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Der frauenpolitische Vertragsbruch

  • Sonntag, 27. November 2016 @ 11:53
Meinung Anne Rieger zum Thema Frauenpensionsalter

Auf der ÖVP-Webseite finden wir ein bedrohliches Statement: „Zum Thema Sicherung der Pensionen gehört auch eine vernünftige Diskussion über das Frauenpensionsalter. Klar ist, dass das frühere gesetzliche Antrittsalter für viele Frauen eine Karrierebremse bedeutet, weil oft der letzte Karriereschritt im Hinblick auf die baldige Pensionierung nicht vollzogen wird. Gleichstellung ist Chance und nicht Bedrohung.“

„Gleichstellung“ klingt sehr frauenfreundlich. Doch die Gründe für niedrige Frauenpensionen sind ganz andere. 1991 schnürte Frauenministerin Johanna Dohnal gemeinsam mit Frauen von ÖGB, AK und Parlamentsparteien – mit Ausnahme der FPÖ – ein „Gleichbehandlungspaket“. Es sollte die Diskriminierung von Frauen in gesellschaftlicher, familiärer und ökonomischer Hinsicht abbauen.

Die Maßnahmen waren „als Gesamtschau der aus Frauensicht notwendigen Mindestvoraussetzungen zu sehen, die realisiert oder eingeleitet werden müssen, bevor schrittweise eine Angleichung des Pensionsanfallsalters wirksam werden kann”, so Dohnal. Die Erfüllung des Gesetzes über den „schrittweisen Abbau von bestehenden gesellschaftlichen, familiären und wirtschaftlichen Benachteiligungen von Frauen“ war 1992 Bedingung für die Anhebung des Pensionsantrittsalters der Frauen ab 2024.

Vorausgegangen war ein Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis, das 1991 die geschlechtsspezifischen Regelungen zum Pensionsantrittsalter außer Kraft setzte. Das hatte heftige Kritik bei der großen Mehrheit der Frauen hervorgerufen. Denn die festgestellte Gleichheitswidrigkeit war unter völliger Ausblendung der realen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern erfolgt.

Schlusslicht vor Estland

Bis heute ist die faktische Gleichstellung, also der „Abbau von Benachteiligungen für Frauen“ keineswegs Realität. Die Einkommensschere klafft weit auseinander. Erwerbsquoten von Frauen und Männern unterscheiden sich in allen Altersgruppen. Beim aktuellen Gender Pay Gap liegt Österreich nach Estland an vorletzter Stelle in der EU. Die Lohn- und Gehaltsunterschiede liegen bei 22,4 Prozent (EU-Durchschnitt 16,1 Prozent).

Rechnet man Teilzeit- und atypisch Beschäftigte dazu, betragen die Gehaltsunterschiede in Österreich sogar 40 Prozent. Viele Ursachen der Einkommensschere finden keine sachliche Rechtfertigung, sie basieren also auf Benachteiligungen. Dieser unerklärbare Rest beträgt in Österreich 18,9 Prozent und ist im Vergleich etwa zu Schweden mit fünf Prozent ungewöhnlich hoch.

„Fehlender Karriereschritt“?

Der „Gender Gap“ wirkt bis ins Pensionssystem. Die unzureichende Altersversorgung ist nicht dem angeblich letzten fehlenden Karriereschritt im hohen Alter geschuldet. Sie ist Ergebnis typischer und oft erzwungener Frauenerwerbsverläufe. Die Einkommens- und Karriereentwicklung von Beginn des Berufslebens an ist geprägt durch Familienarbeit verbunden mit Teilzeit, „gläserner Decke“ und oft bewusst oder unbewusst eingeschränkten Berufswünschen. Im Ergebnis wirkt sich das negativ auf die Pensionshöhe aus.

Durch Verschlechterungen im Pensionsrecht wie die Ausweitung des Bemessungszeitraums auf lebenslange Durchrechnung hat sich dieser Effekt verstärkt. Die große Diskrepanz bei der Pensionshöhe von Frauen im Vergleich zu Männern wird durch eine Angleichung des gesetzlichen Antrittsalters nicht ausgeglichen, im Gegenteil.

Die Arbeitsmarktrealität – schlechte Erwerbschancen für Frauen der Generation 50+, sinkende Chancen der Wiedereingliederung nach Jobverlust, Erwerbsunterbrechung durch Familienarbeit – bewirken, dass Frauen oft ab Mitte 40 auf ein berufliches Abstellgleis gestellt werden.

Umfassende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sind erforderlich, um die Erwerbsintegration von Frauen zu verwirklichen. Investitionen in kollektivvertraglich bezahlte Arbeitsplätze in Bildung, Daseinsvorsorge und Umweltschutz wären ein erster Schritt. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich ein weiterer.

Der Übertritt in die Pension wird oft durch Arbeitslosigkeit initiiert. Eine Angleichung des Antrittsalters wäre nach derzeitiger Arbeitsmarktlage nur eine Transferverlagerung von der Pensions- zur Arbeitslosenversicherung, verbunden mit geringerem Einkommen und steigender Langzeitarbeitslosigkeit. Ausnahmen wie Schwerarbeiterregelung und Korridorpension im ASVG können Frauen nicht in Anspruch nehmen,

Trick mit der Lebenserwartung

Die Lebenserwartung von Frauen in Österreich beträgt 83,7, jene der Männer 78,9 Jahre (Statistik Austria 2014). Würde das Pensionsantrittsalter an die Lebenserwartung angepasst, müssten Frauen 4,8 Jahre später in Pension gehen als Männer. Mit diesem Trick soll die von Dohnal gewünschte Koppelung des Pensionsantrittsalters an die vollständige Gleichstellung ausgehebelt werden.

Es gilt auch heute noch die Benachteiligungen für Frauen während des Erwerbslebens auszugleichen, statt sie durch eine vorgezogene Angleichung des Pensionsalters zu verstärken. Die Anhebung des Pensionsantrittsalters für Frauen bei Vorenthaltung der tatsächlichen Gleichstellung ist ein frauenpolitischer Vertragsbruch. Die Angleichung des Pensionsantrittsalters der Frauen an das der Männer muss bis zur tatsächlichen Gleichstellung ausgesetzt werden.

Anne Rieger ist Vorstandsmitglied des GLB-Steiermark