Wichtiges Sprachrohr der Lohnabhängigen
- Montag, 27. April 2020 @ 19:21
Heimo Halbrainer über 100 Jahre Kammer für Arbeiter und Angestellte
Heuer jährt sich die Beschlussfassung über das Gesetz zur Errichtung der Kammern für Arbeiter*innen und Angestellte zum 100. Mal. Doch die Idee dazu geht noch weiter zurück. Als am 26. Februar 1920 im Parlament über das AK-Gesetz debattiert wurde, erinnerte Franz Domes, Obmann der SP-Metallarbeitergewerkschaft, daran, dass mit diesem Gesetz „eine Forderung der Arbeiterschaft erfüllt [wird], die von ihr seit mehr als 70 Jahren erhoben worden ist“. Unter anderem auch, um gegenüber den seit 1848 bestehenden Handels- und Gewerbekammern der Unternehmer endlich die Gleichstellung in Form einer ebenfalls gesetzlichen Interessensvertretung zu haben.
Die Errichtung der Arbeiterkammer als gesetzlich verankerte Institution war eine Errungenschaft in Folge der österreichischen Revolution von 1918/19. Um die „Gefahr der Bolschewisierung“ zu verhindern, gelang es der Sozialdemokratie – obwohl in der Nationalversammlung gegenüber den bürgerlichen Parteien in der Minderheit – eine europaweit beispiellose Sozialgesetzgebung zu verwirklichen. Neben dem Gesetz über den Achtstundentag, dem Betriebsräte-Gesetz und anderen Gesetze mehr war eines der letzten sozialpolitischen Gesetze das am 26. Februar 1920 beschlossene AK-Gesetz.
Ferdinand Hanusch, Staatssekretär für Soziale Verwaltung von 1918 bis 1920, definierte die Ziele folgendermaßen: „Wir brauchen Leute, die bei Begründung der sozialistischen Gesellschaftsordnung die einzelnen Betriebe übernehmen können – dazu haben wir die Betriebsräte geschaffen –, wir brauchen aber auch Leute, die den Gang der gesamten Volkswirtschaft kennen, um die höheren Funktionen in der sozialistischen Gesellschaft zu übernehmen.
Und dazu sind die Kammerräte da. Sie werden neben den Konsumentenorganisationen jene höhere Form des Wirtschaftslebens im sozialistischen Staat im Sinne des Sozialismus zu lenken und zu leiten haben. [...] Die Arbeiterkammer darf kein Ersatz der Gewerkschaften oder irgendeiner anderen Organisation sein, sondern sie wird, solange sie noch nicht ihre höhere künftige Funktion erfüllen kann, vor allem anderen die Aufgabe haben, der Arbeiterklasse das Rüstzeug zu geben für den Klassenkampf.
Warum sollen denn nicht auch wir Juristen, Volkswirtschaftler und Sozialpolitiker in unseren Dienst stellen, die uns beraten und uns das nötige Material liefern?“ Oder wie es Hanusch bei einer Veranstaltung anlässlich der ersten Kammerwahl 1921 in Graz zum Entsetzen der bürgerlichen Fraktionen formuliert hat: „Die Betriebsräte sind der kleine Generalstab und die Arbeiterkammer der große Generalstab der sozialen Revolution, welche in der Stunde der Entscheidung, wenn der ‚sozialistische Staat‘ kommt, die Leitung der Volkswirtschaft zu übernehmen hätten.“
Die Kammerräte werden alle fünf Jahre gewählt, wobei in der Ersten Republik nur 1921 und 1926 Wahlen stattfanden, bei denen die SP-Gewerkschafter über 80 Prozent der Stimmen, die kommunistischen etwas über zwei Prozent erringen konnten. Die für 1931 angesetzte Wahl wurde verschoben, ehe die Arbeiterkammern unter Engelbert Dollfuß zunächst gleichgeschalten und dann der austrofaschistischen Einheitsgewerkschaft unterstellt wurden.
