Ambivalente Komplimente
- Montag, 5. November 2012 @ 14:36
Von Robert Sommer
Der Augustin ist europaweit eine der erfolgreichsten Straßenzeitungen. Diese Feststellung verdient aber, hinterfragt zu werden. Denn es scheint in dem Resonanzraum, in dem der Augustin agiert, keine gesellschaftliche Übereinstimmung zu geben, was als Erfolg bewertet wird.
Keine Probleme wird es bei der Bewertung der Kontinuität des Projekts (der Augustin erscheint seit 17 Jahren, zunächst einmal im Monat, aber inzwischen schon viele Jahre lang jede zweite Woche) und bei der erreichten Auflagezahl geben. Zwischen 25.000 und 30.000 Exemplare kolportieren die rund 450 VerkäuferInnen pro Erscheinungszeitraum; zugegeben, die Zahl lag schon einmal höher – bei durchschnittlich 35.000 Stück im Jahr 2007, dem Traumjahr des Augustin-Projekts.
Bei weiteren Erfolgskriterien werden die Meinungen auseinander gehen, sowohl was den Augustin als Sozialprojekt als auch den Augustin als Medium betrifft. Aus der Perspektive der systemstützenden Sozialarbeit und der offiziellen Arbeitsmarktverwaltung(sideologie) versagt das Projekt Augustin, weil es aus dem doch nicht geringen Klientel, dem konkrete Hilfe via Augustinverkauf angeboten wird, kaum einen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt und damit einen Ausweg aus der Randständigkeit biete.
Es stimmt, beim Augustin wird kein Verkäufer, keine Verkäuferin gezwungen, nach einer festgelegten Zeit – wie das in den sogenannten sozialökonomischen Betrieben der Fall ist – einen «richtigen» Job zu finden. Der «richtige» Job wäre nicht mehr als ein statistischer Trick – einmal angetreten, wäre der scheinbar job-ready gemachte Klient seine reguläre Arbeit in den meisten Fällen bald wieder los, weil heute niemand «die Wirtschaft» zwingen kann, ausgerechnet Menschen auf Dauer einzustellen, die «erledigt» oder stigmatisiert sind wie durchschnittliche Augustin-VerkäuferInnen.
Eine kleine Episode aus dem Augustin-Alltag soll verdeutlichen, warum das Augustin-Team allergisch gegen diese die Arbeitsmarktstatistik manipulierenden Tricks ist. Ein vom AMS finanzierter sozialer Verein, der als Vereinszweck angibt, suchterfahrene Menschen «wenigstens kurzfristig» in den regulären Arbeitsmarkt vermitteln zu können, schickte eine junge Klientin zum Augustin. Sie habe nämlich, wie ihre Betreuer sagten, ein Talent für Journalismus. Zuvor hatte die Bewerberin auch bei anderen Medien vorgesprochen.
Das Betreuerteam schickte die Ex-Drogenabhängige wider besseres Wissen auf diese Tour der leeren Kilometer: Die Zeitungsredaktionen weisen heute selbst qualifizierteste AnwärterInnen ab: Welchen Sinn macht es, der jungen Frau, die noch dazu handgeschriebene Schreibversuche als Referenz vorweisen wollte, derartige Illusionen über ihre journalistische Zukunft einzupflanzen?
Der Markt erzeugt eine immer größere Schicht von Unerwünschten und Überflüssigen, doch die Apparate der sozialen Arbeit und der Arbeitsmarktverwaltung schaffen die Illusion der Integrierbarkeit der Überflüssigen. Wie nennt man das? Beschwichtigung; oder «kollektiver Selbstbetrug», wie der französische Soziologe Bourdieu gesagt hat.
Über einen weiteren «Erfolg» spricht selbst der Vereinsvorstand des Augustin (er ist identisch mit den 13 Angestellten des gemeinnützigen Herausgebervereines, darunter SozialarbeiterInnen, JournalistInnen und GraphikerInnen) nur im selbstironischen Sinn: Man könne die Tatsache, das der Verkäuferausweis des Augustin in rumänischen oder slowakischen Städten gefälscht werde und «ArmutspendlerInnen», die sonst Mülldeponien nach Verwertbarem durchwühlen müssten, eine Einkommenschance in Wien verspreche, als «Kompliment» betrachten.
Denn nur starke Marken seien imitierenswert. Dass nicht nur an den Rand geratene österreichische StaatsbürgerInnen, sondern auch Asylsuchende aus afrikanischen Staaten und anderen Krisenregionen sowie die VerliererInnen aus den postkommunistischen Ökonomien Osteuropas das 450 Seelen zählende «Dorf» der registrierten Straßenzeitungsverkäufer bilden, ist aus Augustinsicht insofern eine positive Entwicklung, als sie sich abhebt vom realen Auseinander-dividiert-werden der verschiedenen «ausgeschlossenen» Milieus «da draußen».
Zum Schluss ein Wort zum Charakter der Zeitung, die von AugustinerInnen vertrieben wird: Sie versteht sich parteiisch für alle Marginalisierten und will mit ihren redaktionellen Inhalten dazu beitragen, dass sich in der Gesellschaft – auch in den Gewerkschaften, die subproletarischen Milieus traditionellerweise distanziert gegenüberstehen – die fatale Gewohnheit auflöst, Sündenböcke in den unterprivilegiertesten Schichten zu suchen.
