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Unbequeme Wahrheiten

  • Donnerstag, 4. November 2021 @ 18:00
Steiermark
Mit Markus Marterbauer als Gastredner startete die steirische Arbeiterkammervollversammlung in ihre Herbstsitzung. Der ebenfalls angekündigte Arbeitsminister Kocher zog es vor nicht zu erscheinen. In seinem Referat widmete sich der AK-Chefökonom der Pandemie und ihren Auswirkungen. Einerseits habe diese Verlierer*innen und andererseits Gewinner*innen hervorgebracht. Zu den Verlierer*innen zählte Marterbauer Arbeitslose und hier insbesondre Langzeitarbeitslose, prekär Beschäftigte und kleine Selbstständige. Gewinner*innen der Krise seien hingegen größere Unternehmen und Firmen, die von Covid Aufträgen profitiert haben. Teilweise habe es in Österreich eine äußerst großzügige Überförderung gegeben.

Arbeitslose hätten eine sehr schlechte Lobby. Bei den Langzeitarbeitslosen hätten zwei Drittel gesundheitliche Probleme und die Hälfte sei älter als 50 Jahre. Langzeitarbeitslosigkeit schaffe etwa Kinderarmut. Es sei nicht wert, dass jeder Job besetzt werde. Es brauche Qualitätskriterien, schlechte Jobs dürften nicht subventioniert werden. Überdies sei eine Halbierung der Armut im Land durch einen Verzicht auf die Körperschaftssteuersenkung leicht machbar.

Während sich Markus Marterbauer in seinem Referat klar im Interesse der Beschäftigten und der Erwerbsarbeitslosen positionierte, hatte die Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen im Vorfeld der Sitzung versucht mit ÖAAB-FCG und Freiheitlichen Arbeitnehmern einen gemeinsamen Antrag für ein degressives Arbeitslosengeld einzubringen. Im Sozialpolitischen Ausschuss positionierte sich nur der GLB klar gegen ein solches Modell. Die AUGE erbat sich Bedenkzeit.

In seiner Wortmeldung zu den Anträgen kritisierte GLB-Arbeiterkammerrat Georg Erkinger den Versuch der FSG, gemeinsam mit Schwarz und Blau für ein degressives Arbeitslosengeld einzutreten, scharf. Der Antrag war letztendlich mit Verweis auf ÖGB Gremien doch nicht gestellt worden, die sozialdemokratischen Arbeiterkammerrät*innen konnten sich aber auch nicht zur Unterstützung eines GLB Antrages zur Erhöhung des Arbeitslosengeldes für alle Betroffenen auf mindestens 70 Prozent durchringen.

Dieser Antrag wurde ebenso wie die GLB Resolution zur Steuerreform einem Ausschuss zugewiesen. Mehrheitlich angenommen wurden die GLB Anträge zur Absicherung der Krankenversicherung und anderweitigen Entlastung niedriger Einkommen, für einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und eine Aufstockung der Finanzierung, sowie für eine Fahrradmitnahmemöglichkeit beim steirischen Klimaticket.

Die Anträge des GLB im Wortlaut:

Antrag 1: Arbeitslosengeld für alle Betroffenen erhöhen!

Die Covid-19-Krise führte seit Mitte März 2020 zu einer Rekordarbeitslosigkeit in Österreich. Die Zahl der von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen ging zwar wieder zurück, weiterhin stark erhöht ist jedoch die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen. Waren vor der Pandemie im September 2019 94.210 Menschen langzeitbeschäftigungslos (Geschäftsfall-Dauer > 365 Tagen), so stieg diese Zahl bis zum September 2021 um knapp 28 Prozent auf 120.449 Betroffene an.

Ebenso stark angestiegen ist die Verweildauer in Arbeitslosigkeit, also jene Zeitspanne, die zwischen dem Beginn und Ende einer Arbeitslosigkeit liegt. Betrug diese im September 2019 noch 123 Tage so lag sie zwei Jahre später bei 153 Tagen und damit ein Monat länger.

Im Durchschnitt benötigen erwerbsarbeitslose Menschen also mittlerweile volle fünf Monate, um einen Arbeitsplatz zu finden. Die Arbeiterkammer Salzburg hat die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie im Rahmen einer Befragung erhoben.

Wenig verwunderlich kommt diese zu dem Schluss, dass Menschen, die arbeitslos wurden mit den größten finanziellen Auswirkungen zu kämpfen haben. 31,7 Prozent der arbeitslos gewordenen Befragten kamen nicht mehr mit ihren Einkommen aus, weitere 41 Prozent eher schlecht. Bei 12,5 Prozent kam es zu Problemen mit der Kreditrückzahlung, bei 37,1 Prozent zu Mietrückständen. 25,8 Prozent mussten das Konto überziehen.

