, so kann man daraus schließen, dass ebenso das Streikrecht eine untergeordnete Rolle darstellt. Da es arbeitsrechtlich kaum Konsequenzen aus der Teilnahme an einem Streik gibt und daraus resultierend auch wenig bis gar keine Judikatur, ist das Thema Streikrecht eher theoretisch zu betrachten.
Der Harmoniekultur der Sozialpartnerschaft wird hauptsächlich die Tatsache zugesprochen, dass in Österreich nur sporadisch Arbeitskampfmaßnahmen ergriffen werden. Auch die in der Krise angespannte Wirtschaftslage und die damit einhergehenden Personalreduktionsmaßnahmen trafen Österreich weniger hart als andere europäische Länder. Dort kam es recht rasch zu Arbeitskampfmaßnahmen. Da die Krise entgegen anderen Behauptungen, so die Zahlen, noch lange nicht überwunden ist, kann man davon ausgehen, dass es im Zuge von KV-Verhandlungen zu Auseinandersetzungen kommen kann.
Sosehr sich die kuschelnden Sozialpartner auch in anderen Belangen einig sind, gibt es doch zwischen Wirtschaftskammer und ÖGB unterschiedliche Auffassungen zum Streikrecht. Für die WKO ist das Recht auf Streik verfassungsrechtlich nicht abgesichert, jedoch gibt es auch kein gesetzliches Verbot. Für sie stellt die Teilnahme an einem Streik einen Vertragsbruch des Arbeitnehmers dar, welcher bis zur Entlassung gehen könnte. Die einschlägigen Entlassungsgründe von Gewerbeordnung und Angestelltengesetz sind in so einem Fall das unbefugte Verlassen des Arbeitsplatzes bzw. beharrliche Pflichtverletzung. Fraglich ist jedoch, ob am Streik teilnehmenden Arbeitnehmer_innen der Verstoß gegen den Arbeitsvertrag auch vorwerfbar ist.
Der ÖGB sieht das Streikrecht naturgemäß anders. Vor allem weil die Gewerkschaft überhaupt kein Interesse an einem gesetzlichen Streikrecht hat. Bei einer gesetzlichen Regelung könnte der Gesetzgeber vorschreiben, für was Lohnabhängige kämpfen können.
Vielmehr vertritt man die Ansicht, dass das Streikrecht nicht nur durch die Verfassung und die Menschenrechtskonvention, sondern auch durch zahlreiche internationale Pakete und EU-Verträge, abgesichert ist. Dabei stützt sie sich auf Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskommission, welcher Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit beinhaltet. Auch das Übereinkommen 87 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) betreffend Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes wird genannt.
Spätestens seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages und mit ihm der EU-Grundrechtecharta am 1.12.2009 sind Arbeitskämpfe nicht nur mehr nach nationalem Recht zu betrachten. Nach Artikel 28 der Charta haben die Arbeitnehmer_innen sowie die Arbeitgeber_innen oder ihre jeweiligen Organisationen nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen. Bei Interessenkonflikten können kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, ergriffen werden.
Bleibt die Frage, wer denn nun Recht hat. Bis zur Klärung vor den zuständigen Gerichten wohl keiner oder beide. Fakt ist das die WKO kein gesetzliches Streikrecht und wohl auch den Bedarf eines solchen sieht. Der ÖGB welcher ein Streikrecht in Verfassung, EU-Recht und Menschenrechtskonventionen sieht, jedoch in einem gesetzlichen Streikrecht Einschränkungen befürchtet, hat ebenso wenig Interesse. Wen wundert es bei dieser harmonischen Sozialpartnerschaft.
Franz Grün ist Bundesekretär des GLBvida
Anders als in Deutschland, wo Streiks seit den 1950Jahren einer gesetzlichen Regelung unterliegen gibt es in Österreich keine solche. Aber agieren Streikende in Österreich deshalb im rechtsfreien Raum und will man eine gesetzliche Regelung? Im Gegensatz zum Streikrecht ist das Abhalten von Betriebsversammlungen im Arbeitsverfassungsgesetz geregelt. Das hat den Vorteil, dass Teilnehmer_innen an einer Betriebsversammlung keinen Entlassungsgrund wie unbefugtes Verlassen des Arbeitsplatzes oder beharrliche Pflichtverletzung setzen. Der Nachteil: Betriebsversammlungen können gerichtlich untersagt werden. So geschehen 2003, als eine von AUA-Bordbetriebsräten einberufene Betriebsversammlung untersagt wurde.
