Die Generation Praktikum
- Samstag, 21. November 2015 @ 11:38
Leo Furtlehner über den Zwang zur Billig- oder Gratisarbeit
Neoliberale Politik predigt optimale Bildung, ständige Weiterqualifizierung und lebenslanges Lernen als Voraussetzung für gute Jobs. Aber wer diesen schönen Worten glaubt, wird bitter enttäuscht. Zwar zeigen die diversen Arbeitslosenstatistiken eindeutig, dass Menschen mit geringer Bildung und Ausbildung überproportional von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen sind. Doch gehen auch die Arbeitslosenkurven von Menschen mit guter Qualifikation oder sogar von Akademiker_innen zunehmend nach oben.
Prekär als Normalzustand
Heute ist es bereits Normalzustand, dass auch Menschen mit akademischen Abschluss keinen fixen Arbeitsplatz bekommen, sondern sich Jahr für Jahr von einem Projekt zum nächsten dahinwursteln müssen. Vorreiter dabei ist ausgerechnet die öffentliche Hand. Gar nicht zu reden von den tausenden Vereinen, etwa im Kulturbereich, die finanziell bei den Subventionen kurzgehalten werden und faktisch von der Hand in den Mund leben müssen und zum Zwang der Selbstausbeutung verdammt werden.
Insbesondere hat es sich aber eingebürgert, dass Studierende und Akademiker_innen zu gering bezahlten oder gar unbezahlten Praktika als Voraussetzung überhaupt einen Job zu bekommen gezwungen werden. Dabei ist es üblich, dass auch eine 40-Stundenwoche mit lediglich 600 Euro entlohnt wird und solche Praktika durchaus auch für zwölf Monate angelegt sind, sich aber bald herausstellt, dass es sich nicht um einen Teil der akademischen Ausbildung, sondern um einen ganz normalen Job handelt.
Etwa 280.000 junge Menschen zwischen 15 und 30 Jahren sind jährlich von solchen Praktika betroffen. Allerdings ist beim Begriff Praktikum zwischen einem mit der Ausbildung verbundenen Pflichtpraktikum, einem zum „Schnuppern“ gedachten Volontariat und einem Ferialpraktikum als Ferialjob zu unterscheiden.
Watchlist Praktikum
Welche Brisanz mit diesen Umgehungsverträgen für junge Berufseinsteiger_innen verbunden ist, wird an der von der Gewerkschaft GPA-djp eingerichteten Onlineplattform „Watchlist Praktikum“ (watchlist-praktikum.at) deutlich, auf welcher bereits im ersten Dreivierteljahr mehr als 65.000 Klicks verzeichnet wurden, mit welchen Betroffene ihre prekäre Lage schildern.
Mehr als 200 konkrete Fälle Betroffener, die deutlich unterbezahlt oder zum Nulltarif als „Praktikant_innen“ arbeiten wurden von der Gewerkschaft an die zuständige Gebietskrankenkasse weitergeleitet. Die Zahl der Fälle, in denen wir Rechtshilfe leisten, ist ebenso im Steigen begriffen. GPA-Chef Wolfgang Katzian meinte durchaus zu Recht „Es gibt keine schwarzen Schafe unter den Unternehmen, sondern eine nach wie vor nicht zu unterschätzende schwarze Herde von Betrieben“.
Die Vielzahl von Inseraten mit unzumutbaren, illegalen Arbeitsbedingungen und Entlohnungsmodalitäten zeigt den großen Handlungsbedarf, auch in Hinblick auf Anzeigen und Klagen nach dem Lohn- und Sozialdumpinggesetz und die Forderungen nach Entlohnung von Praktikant_innen nach Kollektivvertrag, Definition der Lehrinhalte von Praktika in den Hochschullehrplänen und Beweislastumkehr, sodass Unternehmen erklären müssen, wie sie Berufseinsteiger_innen ausbilden.
