Gegen das Arbeitsgesetz „El Khomri“
- Montag, 11. Juli 2016 @ 17:19
Stefan Gredler über Frankreich im Widerstand
„Der Klassenkampf ist keine Idee, er ist Realität“, sagt Benjamin Amar in einem TV-Interview Ende Mai. Er ist der Verantwortliche der politischen Forderungen der Confédération générale du travail (CGT), der stärksten Gewerkschaft Frankreichs. Obwohl in Österreich nur wenig davon berichtet wird, befindet sich Frankreich seit Anfang März dauerhaft in einem massiven Konflikt zwischen der von der Parti socialiste (PS) geführten Regierung auf der einen Seite – der Jugend, den ArbeiterInnen, Arbeitslosen als auch den Gewerkschaften auf der anderen.
Grund dafür ist das neue Arbeitsgesetz „El Khomri“, benannt nach der amtierenden Arbeitsministerin, das die Regierung mit aller Kraft versucht durchzusetzen. Doch das scheitert bis jetzt nicht nur am Fehlen einer parlamentarischen Mehrheit, sondern vor allem am massiven Widerstand auf der Straße, in den Schulen und den Betrieben. Das Gesetz sieht vor, die 35-Stunden-Woche endgültig zu beseitigen – eine hart erkämpfte Errungenschaft, die ohnehin schon durch Überstundenregelungen bei der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung ausgehöhlt wurde.
Weiters soll „El Khomri“ den Rahmen des Arbeitstages auf zwölf Stunden, die Arbeitswoche auf 48 und in einzelnen Fällen sogar auf 60 Stunden pro Woche ausweiten. Der Artikel 2 des Gesetzes soll es ermöglichen, sich durch Betriebsvereinbarungen und -abstimmungen über Kollektivverträge und das allgemeine Arbeitsgesetz hinwegzusetzen.
Die kapitalistische Krise soll auf den Rücken der Bevölkerung gelastet, die Wirtschaft wettbewerbsfit gemacht und die Ausbeutung der Arbeitskraft massiv erhöht werden. „El Khomri“ bedeutet eine soziale Konterrevolution, die sich klar gegen die Errungenschaften der kämpferischen ArbeiterInnenbewegung Frankreichs richtet. Es ist die von Francois Hollande geführte „linke“ Regierung, die diesen Vorstoß führt. Obwohl die Regierung versucht, den neuen Gesetzesvorstoß als „Zukunftspaket“ zu verkaufen, ist den meisten Menschen bewusst, dass es hier nicht um die Zukunft der Bevölkerung, sondern um die Zukunft der Profite der großen Konzerne und Betriebe geht. Hollandes Regierung ist somit die unbeliebteste in der Geschichte der 5. Republik.
Demonstrationen, Platzbesetzungen, Streiks und Blockaden haben sich in den vergangenen Monaten über das ganze Land ausgebreitet, sind wieder zurückgegangen, um sich dann erneut auszubreiten. Die Regierung antwortet mit massiver Gewalt. Anfangs war vor allem die Jugend die Speerspitze der Bewegung. Schulen wurden blockiert, Demonstrationen von Jugendlichen angeführt. Ende März entstand die „Nuit-Debut“-Bewegung („Aufrecht durch die Nacht“). Zentrale Plätze wurden im ganzen Land besetzt, Menschen aus den verschiedensten Zugängen kamen zusammen um zu diskutieren. Dort, wo konkrete Aktionen geplant und organisiert wurden, existiert „Nuit Debout“ noch immer.
Besonders die französische Gewerkschaftsbewegung entdeckt ihre kämpferischen Traditionen neu. Seit Anfang März hat es zehn landesweite Aktionstage gegeben. Am 31. März beteiligten sich bundesweit 1,5 Millionen Menschen, am 14. Juni demonstrierten in Paris rund eine Million Menschen. Außer der PS-nahen CFDT stellen sich die Gewerkschaften, wie zum Beispiel SUD Solidaires, FSU oder Force ouvrière gegen das Arbeitsgesetz. Die Speerspitze des gewerkschaftlichen Widerstandes ist jedoch klar die CGT, sie scheint omnipräsent auf den Demonstrationen und den Streikposten.
