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Burnout zum Ruhigstellen

  • Montag, 8. Juli 2013 @ 11:44
Meinung Von Karin Antlanger

Jede Zeit hat ihre Krankheiten, jede Gesellschaft ihre Diagnosen. Offiziell gibt es die Diagnose „Burnout“ gar nicht. Es heißt dann halt Überforderungssymptomatik, Überlastungsdepression, Stresssyndrom, emotionale Erschöpfung. Zentrales Thema ist Leistungsdruck, Belastung, Überlastung, Überforderung. Psychiatrische Diagnosen haben schon immer dazu gedient, unliebsame Verhaltensweisen oder Reaktionen gesellschaftlich zu ächten und damit einer (Zwangs)Behandlung zuzuführen. Fachleute der deutschen Rentenversicherung nennen drei Gründe für den Anstieg psychischer Ursachen für die Frühpensionierung: seelische Leiden sind heute stärker enttabuisiert und werden von den Ärzten auch bereitwilliger diagnostiziert. Auch die PatientInnen akzeptieren solche Diagnosen bereitwilliger. Und körperliche Belastungen nehmen in der Arbeitswelt ab, während psychische Belastungen steigen.

Aber auch die Psychiatrie ist lernfähig und passt sich den gesellschaftlichen Entwicklungen an. Im Vordergrund steht nicht mehr die gesellschaftliche Ächtung der Betroffenen sondern die möglichst breite Erfassung der Betroffenen indem suggeriert wird, dass Burnout bzw. Depression quasi salonfähig sind und eigentlich zum guten Ton gehören, da ja damit gezeigt wird, wie sehr man/frau sich für – ja für wen oder was eigentlich? – verausgabt hat. Immerhin ist ja mit neuen Krankheiten und den dazugehörigen Psychopharmaka viel Geld zu machen. Neben Waffenhandel und Drogenhandel ist der Markt für Psychopharmaka einer der gewinnträchtigsten.

Individualisierung gesellschaftlicher Probleme

Wir alle kennen Menschen, die „plötzlich nicht mehr können“, sich zurückziehen, zusammenbrechen, in einen langen Krankenstand abtauchen und nach langer Arbeitslosigkeit in der nun quasi abgeschafften I-Pension verschwinden. Kaputtgemacht von einem als modern gepriesenen Leistungsdruck basierend auf betriebswirtschaftlichen Kennzahlen, wo Menschen als „Humankapital“ jederzeit nachfüllbar sind, weil es ja genug am Arbeitsmarkt gibt. Wenn die einen ausgepresst sind und nicht mehr können, holt man sich halt die nächsten, die jünger, unverbrauchter und billiger sind.

Doch so einfach ist es nicht. Da gehören auch diejenigen dazu, die sich das gefallen lassen (müssen): in Zeiten, als es noch die 60-Stunden-Woche gab, kannte niemand die Diagnose „Überlastungsdepression“ o.ä. In dieser Zeit gab es aber auch klare Klassenpositionen, die in solidarischer Gemeinschaft Verbesserungen von Arbeitsbedingungen erkämpften. „Der Depressive ist der Invalide des internationalisierten Krieges, den im Kapitalismus jeder gegen sich selbst zu führen gezwungen wird“ meint der Philosoph Byung-Chul Han.

Heute, nach Jahrzehnten neoliberaler Gehirnwäsche ist Schluss mit Solidargemeinschaft: heute glauben die meisten an Sprüche wie „Jeder ist seines Glückes Schmied“, „Man kann alles erreichen, wenn man nur will“, oder „Yes, we can!“ und werden dadurch zu ihren eigenen Antreibern in der Überzeugung, dass nur eine ständige Leistungssteigerung zur Selbstverwirklichung führen könne.

Wenn dann der Ofen aus ist, wenn nichts mehr geht, dann wird das auch noch als individuelles Versagen, als persönliches Problem gesehen, bei dem dir niemand helfen kann. Also: selber Schuld, bestenfalls muss dich das Unternehmen „leider“ kündigen – oder es muss halt die selbstausbeuterische Ich-AG (Privat)Konkurs anmelden.

Verantwortung der Gewerkschaften

Wären vor 50 Jahren noch KollegInnen und Gewerkschaften angesichts eines solchen menschenvernichtenden Leistungsdrucks solidarisch auf die Barrikaden gestiegen, so gibt es heute nur pseudopsychologisierende Erklärungen dafür wie „du musst mehr auf dich schauen“, „nimm dir doch mal eine Auszeit“, „schau halt, dass du Teilzeit arbeiten kannst“ oder „du darfst dich nicht so mit deiner Arbeit identifizieren“.

Jedenfalls ist das betroffene Individuum schuld daran, es ist zu schwach, zu engagiert, zu fleißig – auf jeden Fall zu involviert. Das, was von den Menschen verlangt wird, wird ihnen zum Vorwurf gemacht, wenn sie es geleistet haben. Die Individualpsychologie konzentriert sich auf die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen. Das Kollektiv oder die Solidargemeinschaft ist gaga – die interessiert nicht.

Die enorme Leistungsverdichtung, die in den letzten 20 Jahren stattgefunden hat, findet weder in den Löhnen und Gehältern noch in der Arbeitszeit auch nur annähernd ihren Niederschlag. Der ÖGB hat sogar bei seinem vorletzten Bundeskongress 2008 auf die Forderung nach einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn verzichtet! Und jetzt wundern sich die Herren hauptamtlichen Gewerkschafter, dass die Leistungsverdichtung immer mehr wird und die Menschen immer mehr ins sog. Burnout gedrängt werden.

Gesellschaftlicher „Befreiungsschein“

Es befreit den/die EinzelneN davon, sich für eine Veränderung der Rahmenbedingungen einzusetzen, sich mit anderen zu arrangieren und zu engagieren. Es befreit die Unternehmen von ihrer Fürsorgepflicht, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Leute dadurch nicht krank werden. (Die Arbeitsinspektorate und auch die Krankenkassen halten sich in diesem Zusammenhang ja völlig schweigsam im Hintergrund!)

Es befreit letztendlich die Pensionsversicherungsanstalten von „zu hohen“ Pensionen und den Staat von „zu hohen“ Pensionszuschüssen, da ja die Betroffenen meist lange arbeitslos sind, wodurch sich die Ansprüche reduzieren. Ganz zu schweigen von den hohen Abschlägen bei früherer Pensionierung.

Die Pharmaindustrie dankt

Dem ÖGB ins Stammbuch geschrieben: Unter Burnout leiden vor allem diejenigen, die keine Perspektive, keine Veränderungsmöglichkeit sehen, Menschen, die ohn-mächtig sind. Und wenn der ÖGB seine zentralen Forderungen ad acta legt, dann ist es eben ziemlich vorbei mit Veränderungsmöglichkeiten. (Oder mit dem ÖGB?)

Karin Antlanger ist Sozialpädagogin und BRVStV von EXIT-sozial Linz