Doch bereits Ende der 1920er Jahre war es immer schwieriger geworden, den gesetzlichen Verpflichtungen – etwa die Erstattung von Berichten und Vorschlägen sowie Erstellung von Gutachten an die gesetzlichen Körperschaften über alle Angelegenheiten der Arbeiter*innen und Angestellten – nachzukommen. Auch hatten bürgerliche Parteien und Regierung wiederholt versucht, das AK-Gesetz zu ändern, um die Macht der politischen Linken dort zu brechen.
Im NS-Staat war schließlich kein Platz mehr für eine solche Vertretung – auch keine unter staatlicher Aufsicht –, weshalb am 10. Juni 1938 die vom Austrofaschismus gleichgeschalteten Kammern aufgelöst und das Vermögen der Deutschen Arbeitsfront überwiesen wurde.
Nach der Befreiung Österreichs vom NS-Regime wurden die Arbeiterkammern mit Gesetz vom 20. Juli 1945 erneut ins Leben gerufen. 1949 fanden schließlich wieder Arbeiterkammerwahlen statt, bei denen die Sozialisten rund zwei Drittel und die Kommunisten rund neun Prozent der Stimmen erringen konnten.
Die Arbeiterkammer wirkte in der Zweiten Republik aktiv beim Zustandekommen grundlegender Sozialgesetze – etwa dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz oder dem Arbeitsverfassungsgesetz – mit, baute den Konsumentenschutz auf und aus und stand letztlich über Jahrzehnte hin als Körperschaft öffentlichen Rechts kaum zur Diskussion.
Dies sollte sich in den 1980er Jahren ändern, als die FPÖ mit dem Volksbegehren 1987 „Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft“ eine Schwächung der Arbeiterkammern forderte. Eine Forderung, die bis heute wiederholt und mit Anträgen, die Kammerumlage zu senken, weiterverfolgt wird. Durch eine Reform der Arbeiterkammer und eine 1996 durchgeführte Mitgliederbefragung gestärkt baute die AK die Serviceleistungen weiter aus, was zu hohen Ergebnissen bei den Vertrauensumfragen führte.
Heimo Halbrainer ist Historiker in Graz, wissenschaftlicher Leiter des Vereins CLIO und Landesvorsitzender des KZ-Verbandes Steiermark
Heuer jährt sich die Beschlussfassung über das Gesetz zur Errichtung der Kammern für Arbeiter*innen und Angestellte zum 100. Mal. Doch die Idee dazu geht noch weiter zurück. Als am 26. Februar 1920 im Parlament über das AK-Gesetz debattiert wurde, erinnerte Franz Domes, Obmann der SP-Metallarbeitergewerkschaft, daran, dass mit diesem Gesetz „eine Forderung der Arbeiterschaft erfüllt [wird], die von ihr seit mehr als 70 Jahren erhoben worden ist“. Unter anderem auch, um gegenüber den seit 1848 bestehenden Handels- und Gewerbekammern der Unternehmer endlich die Gleichstellung in Form einer ebenfalls gesetzlichen Interessensvertretung zu haben.
Die Errichtung der Arbeiterkammer als gesetzlich verankerte Institution war eine Errungenschaft in Folge der österreichischen Revolution von 1918/19. Um die „Gefahr der Bolschewisierung“ zu verhindern, gelang es der Sozialdemokratie – obwohl in der Nationalversammlung gegenüber den bürgerlichen Parteien in der Minderheit – eine europaweit beispiellose Sozialgesetzgebung zu verwirklichen. Neben dem Gesetz über den Achtstundentag, dem Betriebsräte-Gesetz und anderen Gesetze mehr war eines der letzten sozialpolitischen Gesetze das am 26. Februar 1920 beschlossene AK-Gesetz.
Ferdinand Hanusch, Staatssekretär für Soziale Verwaltung von 1918 bis 1920, definierte die Ziele folgendermaßen: „Wir brauchen Leute, die bei Begründung der sozialistischen Gesellschaftsordnung die einzelnen Betriebe übernehmen können – dazu haben wir die Betriebsräte geschaffen –, wir brauchen aber auch Leute, die den Gang der gesamten Volkswirtschaft kennen, um die höheren Funktionen in der sozialistischen Gesellschaft zu übernehmen.