Missbrauchskultur der Unternehmen
Dass viele Studienpläne Praktika vorschreiben, nutzen immer mehr Unternehmen dafür, junge Menschen auszubeuten, indem sie schlecht bezahlt oder zum Nulltarif als Urlaubsvertretungen beschäftigt werden und kaum etwas lernen. Unter dem Titel Praktika hat sich seit geraumer Zeit eine Missbrauchskultur durchgesetzt, die für die Betroffenen untragbar geworden ist.
Theoretisch soll Praktikum Ausbildung bedeuten, praktisch wird Praktikum freilich zur Ausbeutung und die Methode hat sich auf alle Branchen und auch auf jedes Ausbildungsniveau ausgedehnt. Viele Studierende, aber auch Jugendliche die eine Lehrstelle suchen oder auf Weisung des AMS auch ältere Arbeitssuchende werden als Billigarbeitskräfte missbraucht – ohne Mehrwert für Studium oder Beruf.
Damit werden einer ganzen Generation best ausgebildeter Menschen schlechtere Arbeitsverhältnisse als den Generationen vor ihr zwangsverordnet und viele Unternehmen verdienen sich dabei eine goldene Nase. Haben sie doch eine Supermethode gefunden, hohe Leistungen für wenig oder gar kein Geld zu verlangen und damit die Personalkosten zu drücken. Zu Recht hat sich für die tausenden Jungakademiker_innen schon vor zehn Jahren der Begriff „Generation Praktikum“ eingebürgert, als deren Fortsetzung das System von Werkverträgen oder freien Dienstverträgen gilt.
Deutlich wird das etwa daran, dass 54 Prozent der Wirtschaftskammer-Mitglieder Ein-Personen-Unternehmen (EPU) sind, zum allergrößten Teil Menschen, denen anstelle eines regulären Beschäftigungsverhältnisses eine Scheinselbständigkeit aufgezwungen wird. Kein Wunder, dass sich sowohl die WKO als auch die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA) weigern, genaue Zahlen über diese Grauzone zu veröffentlichen. Das Thema aufgegriffen hat hingegen die gewerkschaftliche Plattform Watchlist Prekär (watchlist.prekaer.at).
Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“
Neoliberale Politik predigt optimale Bildung, ständige Weiterqualifizierung und lebenslanges Lernen als Voraussetzung für gute Jobs. Aber wer diesen schönen Worten glaubt, wird bitter enttäuscht. Zwar zeigen die diversen Arbeitslosenstatistiken eindeutig, dass Menschen mit geringer Bildung und Ausbildung überproportional von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen sind. Doch gehen auch die Arbeitslosenkurven von Menschen mit guter Qualifikation oder sogar von Akademiker_innen zunehmend nach oben.
Prekär als Normalzustand
Heute ist es bereits Normalzustand, dass auch Menschen mit akademischen Abschluss keinen fixen Arbeitsplatz bekommen, sondern sich Jahr für Jahr von einem Projekt zum nächsten dahinwursteln müssen. Vorreiter dabei ist ausgerechnet die öffentliche Hand. Gar nicht zu reden von den tausenden Vereinen, etwa im Kulturbereich, die finanziell bei den Subventionen kurzgehalten werden und faktisch von der Hand in den Mund leben müssen und zum Zwang der Selbstausbeutung verdammt werden.
Insbesondere hat es sich aber eingebürgert, dass Studierende und Akademiker_innen zu gering bezahlten oder gar unbezahlten Praktika als Voraussetzung überhaupt einen Job zu bekommen gezwungen werden. Dabei ist es üblich, dass auch eine 40-Stundenwoche mit lediglich 600 Euro entlohnt wird und solche Praktika durchaus auch für zwölf Monate angelegt sind, sich aber bald herausstellt, dass es sich nicht um einen Teil der akademischen Ausbildung, sondern um einen ganz normalen Job handelt.
Etwa 280.000 junge Menschen zwischen 15 und 30 Jahren sind jährlich von solchen Praktika betroffen. Allerdings ist beim Begriff Praktikum zwischen einem mit der Ausbildung verbundenen Pflichtpraktikum, einem zum „Schnuppern“ gedachten Volontariat und einem Ferialpraktikum als Ferialjob zu unterscheiden.
