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Brillante Ideen

  • Freitag, 12. Februar 2016 @ 12:54
Service Ein Buchtipp von Michael Graber

„Die Millionärssteuer – und sieben andere brillante Ideen, die Welt zu verändern“, unter diesem etwas bombastischen Titel brachte der Verlag Neue Impulse eine Zusammenstellung von Reformvorschlägen von Mandataren und Funktionären der belgischen Partei der Arbeit heraus. Die Vorschläge befassen sich im Einzelnen, abgesehen von der bereits im Titel genannten Millionärssteuer mit der Forderung nach der 30 Stundenwoche, dem kommunalen Wohnbau, der ärztlichen Versorgung für alle, mit der Reform des Bildungssystems, mit der „klimaneutralen Stadt“, mit Maßnahmen gegen Diskriminierung (insbesondere von MigrantInnen) und mit einem Plädoyer für direkte Demokratie.

Die Besonderheit der meisten Vorschläge besteht darin, dass sich die AutorInnen in Europa umgesehen haben und abgesehen von der Millionärssteuer und der 30 Stundenwoche schon real bestehende Beispiele als Grundlage der Reformvorschläge hergenommen haben. Zwar zielen die Beispiele aus anderen europäischen Ländern auf die Veränderung der konkreten Situation in Belgien, aber in vielen Darstellungen findet auch der österreichische gewerkschaftliche Leser Anregungen für die Politik in Österreich.

Als „best practice“ Beispiel in Europa für den kommunalen Wohnbau beziehen sich die AutorInnen auf den kommunalen Wohnbau in Wien. Hier wird deutlich wie Wien von den Grundlagen, die das „Rote Wien“ in den 20er und 30er Jahren schuf, noch heute profitiert, insbesondere wenn man die Wohnverhältnisse und ihre Kosten für die MieterInnen in Betracht zieht. Was die AutorInnen dabei nicht erwähnen ist die zehnjährige Unterbrechung im sozialen kommunalen Wohnbau, der erst durch die langjährige Kritik und Forderung linker Opposition beendet werden konnte.

In den Vorschlägen für die kostengünstige medizinische Versorgung für alle greifen die AutorInnen auf das Beispiel der Organisation „Medizin für das Volk“ zurück, die die maoistischen Vorgänger der Partei der Arbeit vor über 40 Jahren in Belgien gegründet haben. Die Bedeutung dieser Organisation für das belgische Gesundheitswesen geht aus der Tatsache hervor, dass der Selbstbehalt für Patienten in Belgien der höchste in Europa ist. Offenbar geht ein Teil des kommunalpolitischen Erfolgs der belgischen Partei der Arbeit in letzter Zeit nicht zuletzt auf dieses Engagement im Gesundheitswesen zurück.

Als Vorbild für Reformen im Bildungssystem nehmen sich die AutorInnen das finnische Bildungssystem vor, wobei es im Kern um die Gesamtschule der 6 bis16jährigen geht und entwickeln daraus die multikulturelle, polytechnische, breit gefächerte Schule, in der demokratische Pädagogik angewendet wird.

Am Beispiel München wird die Bedeutung kommunaler Energieversorgung dargestellt und die kommunalen, genossenschaftlichen und staatlichen Eigentumsformen als Voraussetzung für nachhaltiges ökologisches Wirtschaften dargestellt.

Argumente und strukturelle Beispiele für Methoden der Antidiskriminierung und der direkten Demokratie auf allen Entscheidungsebenen der Politik vervollständigen das im Buch vorgestellte Reformprogramm. In Summe ergibt das noch keine neue Gesellschaftsordnung, aber genügend Anhaltspunkte für ein Nachdenken über Möglichkeiten für dringendste progressive Reformen auch im eigenen Land.

Michael Graber ist Volkswirt und Wirtschaftssprecher der KPÖ

Peter Mertens (Hrsg.), Die Millionärssteuer und sieben andere brillante Ideen, die Welt zu verändern, Neue Impulse Verlag, 2015.