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Geringschätzung der Vollversammlung

  • Dienstag, 11. Mai 2021 @ 18:01
Steiermark
Georg Erkinger, AK-Rat Steiermark, Bundesvorsitzender des GLB

Erneut unter besonderen Bedingungen fand Anfang Mai die steirische Arbeiterkammervollversammlung statt. Die erste Vollversammlung nach Beginn der Pandemie war komplett abgesagt worden, bei der zweiten wurde versucht das Stellen eigener Anträge zu verhindern. Was sich der GLB nicht nehmen ließ und in dieser Sitzung fühlten sich FSG und ÖAAB bereits durch die bloße Anwesenheit aller GLB Kammerrät*innen in ihrem Wohlbefinden massiv gestört. Im Vorfeld der Sitzung wurde versucht die Anwesenheit einzuschränken. Der GLB hat dieser Vorgangsweise als einzige Fraktion nicht zugestimmt und war im Gegensatz zu den anderen daher komplett anwesend.

Die Anmietung eines größeren Saales, um Abstandsregeln einzuhalten wurde von der Mehrheit verworfen. Angesichts der Höhe der Kosten für eine Vollversammlung im Vergleich zur Gage des steirischen Kammerpräsidenten von monatlich 11.765,71 Euro wäre diese Ausgabe wohl verkraftbar gewesen. Publikum war übrigens zugelassen und schien nicht zu stören.

Eine besondere Entgleisung leistete sich Günther Ruprecht, Fraktionsführer des ÖAAB. Er zeigte sich traurig darüber, dass die KPÖ sich nicht eingebracht und sich nicht darangehalten habe. Kuba, Laos, Nordkorea, China und Vietnam wären alles demokratische Beispiele und er sei schon sehr gespannt, wie Kollege Luttenberger hier mit Demokratie argumentieren wolle.

Inhaltlich ging es dem ÖAAB darum die Arbeit des Wirtschaftsbundes in der Arbeiterkammer zu übernehmen und einen Antrag für ein degressives Arbeitslosengeld zu stellen. Laut ÖAAB gelten die vorgesehenen Kürzungen „als Anreiz, in die Arbeitswelt zurückzukehren“. Einziges Problem dabei ist nur die Tatsache, dass es dafür nicht ausreichend Arbeitsplätze gibt und die Bundesregierung diese auch nicht schaffen will.

Während der ÖAAB Antrag keine Mehrheit fand, wurden drei Anträge des GLB mehrheitlich angenommen. Ein Antrag zur Änderung des Arbeitsverfassungsgesetzes, damit auch freie Dienstnehmer*innen von den Regelungen der Kollektivverträge umfasst werden, fand ebenso die Zustimmung wie ein Antrag zur Generalunternehmerhaftung für Löhne bei Subfirmen. Ebenso mehrheitlich angenommen wurde die Resolution zum Comeback-Plan der Bundesregierung.

Neben einer Anhebung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe forderte der GLB hier die Bundesregierung unter anderem dazu auf: „Eine Standortpolitik zu betreiben, die auf Arbeitsplatzsicherheit und Qualität der vorhandenen Arbeitsplätze abzielt, statt sich wie bisher an den Profitinteressen, am Standort(negativ)wettbewerb und der daraus resultierenden Verlagerungs- und Erpressungslogik im von der EU-vorgegebenen Rahmen zu orientieren.“

Die Anträge des GLB im Wortlaut:

Antrag 1: Freie Dienstnehmer gleichstellen: Kollektivverträge erweitern!

Seit Beginn des Jahres 2020 gibt es für FahrradbotInnen einen Kollektivvertrag. Mit Beginn des heurigen Jahres konnte von Seiten der vida eine Lohnerhöhung um 2,2 Prozent erreicht werden. Großer Wermutstropfen dabei ist, dass sich diese Lohnerhöhung, wie auch alle anderen im Kollektivvertrag vereinbarten Regelungen nicht für die vielen freien Dienstnehmer der Branche anwenden lassen.

Dabei ist das Problem der Abgrenzung zwischen den einzelnen Beschäftigungsformen und der damit verbundenen Umgehungskonstruktionen bekannt. Im Regierungsprogramm der Koalition aus ÖVP und Grünen heißt es dazu: „Rechtssicherheit in der Abgrenzung von Selbstständigkeit und Dienstverhältnissen: Der Dienstnehmerbegriff soll im Sozialversicherungs- sowie Steuerrecht vereinheitlicht und klarer umschrieben werden, um Rechtssicherheit zu schaffen. Dabei ist sowohl auf die Privatautonomie (bzw. Entscheidungsfreiheit, „Recht auf Selbstständigkeit“) als auch auf Missbrauchsfälle im Bereich der Scheinselbstständigkeit ein besonderes Augenmerk zu legen.“

