Die dunkle Seite der Volkshilfe
- Dienstag, 24. Februar 2015 @ 14:14
Erwin Riess zum Thema Pflege
Anläßlich eines Symposiums über „Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich unter besonderer Berücksichtigung der Stiftungsvermögen und der weiblichen Altersarmut“ hatte der Dozent seinen Freund Groll auf Kosten der Paris Lodron-Universität als Begleiter eingeladen. Dummerweise waren die beiden mit Grolls betagtem Kleinwagen im Salzburger Frühverkehr stecken geblieben. Sie wären eine halbe Stunde verspätet zur Eröffnung gekommen, wenn sie sich nicht auf dem Weg von der Garage zum Vortragssaal verlaufen hätten. So kamen sie zwei Stunden zu spät, weil sie sich in dem mächtigen Stahlbetonbau auch noch verirrten.
Groll zeigte sich von der modernen Universität sehr angetan. „Falls man den richtigen Eingang erwischt, findet man sich in einem Labyrinth gleich aussehender Gänge und Stockwerke wieder, wodurch allerlei Kurzweil in die Bildungsanstalt einzieht. Die Hälfte der Studierenden ist auf der Suche nach Seminarräumen, die andere Hälfte irrt verloren umher. Behinderte Studierende sind vorzüglich integriert, es gibt barrierefreie Räume, Toiletten und Parkplätze in der Tiefgarage.
Und die Behindertensprecherin Christiane Steger bringt das Kunststück zustande, einem am Telephon jeden Wunsch von den Augen abzulesen, bemerkte Groll zum Dozenten, der von Minute zu Minute ungeduldiger wurde. „Wäre da nicht das leidige Orientierungsproblem, man fühlte sich rundum wohl“, versuchte er den Dozenten zu beruhigen, während sie einen Gang auf der Suche nach dem Festsaal entlangeilten. Sie wunderten sich zwar über die vielen Uniformierten, dachten sich aber nichts dabei.
Als Groll erwähnte, dass der Namensgeber der Universität Fürsterzbischof Paris Lodron, Sproß einer noblen Adelsfamilie aus Rovereto, es während des Dreißigjährigen Krieges durch Hochrüstung geschafft hatte, Salzburg aus den Kämpfen herauszuhalten, war klar, dass Uniformierte seither in Salzburg hoch im Kurs stehen.
Sie erhielten kryptische Auskünfte, begegneten verstörten Studenten und Uniformierten. Schließlich ließ der Dozent sich erschöpft auf einer Bank nieder. Um von der misslichen Lage abzulenken, erzählte er von dem Geschäftsführer des Volkshilfe, Herrn Fenninger, er habe ihn neulich im Radio gehört (Ö 1, 1.11.2014). „Er sprach über Demenz, gemeinsam mit seiner Frau hat er zu dieser Frage ein Buch verfasst. Der Vortrag war etwas salbungsvoll, aber in der Sache nicht falsch. Es gehe vor allem darum, dass man demenzkranken Menschen ihre Würde belasse und nicht mit Mitleid traktiere.
„Das freut mich aber für den Herrn Fenninger“, sagte Groll. „Daß er sich der Demenz-Frage widmet?“ Der Dozent kramte in seiner Aktentasche. „Es freut mich, dass der Mann eine multiple Persönlichkeit aufweist und damit gut lebt.“ Er bitte um eine Erklärung, sagte der Dozent und zog ein kleines Notebook aus seiner Tasche.
„Der gute Herr Fenninger sitzt im Stiftungsrat des ORF, und zwar als Vertreter der behinderten Menschen“, sagte Groll. „Nun muß man wissen, dass all die Jahre ein betroffener behinderter Mensch in diesem Aufsichtsrat des ORF Sitz und Stimme hatte. Von den Behindertenverbänden nominiert, gelang es doch hin und wieder, den Forderungen dieser Bevölkerungsgruppe Gehör zu verschaffen. Auch bei der letzten Wahl und Bestellung der Stiftungsräte, die in Österreich mehrheitlich von den Parteien nominiert werden, erstellten die Behindertenverbände einen Dreiervorschlag von erfahrenen und selbst betroffenen Behindertenpolitikern.