Robert Sommer ist Chefredakteur des Augustin, Infos http://www.augustin.or.at
Der Augustin ist europaweit eine der erfolgreichsten Straßenzeitungen. Diese Feststellung verdient aber, hinterfragt zu werden. Denn es scheint in dem Resonanzraum, in dem der Augustin agiert, keine gesellschaftliche Übereinstimmung zu geben, was als Erfolg bewertet wird.
Keine Probleme wird es bei der Bewertung der Kontinuität des Projekts (der Augustin erscheint seit 17 Jahren, zunächst einmal im Monat, aber inzwischen schon viele Jahre lang jede zweite Woche) und bei der erreichten Auflagezahl geben. Zwischen 25.000 und 30.000 Exemplare kolportieren die rund 450 VerkäuferInnen pro Erscheinungszeitraum; zugegeben, die Zahl lag schon einmal höher – bei durchschnittlich 35.000 Stück im Jahr 2007, dem Traumjahr des Augustin-Projekts.
Bei weiteren Erfolgskriterien werden die Meinungen auseinander gehen, sowohl was den Augustin als Sozialprojekt als auch den Augustin als Medium betrifft. Aus der Perspektive der systemstützenden Sozialarbeit und der offiziellen Arbeitsmarktverwaltung(sideologie) versagt das Projekt Augustin, weil es aus dem doch nicht geringen Klientel, dem konkrete Hilfe via Augustinverkauf angeboten wird, kaum einen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt und damit einen Ausweg aus der Randständigkeit biete.
Es stimmt, beim Augustin wird kein Verkäufer, keine Verkäuferin gezwungen, nach einer festgelegten Zeit – wie das in den sogenannten sozialökonomischen Betrieben der Fall ist – einen «richtigen» Job zu finden. Der «richtige» Job wäre nicht mehr als ein statistischer Trick – einmal angetreten, wäre der scheinbar job-ready gemachte Klient seine reguläre Arbeit in den meisten Fällen bald wieder los, weil heute niemand «die Wirtschaft» zwingen kann, ausgerechnet Menschen auf Dauer einzustellen, die «erledigt» oder stigmatisiert sind wie durchschnittliche Augustin-VerkäuferInnen.
Eine kleine Episode aus dem Augustin-Alltag soll verdeutlichen, warum das Augustin-Team allergisch gegen diese die Arbeitsmarktstatistik manipulierenden Tricks ist. Ein vom AMS finanzierter sozialer Verein, der als Vereinszweck angibt, suchterfahrene Menschen «wenigstens kurzfristig» in den regulären Arbeitsmarkt vermitteln zu können, schickte eine junge Klientin zum Augustin. Sie habe nämlich, wie ihre Betreuer sagten, ein Talent für Journalismus. Zuvor hatte die Bewerberin auch bei anderen Medien vorgesprochen.
Das Betreuerteam schickte die Ex-Drogenabhängige wider besseres Wissen auf diese Tour der leeren Kilometer: Die Zeitungsredaktionen weisen heute selbst qualifizierteste AnwärterInnen ab: Welchen Sinn macht es, der jungen Frau, die noch dazu handgeschriebene Schreibversuche als Referenz vorweisen wollte, derartige Illusionen über ihre journalistische Zukunft einzupflanzen?
Der Markt erzeugt eine immer größere Schicht von Unerwünschten und Überflüssigen, doch die Apparate der sozialen Arbeit und der Arbeitsmarktverwaltung schaffen die Illusion der Integrierbarkeit der Überflüssigen. Wie nennt man das? Beschwichtigung; oder «kollektiver Selbstbetrug», wie der französische Soziologe Bourdieu gesagt hat.
Über einen weiteren «Erfolg» spricht selbst der Vereinsvorstand des Augustin (er ist identisch mit den 13 Angestellten des gemeinnützigen Herausgebervereines, darunter SozialarbeiterInnen, JournalistInnen und GraphikerInnen) nur im selbstironischen Sinn: Man könne die Tatsache, das der Verkäuferausweis des Augustin in rumänischen oder slowakischen Städten gefälscht werde und «ArmutspendlerInnen», die sonst Mülldeponien nach Verwertbarem durchwühlen müssten, eine Einkommenschance in Wien verspreche, als «Kompliment» betrachten.
Denn nur starke Marken seien imitierenswert. Dass nicht nur an den Rand geratene österreichische StaatsbürgerInnen, sondern auch Asylsuchende aus afrikanischen Staaten und anderen Krisenregionen sowie die VerliererInnen aus den postkommunistischen Ökonomien Osteuropas das 450 Seelen zählende «Dorf» der registrierten Straßenzeitungsverkäufer bilden, ist aus Augustinsicht insofern eine positive Entwicklung, als sie sich abhebt vom realen Auseinander-dividiert-werden der verschiedenen «ausgeschlossenen» Milieus «da draußen».
Zum Schluss ein Wort zum Charakter der Zeitung, die von AugustinerInnen vertrieben wird: Sie versteht sich parteiisch für alle Marginalisierten und will mit ihren redaktionellen Inhalten dazu beitragen, dass sich in der Gesellschaft – auch in den Gewerkschaften, die subproletarischen Milieus traditionellerweise distanziert gegenüberstehen – die fatale Gewohnheit auflöst, Sündenböcke in den unterprivilegiertesten Schichten zu suchen.
Robert Sommer ist Chefredakteur des Augustin, Infos http://www.augustin.or.at