Seitens des Arbeitsministeriums gibt es allerdings derzeit keine Pläne zur Umsetzung der im Regierungsprogramm vereinbarten Zielsetzungen. Damit bleiben weiterhin derartige freie Dienstverträge - wie das Beispiel eines Fahrradboten zeigt - möglich: „Der freie Arbeitnehmer erhält eine Vergütung von EUR 3,24 brutto pro vom freien Arbeitnehmer erledigter Bestellung. Der Auftraggeber verpflichtet sich weiterhin, dem freien AN mindestens 2 Bestellungen pro Stunde zu garantieren. Der freie AN nimmt zur Kenntnis, dass dieses Vertragsverhältnis dem Arbeitsrecht nicht unterliegt und daher kein Anspruch auf Urlaub, Krankenentgelt, Sonderzahlungen, Abfertigung, etc. entsteht. Es kommt kein KV zur Anwendung.“

Damit liegt der garantierte Stundenlohn eines freien Dienstnehmers mit 6,48 Euro weit unter den vom KV garantierten 8,71 Euro (Stand 2020). Hinzu kommen Schlechterstellungen beim Kilometergeld bzw. eine fehlende Erstattung der Kosten für die Verwendung des Privathandys. Ebenso fehlen bei freien Dienstnehmern die Absicherung im Krankheitsfall und der Anspruch eines bezahlten Urlaubs, sowie der auf Sonderzahlungen.

Die 4. Vollversammlung der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark fordert daher den Arbeitsminister dazu auf, eine gesetzliche Änderung vorzubereiten und dem Parlament vorzulegen, die eine Überarbeitung des Arbeitsverfassungsgesetzes dahingehend vorsieht, dass freie Dienstnehmer in die Regelungen der Kollektivverträge aufgenommen werden können.

Antrag 2: Lohndumping effektiv bekämpfen: Generalunternehmerhaftung für Löhne einführen!

In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit steigt der Druck Arbeitsverhältnisse zu schlechten Bedingungen anzunehmen. Damit steigt auch die Bedeutung gesetzlicher Regelungen, um Mindeststandards festzulegen und durchzusetzen.

Umgehungskonstruktionen mittels Subunternehmen bzw. Subunternehmerketten bieten eine Möglichkeit Kollektivverträge und gesetzliche Regelungen zu unterlaufen und Strafen zu entkommen. Die Rahmenbedingungen, zu denen Aufträge an Subunternehmen vergeben werden legt dabei das Unternehmen an der Spitze fest, wobei es Fälle gibt, bei denen von vorneherein klar ist, dass die getroffenen Verträge unter Einhaltung aller gesetzlichen und kollektivvertraglichen Bedingungen nicht zu erfüllen sind.

Eine aus der Bauwirtschaft bekannte Praxis, hat mittlerweile auch in anderen Branchen Einzug gefunden. Dabei wird etwa eine Leiharbeitsfirma mit der Bereitstellung von Personal beauftragt, gibt diesen Auftrag allerdings an eine weitere Leiharbeitsfirma weiter. Dabei handelt es sich dann um Unternehmen ohne Substanz, also Scheinunternehmen.

Nach derzeitiger Rechtslage werden Arbeitsrechtsverstöße wie Unterentlohnung, Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben dann von diesen Unternehmen begangen und bleiben weitestgehend straffrei. Es braucht daher eine wirksame Regelung, die das Unternehmen an der Spitze in die Verantwortung nimmt, um derartige Praktiken abzustellen.

Die 4. Vollversammlung der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark fordert daher den Arbeitsminister dazu auf, eine Gesetzesvorlage vorzubereiten und dem Parlament vorzulegen, die eine Generalunternehmerhaftung für Löhne durch das Unternehmen an der Spitze vorsieht.

Antrag 3: Pflegeausbildung attraktiver machen!

Die Wichtigkeit der medizinischen Versorgung durch gut ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger tritt in der öffentlichen Aufmerksamkeit meist etwas zurück. Doch gerade in der jetzigen Corona-Krise wird deutlich, dass die medizinische Infrastruktur zu einem wesentlichen Teil von den engagierten und pflichtbewussten KrankenpflegerInnen abhängt.

In dieser Krise tritt auch der seit vielen Jahren virulente Personalmangel sehr deutlich zu Tage. Leider wurde die Krankenpflege über lange Zeit gesellschaftlich nicht wahrgenommen. Es müssen nun dringend Maßnahmen getroffen werden, nicht nur um den Pflegeberuf attraktiver zu machen, sondern vor allem auch in seiner hohen Bedeutung für die Gesellschaft wertzuschätzen.

In anderen gesellschaftlich relevanten Bereichen erhalten bereits die Auszubildenden ein Gehalt. Polizeischüler*innen etwa bekommen 1.740 Euro brutto im ersten Jahr, knapp 2.200 Euro im zweiten Ausbildungsjahr und während der Praxis 2.335 Euro. Ähnliches gilt für die Ausbildung zur Justizwache. Erst 2017 wurde das Ausbildungsgehalt für diese Gruppen deutlich angehoben, um den Beruf zu attraktivieren und die Ausbildung auch für Berufsumsteiger*innen, die vielleicht schon eine Familie zu erhalten haben, interessant zu machen. Auch im Militärbereich werden Gehälter ähnlicher Größenordnung schon während der Berufsausbildung bzw. während des Studiums an der Militärakademie bezahlt - zuzüglich zu freier Kost und Logis sowie ÖBB-Freifahrt.