Dieses Mal geruhte der Bundeskanzler, den Herrn Fenninger als Sprecher für die behinderten Menschen zu bestimmen und die betroffenen Behinderten zu ignorieren. Herr Fenninger hat keine Ahnung von der Independent Living Bewegung, der weltweiten autonomen Menschenrechtsorganisation behinderter Menschen, die einem Grundsatz folgt, dem Expertentum in eigener Sache: Nothing about us without us. Noch dazu fand er es nie der Mühe wert, die behinderten Menschen um Rat oder Vorschläge zu fragen. Er masst sich an, eine Gruppe zu vertreten, die die Volkshilfe in der Pflegegeldfrage oft genug als Gegner erlebte. Dienstleistervereine haben andere Interessen als behinderte Menschen.
Angesichts des beabsichtigten neuerlichen Abbaus des Pflegegeldes – diesmal trifft es wieder alte Menschen und da wiederum Frauen (die SPÖ verstärkt damit die weibliche Altersarmut), wundert es nicht, dass von der Volkshilfe und der Behindertensprecherin im Parlament - auch sie nicht betroffen, auch sie von der Volkshilfe - kein Protest gegen den feigen Sozialabbau zu vernehmen war. Behindertenanwalt Buchinger bezeichnet diese Vorgangsweise als Skandal erster Ordnung. Wenn ich nun sagen würde, dass dieser Herr Fenninger, der Chef der Volkshilfe, ein Schönredner und Schaumschläger ist, würden Sie mir in den Arm fallen?“
Der Dozent wollte antworten, wurde aber von einem Uniformierten unterbrochen. Ob er den beiden Herren helfen könne, sie befänden sich in der Bundespolizeidirektion Salzburg, er sei für den reibungslosen Parteienverkehr verantwortlich.
Erwin Riess ist Schriftsteller in Wien
Erwin Riess, zuletzt: „Der Zorn der Eleonore Batthyány“, Theatermonolog für das Winterpalais / Finanzministerium, Regie: Karl Baratta, mit Johanna Orsini-Rosenberg, Wiederaufnahme im Oktober 2015. Und: „Herr Groll und das Ende der Wachau“, der fünfte Groll-Roman, Otto Müller Verlag, Salzburg
„Erwin Riess ist das Kunststück gelungen, für eine Unsumme von überraschenden Motiven, witzigen Flunkereien und brisanten Themen eine schlüssige literarische Form gefunden und damit der Gewinnmaximierungsgesellschaft entlang beider Ufer der Donau ein wahrhaftiges Zerrbild gewonnen zu haben. Sie werden lachen, es empfiehlt sich, dies und alles andere nachzulesen.“ Kurt Neumann, Der Standard
Anläßlich eines Symposiums über „Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich unter besonderer Berücksichtigung der Stiftungsvermögen und der weiblichen Altersarmut“ hatte der Dozent seinen Freund Groll auf Kosten der Paris Lodron-Universität als Begleiter eingeladen. Dummerweise waren die beiden mit Grolls betagtem Kleinwagen im Salzburger Frühverkehr stecken geblieben. Sie wären eine halbe Stunde verspätet zur Eröffnung gekommen, wenn sie sich nicht auf dem Weg von der Garage zum Vortragssaal verlaufen hätten. So kamen sie zwei Stunden zu spät, weil sie sich in dem mächtigen Stahlbetonbau auch noch verirrten.
Groll zeigte sich von der modernen Universität sehr angetan. „Falls man den richtigen Eingang erwischt, findet man sich in einem Labyrinth gleich aussehender Gänge und Stockwerke wieder, wodurch allerlei Kurzweil in die Bildungsanstalt einzieht. Die Hälfte der Studierenden ist auf der Suche nach Seminarräumen, die andere Hälfte irrt verloren umher. Behinderte Studierende sind vorzüglich integriert, es gibt barrierefreie Räume, Toiletten und Parkplätze in der Tiefgarage.
Und die Behindertensprecherin Christiane Steger bringt das Kunststück zustande, einem am Telephon jeden Wunsch von den Augen abzulesen, bemerkte Groll zum Dozenten, der von Minute zu Minute ungeduldiger wurde. „Wäre da nicht das leidige Orientierungsproblem, man fühlte sich rundum wohl“, versuchte er den Dozenten zu beruhigen, während sie einen Gang auf der Suche nach dem Festsaal entlangeilten. Sie wunderten sich zwar über die vielen Uniformierten, dachten sich aber nichts dabei.
Als Groll erwähnte, dass der Namensgeber der Universität Fürsterzbischof Paris Lodron, Sproß einer noblen Adelsfamilie aus Rovereto, es während des Dreißigjährigen Krieges durch Hochrüstung geschafft hatte, Salzburg aus den Kämpfen herauszuhalten, war klar, dass Uniformierte seither in Salzburg hoch im Kurs stehen.