Und dazu sind die Kammerräte da. Sie werden neben den Konsumentenorganisationen jene höhere Form des Wirtschaftslebens im sozialistischen Staat im Sinne des Sozialismus zu lenken und zu leiten haben. [...] Die Arbeiterkammer darf kein Ersatz der Gewerkschaften oder irgendeiner anderen Organisation sein, sondern sie wird, solange sie noch nicht ihre höhere künftige Funktion erfüllen kann, vor allem anderen die Aufgabe haben, der Arbeiterklasse das Rüstzeug zu geben für den Klassenkampf.
Warum sollen denn nicht auch wir Juristen, Volkswirtschaftler und Sozialpolitiker in unseren Dienst stellen, die uns beraten und uns das nötige Material liefern?“ Oder wie es Hanusch bei einer Veranstaltung anlässlich der ersten Kammerwahl 1921 in Graz zum Entsetzen der bürgerlichen Fraktionen formuliert hat: „Die Betriebsräte sind der kleine Generalstab und die Arbeiterkammer der große Generalstab der sozialen Revolution, welche in der Stunde der Entscheidung, wenn der ‚sozialistische Staat‘ kommt, die Leitung der Volkswirtschaft zu übernehmen hätten.“
Die Kammerräte werden alle fünf Jahre gewählt, wobei in der Ersten Republik nur 1921 und 1926 Wahlen stattfanden, bei denen die SP-Gewerkschafter über 80 Prozent der Stimmen, die kommunistischen etwas über zwei Prozent erringen konnten. Die für 1931 angesetzte Wahl wurde verschoben, ehe die Arbeiterkammern unter Engelbert Dollfuß zunächst gleichgeschalten und dann der austrofaschistischen Einheitsgewerkschaft unterstellt wurden.
Doch bereits Ende der 1920er Jahre war es immer schwieriger geworden, den gesetzlichen Verpflichtungen – etwa die Erstattung von Berichten und Vorschlägen sowie Erstellung von Gutachten an die gesetzlichen Körperschaften über alle Angelegenheiten der Arbeiter*innen und Angestellten – nachzukommen. Auch hatten bürgerliche Parteien und Regierung wiederholt versucht, das AK-Gesetz zu ändern, um die Macht der politischen Linken dort zu brechen.
Im NS-Staat war schließlich kein Platz mehr für eine solche Vertretung – auch keine unter staatlicher Aufsicht –, weshalb am 10. Juni 1938 die vom Austrofaschismus gleichgeschalteten Kammern aufgelöst und das Vermögen der Deutschen Arbeitsfront überwiesen wurde.
Nach der Befreiung Österreichs vom NS-Regime wurden die Arbeiterkammern mit Gesetz vom 20. Juli 1945 erneut ins Leben gerufen. 1949 fanden schließlich wieder Arbeiterkammerwahlen statt, bei denen die Sozialisten rund zwei Drittel und die Kommunisten rund neun Prozent der Stimmen erringen konnten.
Die Arbeiterkammer wirkte in der Zweiten Republik aktiv beim Zustandekommen grundlegender Sozialgesetze – etwa dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz oder dem Arbeitsverfassungsgesetz – mit, baute den Konsumentenschutz auf und aus und stand letztlich über Jahrzehnte hin als Körperschaft öffentlichen Rechts kaum zur Diskussion.
Dies sollte sich in den 1980er Jahren ändern, als die FPÖ mit dem Volksbegehren 1987 „Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft“ eine Schwächung der Arbeiterkammern forderte. Eine Forderung, die bis heute wiederholt und mit Anträgen, die Kammerumlage zu senken, weiterverfolgt wird. Durch eine Reform der Arbeiterkammer und eine 1996 durchgeführte Mitgliederbefragung gestärkt baute die AK die Serviceleistungen weiter aus, was zu hohen Ergebnissen bei den Vertrauensumfragen führte.
Heimo Halbrainer ist Historiker in Graz, wissenschaftlicher Leiter des Vereins CLIO und Landesvorsitzender des KZ-Verbandes Steiermark