Dabei steigt die Armutsgefährdung mit der Dauer der Arbeitslosigkeit. Die AK-Salzburg weist zu Recht darauf hin, dass Arbeitslosigkeit eine Armutsfalle ist. Laut EU-SILC seien 2020 14 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet gewesen: „Bei Menschen, die zwischen sechs und elf Monaten arbeitslos waren, steigt die Armutsgefährdung auf 32 Prozent, bei ganzjährig Arbeitslosen auf 52 Prozent.“

Daraus geht die steigende Armutsgefährdung mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit klar hervor. Eine der zentralen Schlussfolgerungen der Befragung „Soziale und finanzielle Folgen der COVID-19-Pandemie lautet daher: „Die Ergebnisse bekräftigen unsere Forderung nach einer Anhebung der Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent, um zumindest die finanziellen Sorgen und das Auskommen in der Arbeitslosigkeit besser abzufedern.“

Die 5. Vollversammlung der steirischen Arbeiterkammer fordert daher die österreichische Bundesregierung auf, eine Gesetzesänderung dahingehend zu initiieren, wonach die Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld von derzeit 55 auf zumindest 70 Prozent erhöht wird. Diese Erhöhung soll unabhängig von der Bezugsdauer dauerhaft für alle Bezugsberechtigten des Arbeitslosengeldes gelten.

Antrag 2: Niedrige Einkommen entlasten und Krankenversicherung absichern!

Die Steuerreformpläne der Bundesregierung sehen vor, dass für Bruttoeinkommen bis 2.500 Euro/Monat ab dem 1.7.2022 die Krankenversicherungsbeiträge gesenkt werden sollen. Beginnend mit 1,7 Prozent schleift sich die Senkung bis 0,2 Prozent bei Einkommen von 2.500 Euro ein. Diese Maßnahme wird mit einem Einnahmenentfall für die Krankenversicherungen von rund 800 Mio. Euro berechnet.

Auch wenn es Zusagen gibt, dass die Gegenfinanzierung aus dem Budget erfolgen soll, bedeutet dies doch eine weitere Schwächung des Prinzips der Selbstverwaltung der Sozialversicherung. Schließlich geht es auch darum, dass diese ihre Verwaltungsaufgaben weisungsfrei durchführen kann – dass die Interessen der Versicherten, der BeitragszahlerInnen und der Leistungsempfänger*innen vertreten werden.

Unklar ist zudem, wie sich die Gegenfinanzierung zukünftig gestaltet und ob diese indexiert sein soll. Die Abhängigkeit vom Budget und damit von der jeweiligen Regierung kann nicht im Interesse der Versichertengemeinschaft sein – sie ist wohl eher im Interesse jener, die die Selbstverwaltung der Sozialversicherung auch im Bereich der Krankenversicherung schwächen wollen. Gerade die Pandemie hat uns jedoch vor Augen geführt, wie wichtig ein funktionierendes und ausreichend dotiertes Gesundheitssystem ist.

Zudem verkompliziert die Senkung der KV-Beiträge die Lohnverrechnung und verursacht damit zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass sich auch die Steuerbemessungsgrundlage der betroffenen Personen erhöht und somit teilweise eine höhere Einkommenssteuerbelastung droht.

Als Alternative dazu stehen bereits Instrumente einer Rückerstattung von Beiträgen über das Steuersystem zur Verfügung. Im Rahmen der ArbeitnehmerInnenveranlagung bekommen jene, die so wenig verdienen, dass sie keine Lohnsteuer zahlen, eine Steuergutschrift in Form einer SV-Rückerstattung. Der Zuschlag zum Verkehrsabsetzbetrag kommt ebenfalls niedrigen Einkommen zugute. Er wird in voller Höhe bis zu einem Jahreseinkommen von 15.500 Euro gewährt und verringert sich einschleifend bis 21.500 Euro auf null.

Die 5. Vollversammlung der steirischen Arbeiterkammer bekennt sich zum Prinzip der Selbstverwaltung der Sozialversicherung und zur beitragsfinanzierten Krankenversicherung und fordert die Bundesregierung auf, anstelle der Senkung der Krankenversicherungs-beiträge andere Instrumente zur Entlastung niedriger Einkommen anzuwenden und daher die SV-Rückerstattung bzw. den Zuschlag zum Verkehrsabsetzbetrag zu erhöhen.

Antrag 3: Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung – Finanzierung aufstocken!