Sie erhielten kryptische Auskünfte, begegneten verstörten Studenten und Uniformierten. Schließlich ließ der Dozent sich erschöpft auf einer Bank nieder. Um von der misslichen Lage abzulenken, erzählte er von dem Geschäftsführer des Volkshilfe, Herrn Fenninger, er habe ihn neulich im Radio gehört (Ö 1, 1.11.2014). „Er sprach über Demenz, gemeinsam mit seiner Frau hat er zu dieser Frage ein Buch verfasst. Der Vortrag war etwas salbungsvoll, aber in der Sache nicht falsch. Es gehe vor allem darum, dass man demenzkranken Menschen ihre Würde belasse und nicht mit Mitleid traktiere.
„Das freut mich aber für den Herrn Fenninger“, sagte Groll. „Daß er sich der Demenz-Frage widmet?“ Der Dozent kramte in seiner Aktentasche. „Es freut mich, dass der Mann eine multiple Persönlichkeit aufweist und damit gut lebt.“ Er bitte um eine Erklärung, sagte der Dozent und zog ein kleines Notebook aus seiner Tasche.
„Der gute Herr Fenninger sitzt im Stiftungsrat des ORF, und zwar als Vertreter der behinderten Menschen“, sagte Groll. „Nun muß man wissen, dass all die Jahre ein betroffener behinderter Mensch in diesem Aufsichtsrat des ORF Sitz und Stimme hatte. Von den Behindertenverbänden nominiert, gelang es doch hin und wieder, den Forderungen dieser Bevölkerungsgruppe Gehör zu verschaffen. Auch bei der letzten Wahl und Bestellung der Stiftungsräte, die in Österreich mehrheitlich von den Parteien nominiert werden, erstellten die Behindertenverbände einen Dreiervorschlag von erfahrenen und selbst betroffenen Behindertenpolitikern.
Dieses Mal geruhte der Bundeskanzler, den Herrn Fenninger als Sprecher für die behinderten Menschen zu bestimmen und die betroffenen Behinderten zu ignorieren. Herr Fenninger hat keine Ahnung von der Independent Living Bewegung, der weltweiten autonomen Menschenrechtsorganisation behinderter Menschen, die einem Grundsatz folgt, dem Expertentum in eigener Sache: Nothing about us without us. Noch dazu fand er es nie der Mühe wert, die behinderten Menschen um Rat oder Vorschläge zu fragen. Er masst sich an, eine Gruppe zu vertreten, die die Volkshilfe in der Pflegegeldfrage oft genug als Gegner erlebte. Dienstleistervereine haben andere Interessen als behinderte Menschen.
Angesichts des beabsichtigten neuerlichen Abbaus des Pflegegeldes – diesmal trifft es wieder alte Menschen und da wiederum Frauen (die SPÖ verstärkt damit die weibliche Altersarmut), wundert es nicht, dass von der Volkshilfe und der Behindertensprecherin im Parlament - auch sie nicht betroffen, auch sie von der Volkshilfe - kein Protest gegen den feigen Sozialabbau zu vernehmen war. Behindertenanwalt Buchinger bezeichnet diese Vorgangsweise als Skandal erster Ordnung. Wenn ich nun sagen würde, dass dieser Herr Fenninger, der Chef der Volkshilfe, ein Schönredner und Schaumschläger ist, würden Sie mir in den Arm fallen?“
Der Dozent wollte antworten, wurde aber von einem Uniformierten unterbrochen. Ob er den beiden Herren helfen könne, sie befänden sich in der Bundespolizeidirektion Salzburg, er sei für den reibungslosen Parteienverkehr verantwortlich.
Erwin Riess ist Schriftsteller in Wien
Erwin Riess, zuletzt: „Der Zorn der Eleonore Batthyány“, Theatermonolog für das Winterpalais / Finanzministerium, Regie: Karl Baratta, mit Johanna Orsini-Rosenberg, Wiederaufnahme im Oktober 2015. Und: „Herr Groll und das Ende der Wachau“, der fünfte Groll-Roman, Otto Müller Verlag, Salzburg
„Erwin Riess ist das Kunststück gelungen, für eine Unsumme von überraschenden Motiven, witzigen Flunkereien und brisanten Themen eine schlüssige literarische Form gefunden und damit der Gewinnmaximierungsgesellschaft entlang beider Ufer der Donau ein wahrhaftiges Zerrbild gewonnen zu haben. Sie werden lachen, es empfiehlt sich, dies und alles andere nachzulesen.“ Kurt Neumann, Der Standard