Österreichische Arbeitnehmer_innen sind traditionell nicht sehr streikfreudig. Seit den 1990er Jahren wurde gleich sieben Mal (1994, 1996, 1998, 1999, 2001, 2005 und 2006) ein Nullwert verzeichnet. Die stärksten Streikjahre der jüngsten Vergangenheit gab es 2003 und 2011. Die Reformpläne der schwarzblauen Regierung 2003 bezüglich Pensionen, ÖBB, Unterricht sowie Sparpläne bei Post und AUA veranlassten den ÖGB Kampfmaßnahmen zu ergreifen. In diesem Jahr wurden 10,4 Millionen Streikstunden gezählt. Beteiligt waren damals knapp 780.000 Arbeitnehmer_innen. 2011 kann man insofern vernachlässigen, da auf jeden Streikenden knapp nur 7,9 Streikminuten kamen.
Geht man davon aus, dass Streiks in Österreich nur eine untergeordnete Rolle spielen, so kann man daraus schließen, dass ebenso das Streikrecht eine untergeordnete Rolle darstellt. Da es arbeitsrechtlich kaum Konsequenzen aus der Teilnahme an einem Streik gibt und daraus resultierend auch wenig bis gar keine Judikatur, ist das Thema Streikrecht eher theoretisch zu betrachten.
Der Harmoniekultur der Sozialpartnerschaft wird hauptsächlich die Tatsache zugesprochen, dass in Österreich nur sporadisch Arbeitskampfmaßnahmen ergriffen werden. Auch die in der Krise angespannte Wirtschaftslage und die damit einhergehenden Personalreduktionsmaßnahmen trafen Österreich weniger hart als andere europäische Länder. Dort kam es recht rasch zu Arbeitskampfmaßnahmen. Da die Krise entgegen anderen Behauptungen, so die Zahlen, noch lange nicht überwunden ist, kann man davon ausgehen, dass es im Zuge von KV-Verhandlungen zu Auseinandersetzungen kommen kann.
Sosehr sich die kuschelnden Sozialpartner auch in anderen Belangen einig sind, gibt es doch zwischen Wirtschaftskammer und ÖGB unterschiedliche Auffassungen zum Streikrecht. Für die WKO ist das Recht auf Streik verfassungsrechtlich nicht abgesichert, jedoch gibt es auch kein gesetzliches Verbot. Für sie stellt die Teilnahme an einem Streik einen Vertragsbruch des Arbeitnehmers dar, welcher bis zur Entlassung gehen könnte. Die einschlägigen Entlassungsgründe von Gewerbeordnung und Angestelltengesetz sind in so einem Fall das unbefugte Verlassen des Arbeitsplatzes bzw. beharrliche Pflichtverletzung. Fraglich ist jedoch, ob am Streik teilnehmenden Arbeitnehmer_innen der Verstoß gegen den Arbeitsvertrag auch vorwerfbar ist.
Der ÖGB sieht das Streikrecht naturgemäß anders. Vor allem weil die Gewerkschaft überhaupt kein Interesse an einem gesetzlichen Streikrecht hat. Bei einer gesetzlichen Regelung könnte der Gesetzgeber vorschreiben, für was Lohnabhängige kämpfen können.
Vielmehr vertritt man die Ansicht, dass das Streikrecht nicht nur durch die Verfassung und die Menschenrechtskonvention, sondern auch durch zahlreiche internationale Pakete und EU-Verträge, abgesichert ist. Dabei stützt sie sich auf Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskommission, welcher Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit beinhaltet. Auch das Übereinkommen 87 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) betreffend Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes wird genannt.
Spätestens seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages und mit ihm der EU-Grundrechtecharta am 1.12.2009 sind Arbeitskämpfe nicht nur mehr nach nationalem Recht zu betrachten. Nach Artikel 28 der Charta haben die Arbeitnehmer_innen sowie die Arbeitgeber_innen oder ihre jeweiligen Organisationen nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen. Bei Interessenkonflikten können kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, ergriffen werden.
Bleibt die Frage, wer denn nun Recht hat. Bis zur Klärung vor den zuständigen Gerichten wohl keiner oder beide. Fakt ist das die WKO kein gesetzliches Streikrecht und wohl auch den Bedarf eines solchen sieht. Der ÖGB welcher ein Streikrecht in Verfassung, EU-Recht und Menschenrechtskonventionen sieht, jedoch in einem gesetzlichen Streikrecht Einschränkungen befürchtet, hat ebenso wenig Interesse. Wen wundert es bei dieser harmonischen Sozialpartnerschaft.
Franz Grün ist Bundesekretär des GLBvida