In Österreich kommen weniger als 50 Prozent der Kinder ganztägig in Betreuungseinrichtungen unter. Das bedeutet für Eltern, vorwiegend Mütter, dass das Ausmaß der Lohnarbeit stark reduziert werden muss, bzw. viel Stress, wenn dies aus existentiellen Gründen nicht möglich ist. Das führt zu niedrigen Einkommen mit langfristigen Folgen, u.a. prekären Lebens-, Gesundheits- und Wohnverhältnissen und Altersarmut. Das Fehlen von Betreuungseinrichtungen wirkt sich weiters auf die Bildungs- und Entwicklungschancen von Kindern aus, Förderung und soziales Lernen bilden den Grundstein für den späteren Berufsweg.

Laut EU-SILC 2020 sind in Österreich 350.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie 642.000 Frauen und 537.000 Männer von Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung betroffen. Diese Zahlen können auch in direktem Zusammenhang mit fehlender Kinderbetreuung und erzwungener Teilzeitbeschäftigung gebracht werden – schlechte Betreuung, schlechte Bildung, schlechte Arbeitsplätze, bzw. Arbeitslosigkeit.

2017 wurden von SPÖ und ÖVP (Kanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner) 750 Millionen Euro für schulische Nachmittagsbetreuung für den Zeitraum von 2018–2025 bereitgestellt, bereits 2018 wurde dieser Zeitraum von der ÖVP-FPÖ-Regierung auf von 2018-2032 ausgedehnt, was einer massiven Kürzung gleichkommt.

Kinder- und Frauenorganisationen und „SozialpartnerInnen“ fordern zu Recht die Aufstockung dieser Mittel und den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuungsplätze, um die Bildungschancen deutlich zu verbessern und der zunehmenden Armutsgefährdung entgegenzuwirken und der Gleichberechtigung einen kleinen Schritt näher zu kommen.

Die 5. Vollversammlung der steirischen Arbeiterkammer fordert die Bundesministerin für Frauen- und Familie, Jugend und Integration, den Bundesminister für Finanzen und die österreichische Bundesregierung auf, folgende Maßnahmen zu treffen:
- Rechtsanspruch auf flächendeckende und kostenlose Kinderbetreuung.
- Aufstockung des Budgets für Kinderbetreuung für den Zeitraum bis 2025 um 1,2 Milliarden Euro.
- Ausbau der Ganztagesbetreuung für Kinder ab dem 1. Lebensjahr mit ausreichend und gut qualifiziertem und bezahltem Personal.
- Förderung von Betriebs- und Standortkindergärten.

Antrag 4: Fahrradmitnahme ermöglichen!

Mit 26. Oktober 2021 ist die österreichweite Variante des Klimatickets gestartet. Mit 1. Jänner 2022 startet das KlimaTicket Steiermark: „Bereits bestehende steirische Verbund-Jahreskarten ab zwei Tarifzonen werden ab 1. Jänner 2022 für die Restlaufzeit automatisch zum KlimaTicket Steiermark – es muss nichts weiter getan werden. Die Karten werden aus Umweltschutzgründen nicht ausgetauscht.“ Bisher galt im steirischen Verkehrsverbund: „Mit einer Halbjahres- und Jahreskarte ist die Fahrradmitnahme in Nahverkehrszügen in der Steiermark gratis – und zwar im Bereich der jeweiligen Fahrkarte.“ Mit Einführung der Klimatickets fällt diese Regelung weg.

Der Verkehrsverbund schreibt hierzu auf verbundlinie.at: „Kann ich mit dem KlimaTicket Steiermark weiterhin mein Fahrrad kostenlos im Zug mitnehmen? Das wird aus Kapazitätsgründen leider nicht mehr möglich sein (außer bei der GKB, die Räder ohnehin gratis befördert).“

Damit steht in der Steiermark ab 1. Jänner 2022 keine Zeitkarte für die Fahrradmitnahme zur Verfügung. Insbesondere für PendlerInnen, die ihr Rad im Zug mitnehmen ist dies ein Problem. Einerseits entstehen hohe Kosten und andererseits müssen täglich Tickets für das Fahrrad gekauft werden. Hinzu kommen noch unterschiedliche Preismodelle und Tickets bei Steiermarkbahn und ÖBB.

Die 5. Vollversammlung der steirischen Arbeiterkammer fordert daher Verkehrsreferent Landeshauptmann Stv. Anton Lang dazu auf sicherzustellen, dass für bisherige JahreskartenbesitzerInnen (im bisherigen Geltungsbereich) zumindest bis zum Ende der Restlaufzeit ihrer Jahreskarte die kostenlose Fahrradmitnahme in Nahverkehrszügen gewährleistet ist und auf den Verkehrsverbund Steiermark dahingehend einzuwirken, dass mit Start des KlimaTicket Steiermark auch eine kostengünstige Jahres- bzw. Halbjahreskarte für den Fahrradtransport im Nahverkehr zur Verfügung steht, um insbesondere PendlerInnen die Kombination von Rad(-mitnahme) und Bahn weiterhin zu ermöglichen.