Hunderte lokale Arbeitskämpfe verschmelzen im Großen zum politischen Widerstand gegen das Arbeitsgesetz. Besonders während der Mai-Wochen kommt es zu einem massiven Anstieg von Streiks und sogar Blockaden. Zeitweise streiken die Flughäfen, die Bahn und die Metro zur selben Zeit. Häfen werden bestreikt, sodass in Marseille mehr als 30 Schiffe und Frachter darauf warten müssen betankt zu werden. Die Kohle-Depots und Öl-Raffinerien werden blockiert, und den Tankstellen geht das Benzin und der Diesel aus. Auch Atomkraftwerke werden bestreikt und die Energieproduktion runtergefahren. Der Zentrale des Arbeitgeber-Verbandes MEDEF und der Bühne von Francois Hollande in Bordeaux wird der Strom abgedreht, während er bei sozial Schwachen wieder aufgedreht wird.
Es sind Streiks, die also das kapitalistische System in seinen Grundfesten treffen, nämlich dort, wo sie jede und jeder spüren kann. Und trotz Stromausfällen, Benzinengpässen, ausgefallenen Zügen und massiver medialer Hetze gegen die Bewegung lehnen nach wie vor 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung das Arbeitsgesetz ab. Frankreich hat einen gewerkschaftlichen Organisierungsgrad von 7,7 Prozent. Der Widerstand gegen „El Khomri“ zeigt: nicht die Anzahl von Mitgliedern ist wichtig, sondern ein kämpferisches Programm und eine kämpferische Praxis.
Die organisierten ArbeiterInnen sind nach den ersten kämpferischen Monaten müde, aber entschlossen – dieses Arbeitsgesetz darf nicht durchgehen. Der Sieg gegen „El Khomri“ könnte die ArbeiterInnenbewegung europaweit stärken. In Belgien ist für Oktober ein Generalstreik gegen ein ähnliches Gesetz fixiert, in Österreich erwarten uns im Herbst weitere Attacken seitens der Arbeitgeber – darauf braucht es französische Antworten.
Stefan Gredler ist Aktivist der SLP in Wien. Infos und Fragen unter stefan.gredler@slp.at
„Der Klassenkampf ist keine Idee, er ist Realität“, sagt Benjamin Amar in einem TV-Interview Ende Mai. Er ist der Verantwortliche der politischen Forderungen der Confédération générale du travail (CGT), der stärksten Gewerkschaft Frankreichs. Obwohl in Österreich nur wenig davon berichtet wird, befindet sich Frankreich seit Anfang März dauerhaft in einem massiven Konflikt zwischen der von der Parti socialiste (PS) geführten Regierung auf der einen Seite – der Jugend, den ArbeiterInnen, Arbeitslosen als auch den Gewerkschaften auf der anderen.
Grund dafür ist das neue Arbeitsgesetz „El Khomri“, benannt nach der amtierenden Arbeitsministerin, das die Regierung mit aller Kraft versucht durchzusetzen. Doch das scheitert bis jetzt nicht nur am Fehlen einer parlamentarischen Mehrheit, sondern vor allem am massiven Widerstand auf der Straße, in den Schulen und den Betrieben. Das Gesetz sieht vor, die 35-Stunden-Woche endgültig zu beseitigen – eine hart erkämpfte Errungenschaft, die ohnehin schon durch Überstundenregelungen bei der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung ausgehöhlt wurde.
Weiters soll „El Khomri“ den Rahmen des Arbeitstages auf zwölf Stunden, die Arbeitswoche auf 48 und in einzelnen Fällen sogar auf 60 Stunden pro Woche ausweiten. Der Artikel 2 des Gesetzes soll es ermöglichen, sich durch Betriebsvereinbarungen und -abstimmungen über Kollektivverträge und das allgemeine Arbeitsgesetz hinwegzusetzen.
