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Frauenenquete Körper-Politiken

  • Mittwoch, 23. Januar 2013 @ 16:12
Meinung Von Bärbel Mende-Danneberg

Die zweite Frauenenquete, von der Plattform 20000frauen gemeinsam mit dem Frauenministerium organisiert, machte neue Dimensionen von Herrschaft über Frauenkörper sichtbar und formulierte feministische Positionen. Parallel zu den Krisenerscheinungen und Zerfallsprozessen des neoliberalen Kapitalismus steigen frauenverachtende Darstellungen in Medien und Werbung, Vermarktung und Zurichtung weiblicher Körper durch die „Schönheits“-Industrie und Pornografisierung des öffentlichen Raumes. Denn das Körperbild der Frau ist als Spiegelbild der Gesellschaft nie frei von politischen und sozialen Konfrontationen und von Herrschaftsinteressen gewesen.

„Frauen müssen gegen unrealistische Ideale ankämpfen“, meinte die Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien, Beate Wimmer-Puchinger, in ihrem Beitrag und berichtete von besorgniserregenden Studien über Essstörungen. In diesem Zusammenhang prangerte sie die Topmodel-Shows im Fernsehen an, die an Körpermobbing grenzen und jungen Mädchen eine falsche Selbsteinschätzung ihres Körpergefühls vermitteln. So etwa zeige eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wie sehr Selbsteinschätzung und tatsächliches Körperbild beim Thema Gewicht auseinanderklaffen: 40 Prozent der befragten Mädchen würden sich als zu dick empfinden, während das aber bei nur zehn Prozent ein reales Problem sei.

Die ungelöste Körperfrage spiegele Herrschafts-, Macht- und Klassenfragen, führte Lisbeth N. Trallori, feministische Wissenschaftlerin an den Universitäten Wien, Graz und Klagenfurt, in ihrem Referat aus und forderte eine feministische Reflexion ein. Denn „gleichzeitig ist die Körperfrage ein Machtfaktor zwischen den Geschlechtern." In einem großen historischen Bogen veranschaulichte Trallori das Wechselverhältnis von Körper und Gesellschaft und benannte die Schnittstellen von persönlichen und Außeninteressen und inwieweit Besitz und Eigentum eine patriarchale Kontrolle über die Reproduktion sichern. Heute hätten Biotechnologie und Fertilisationsindustrie die Weiblichkeit und deren Körperlichkeit für sich und gegen die Frauen vereinnahmt.

Unter dem Mäntelchen der Freiwilligkeit würden Frauen in der neoliberalen Ära zu Konsumentinnen und Produzentinnen von Körperteilen - Stichwort Leihmutterschaft, Eizellenverkauf - degradiert. Neue Dimensionen der Herrschaft würden sich in den Technologien zur Formung, Erfindung und Vermarktung des „Selbst“ offenbaren. Auf den „Körpermärkten“ würde eine Vulgarisierung von Körperlichkeit über Prostitution, Frauen- und Kinderhandel bis hin zu körperlosem Sex stattfinden, oftmals überlagert von körperlicher Gewalt.

Die Medienwissenschaftlerin und Professorin an der Kunsthochschule Köln, Marie-Luise Angerer, wollte nicht nur den Medien die Schuld an idealisierten Körperbildern zuzuschieben. Vielmehr hätte sich die Wahrnehmung des Körpers seit den 70-er Jahren, als dieser durch feministische Theorien kritisch hinterfragt wurde, grundlegend geändert. Sexualität sei nicht mehr an Fortpflanzung gebunden.

Die Bilder von Cyber-Mädchen würden diese Verschiebung seit den 1970er Jahren erkennen lassen. Sexualität sei eine Lust unter anderen und nicht mehr konfrontativ, sondern langweilig durch den Abnutzungs-Überfluss von Bildern. Der libidinöse Rückzug lasse in der Facebook-Generation neue Rituale entstehen, die eine Enttabuisierung bei der Zuschaustellung des Körpers bis hin zur Pornografisierung erkennen lassen. Es gehe heute darum, das „erotische Kapital“ zu vermehren.

Seit den 1990er Jahren sei der Körper in Theorie und Praxis wieder ins Zentrum von Intervention und „Wahrheit“ gerückt und enthusiastisch inszeniert als Mittelpunkt eines konsumorientierten kapitalistischen Marktes. Angerer: „Seitdem wird in die Körper der Industrieländer investiert, während andere Körper mehr und mehr zum Ersatzteillager umfunktioniert worden sind. Körper, Gesundheit und Politik erweisen sich vor diesem Hintergrund als prekäre Praxis eines lebendigen Einsatzes.“

Bärbel Mende-Danneberg ist Journalistin in Wien