Watchlist Praktikum
Welche Brisanz mit diesen Umgehungsverträgen für junge Berufseinsteiger_innen verbunden ist, wird an der von der Gewerkschaft GPA-djp eingerichteten Onlineplattform „Watchlist Praktikum“ (watchlist-praktikum.at) deutlich, auf welcher bereits im ersten Dreivierteljahr mehr als 65.000 Klicks verzeichnet wurden, mit welchen Betroffene ihre prekäre Lage schildern.
Mehr als 200 konkrete Fälle Betroffener, die deutlich unterbezahlt oder zum Nulltarif als „Praktikant_innen“ arbeiten wurden von der Gewerkschaft an die zuständige Gebietskrankenkasse weitergeleitet. Die Zahl der Fälle, in denen wir Rechtshilfe leisten, ist ebenso im Steigen begriffen. GPA-Chef Wolfgang Katzian meinte durchaus zu Recht „Es gibt keine schwarzen Schafe unter den Unternehmen, sondern eine nach wie vor nicht zu unterschätzende schwarze Herde von Betrieben“.
Die Vielzahl von Inseraten mit unzumutbaren, illegalen Arbeitsbedingungen und Entlohnungsmodalitäten zeigt den großen Handlungsbedarf, auch in Hinblick auf Anzeigen und Klagen nach dem Lohn- und Sozialdumpinggesetz und die Forderungen nach Entlohnung von Praktikant_innen nach Kollektivvertrag, Definition der Lehrinhalte von Praktika in den Hochschullehrplänen und Beweislastumkehr, sodass Unternehmen erklären müssen, wie sie Berufseinsteiger_innen ausbilden.
Missbrauchskultur der Unternehmen
Dass viele Studienpläne Praktika vorschreiben, nutzen immer mehr Unternehmen dafür, junge Menschen auszubeuten, indem sie schlecht bezahlt oder zum Nulltarif als Urlaubsvertretungen beschäftigt werden und kaum etwas lernen. Unter dem Titel Praktika hat sich seit geraumer Zeit eine Missbrauchskultur durchgesetzt, die für die Betroffenen untragbar geworden ist.
Theoretisch soll Praktikum Ausbildung bedeuten, praktisch wird Praktikum freilich zur Ausbeutung und die Methode hat sich auf alle Branchen und auch auf jedes Ausbildungsniveau ausgedehnt. Viele Studierende, aber auch Jugendliche die eine Lehrstelle suchen oder auf Weisung des AMS auch ältere Arbeitssuchende werden als Billigarbeitskräfte missbraucht – ohne Mehrwert für Studium oder Beruf.
Damit werden einer ganzen Generation best ausgebildeter Menschen schlechtere Arbeitsverhältnisse als den Generationen vor ihr zwangsverordnet und viele Unternehmen verdienen sich dabei eine goldene Nase. Haben sie doch eine Supermethode gefunden, hohe Leistungen für wenig oder gar kein Geld zu verlangen und damit die Personalkosten zu drücken. Zu Recht hat sich für die tausenden Jungakademiker_innen schon vor zehn Jahren der Begriff „Generation Praktikum“ eingebürgert, als deren Fortsetzung das System von Werkverträgen oder freien Dienstverträgen gilt.
Deutlich wird das etwa daran, dass 54 Prozent der Wirtschaftskammer-Mitglieder Ein-Personen-Unternehmen (EPU) sind, zum allergrößten Teil Menschen, denen anstelle eines regulären Beschäftigungsverhältnisses eine Scheinselbständigkeit aufgezwungen wird. Kein Wunder, dass sich sowohl die WKO als auch die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA) weigern, genaue Zahlen über diese Grauzone zu veröffentlichen. Das Thema aufgegriffen hat hingegen die gewerkschaftliche Plattform Watchlist Prekär (watchlist.prekaer.at).
Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“