Die Diplom-Pflegeschüler*innen erhalten hingegen nur ein kleines monatliches Taschengeld zwölfmal pro Jahr. Diese beträgt in der Steiermark zwischen 100 und 280 Euro. In früheren Zeiten wurden immerhin zusätzlich die Verpflegungskosten übernommen. Diese müssen seit 2017 aber auch von den SchülerInnen selbst getragen werden. Auf die mit der Novelle 2016 neu geschaffenen Pflegeassistenzberufe und Praktika während der Ausbildung wurde überhaupt „vergessen“. Dafür gibt es genauso wenig Geld wie für jene, die die neue Pflege-HTL besuchen oder Studierende an der neuen FH für Gesundheits- und Krankenpflege.

Sollte es möglich sein, dass vorwiegend von Frauen dominierte Berufe einfach immer noch weniger wert sind als klassische „Männer“-Berufe? Die gesellschaftliche Relevanz der Berufsgruppe und der steigende Bedarf an Auszubildenden kann schließlich bei den Pflegeberufen nicht geleugnet werden.

Die 4. Vollversammlung der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark fordert daher die Bundesregierung dazu auf sich für eine Entlohnung aller Auszubildenden in Pflegeberufen ähnlich jener der Polizeischüler*innen einzusetzen.

Resolution 1: Comeback-Plan: Soziale Fragen in den Mittelpunkt rücken!

Im vergangenen Jahr sank das Volumen an in Österreich geleisteten Arbeitsstunden von 7,13 auf 6,48 Milliarden Stunden, also um rund neun Prozent. Ein Teil des Rückganges entfiel auf die zeitlich befristeten Kurzarbeitsmodelle. Stark angestiegen ist die Zahl der in Arbeitslosigkeit befindlichen Menschen. Ende März 2021 befanden sich 458.000 Menschen in Arbeitslosigkeit oder Schulung. Deren Zahl ist ähnlich hoch, wie die, der in Kurzarbeit befindlichen Menschen, ihr Einkommen ist in der Krise aber besonders stark gesunken. Die Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes beträgt bekannterweise nur 55 Prozent.

Ebenso stark angestiegen ist die stille Arbeitsmarktreserve, also die Zahl jener, die nicht arbeitslos gemeldet ist, aber den Wunsch hat eine Beschäftigung aufzunehmen. Im Jahresdurchschnitt 2020 waren dies 402.500 Personen. Davon wären 154.700 innerhalb von zwei Wochen zur Arbeitsaufnahme bereit gewesen.

Verringert hat sich hingegen die Zahl der offenen Stellen auf 102.600 im Schnitt des vergangenen Jahres. Die österreichische Bundesregierung hat nun einen sogenannten Comeback-Plan angekündigt. Details fehlen bisher, als Ziel wurde genannt 500.000 Menschen wieder in reguläre Beschäftigung zu bringen. Das sogenannte Comeback-Team der Bundesregierung besteht aus den MinisterInnen Kocher, Gewessler und Blümel. Nicht Teil dieses Teams und nur am Rande eingebunden ist der Sozialminister.

Auch wenn sich die Lage am Arbeitsmarkt durch zu erwartende Öffnungsschritte leicht entspannen wird, ist eine Korrektur der krisenbedingt verschärften Ungleichheiten und ein Erreichen von Vollbeschäftigung durch den Comeback-Plan nicht zu erwarten.

Die vorrangige Zielsetzung der Stärkung des Standortes, um im Wettbewerb mit anderen EU-Staaten möglichst hohe Profite und damit möglichst niedrige Löhne und Sozialstandards zu bieten, widerspricht zudem den Interessen der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung. Eine Anhebung des Pensionsantrittsalters, auch des faktischen, verschärft die Misere am Arbeitsmarkt und den Druck auf die Löhne und Gehälter.

Die 4. Vollversammlung der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark fordert daher die österreichische Bundesregierung dazu auf:
- Die Interessen der Beschäftigten und Erwerbsarbeitslosen ins Zentrum der Maßnahmen zu rücken.
- Maßnahmen zur Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich anzustreben.
- Eine dauerhafte armutsfeste Anhebung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe umzusetzen.
- Eine Standortpolitik zu betreiben, die auf Arbeitsplatzsicherheit und Qualität der vorhandenen Arbeitsplätze abzielt, statt sich wie bisher an den Profitinteressen, am Standort(negativ)wettbewerb und der daraus resultierenden Verlagerungs- und Erpressungslogik im von der EU-vorgegebenen Rahmen zu orientieren. Unerlässlich dazu ist gerade in Krisenphasen ein starker staatlicher Einfluss.
- Die ÖBAG daher in ein Instrument zur Beteiligung an weiteren Unternehmen und zur Steuerung einer österreichischen Industriepolitik zu verwandeln, die den ökologisch notwendigen Umbau ohne Arbeitsplatzverluste gestaltet.