Die kapitalistische Krise soll auf den Rücken der Bevölkerung gelastet, die Wirtschaft wettbewerbsfit gemacht und die Ausbeutung der Arbeitskraft massiv erhöht werden. „El Khomri“ bedeutet eine soziale Konterrevolution, die sich klar gegen die Errungenschaften der kämpferischen ArbeiterInnenbewegung Frankreichs richtet. Es ist die von Francois Hollande geführte „linke“ Regierung, die diesen Vorstoß führt. Obwohl die Regierung versucht, den neuen Gesetzesvorstoß als „Zukunftspaket“ zu verkaufen, ist den meisten Menschen bewusst, dass es hier nicht um die Zukunft der Bevölkerung, sondern um die Zukunft der Profite der großen Konzerne und Betriebe geht. Hollandes Regierung ist somit die unbeliebteste in der Geschichte der 5. Republik.
Demonstrationen, Platzbesetzungen, Streiks und Blockaden haben sich in den vergangenen Monaten über das ganze Land ausgebreitet, sind wieder zurückgegangen, um sich dann erneut auszubreiten. Die Regierung antwortet mit massiver Gewalt. Anfangs war vor allem die Jugend die Speerspitze der Bewegung. Schulen wurden blockiert, Demonstrationen von Jugendlichen angeführt. Ende März entstand die „Nuit-Debut“-Bewegung („Aufrecht durch die Nacht“). Zentrale Plätze wurden im ganzen Land besetzt, Menschen aus den verschiedensten Zugängen kamen zusammen um zu diskutieren. Dort, wo konkrete Aktionen geplant und organisiert wurden, existiert „Nuit Debout“ noch immer.
Besonders die französische Gewerkschaftsbewegung entdeckt ihre kämpferischen Traditionen neu. Seit Anfang März hat es zehn landesweite Aktionstage gegeben. Am 31. März beteiligten sich bundesweit 1,5 Millionen Menschen, am 14. Juni demonstrierten in Paris rund eine Million Menschen. Außer der PS-nahen CFDT stellen sich die Gewerkschaften, wie zum Beispiel SUD Solidaires, FSU oder Force ouvrière gegen das Arbeitsgesetz. Die Speerspitze des gewerkschaftlichen Widerstandes ist jedoch klar die CGT, sie scheint omnipräsent auf den Demonstrationen und den Streikposten.
Hunderte lokale Arbeitskämpfe verschmelzen im Großen zum politischen Widerstand gegen das Arbeitsgesetz. Besonders während der Mai-Wochen kommt es zu einem massiven Anstieg von Streiks und sogar Blockaden. Zeitweise streiken die Flughäfen, die Bahn und die Metro zur selben Zeit. Häfen werden bestreikt, sodass in Marseille mehr als 30 Schiffe und Frachter darauf warten müssen betankt zu werden. Die Kohle-Depots und Öl-Raffinerien werden blockiert, und den Tankstellen geht das Benzin und der Diesel aus. Auch Atomkraftwerke werden bestreikt und die Energieproduktion runtergefahren. Der Zentrale des Arbeitgeber-Verbandes MEDEF und der Bühne von Francois Hollande in Bordeaux wird der Strom abgedreht, während er bei sozial Schwachen wieder aufgedreht wird.
Es sind Streiks, die also das kapitalistische System in seinen Grundfesten treffen, nämlich dort, wo sie jede und jeder spüren kann. Und trotz Stromausfällen, Benzinengpässen, ausgefallenen Zügen und massiver medialer Hetze gegen die Bewegung lehnen nach wie vor 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung das Arbeitsgesetz ab. Frankreich hat einen gewerkschaftlichen Organisierungsgrad von 7,7 Prozent. Der Widerstand gegen „El Khomri“ zeigt: nicht die Anzahl von Mitgliedern ist wichtig, sondern ein kämpferisches Programm und eine kämpferische Praxis.
Die organisierten ArbeiterInnen sind nach den ersten kämpferischen Monaten müde, aber entschlossen – dieses Arbeitsgesetz darf nicht durchgehen. Der Sieg gegen „El Khomri“ könnte die ArbeiterInnenbewegung europaweit stärken. In Belgien ist für Oktober ein Generalstreik gegen ein ähnliches Gesetz fixiert, in Österreich erwarten uns im Herbst weitere Attacken seitens der Arbeitgeber – darauf braucht es französische Antworten.
Stefan Gredler ist Aktivist der SLP in Wien. Infos und Fragen unter stefan.gredler@slp.at