75 Jahre ÖGB sind Anlass für kritische Reflexion
- Dienstag, 14. April 2020 @ 16:56
Die Gründung des ÖGB am 15. April 1945 ist zwar (soweit das Corona-bedingt möglich ist) auch ein Grund zum Feiern, muss vor allem aber ein Anlass für eine selbstkritische Reflexion von 75 Jahren Gewerkschaftspolitik sein, meint Josef Stingl, Bundesvorsitzender der Fraktion Gewerkschaftlicher Linksblock im ÖGB (GLB). Dass 1945 von Johann Böhm (SPÖ), Lois Weinberger (ÖVP) und Gottlieb Fiala (KPÖ) anstelle der in der 1. Republik bestehenden Richtungsgewerkschaften ein einheitlicher, überparteilicher Gewerkschaftsbund als Interessenvertretung der Lohnabhängigen gegründet wurde, ist ein historischer Fortschritt. Das dabei abgelegte Bekenntnis gegen Krieg und Faschismus ist bis heute eine Verpflichtung weit über die gewerkschaftliche Tätigkeit hinaus.
Als Schwachpunkt sieht Stingl hingegen die schon kurz nach der Gründung vor allem auf Betreiben der SPÖ-Mehrheit durchgesetzte parteipolitische Fraktionierung des ÖGB, die auch international mit dem Beitritt zum sozialdemokratisch orientierten IBFG ihren Niederschlag fand. Ebenso ist ein Schwachpunkt, dass nicht das Prinzip „Ein Betrieb, eine Gewerkschaft“ durchgesetzt wurde und die Trennung in Arbeiter*innen und Angestellte bis heute besteht. Ein Widerspruch besteht zudem zwischen einem sehr effizienten, von den Grundlagenabteilungen sowie von der Arbeiterkammer erarbeiteten Fundus an Grundlagen und deutlichen Defiziten und faulen Kompromissen bei der politischen Umsetzung.
Mit der Unterordnung der Gewerkschaften unter die Erfordernisse der kapitalistischen Restauration in den ersten Nachkriegsjahren unter Kapital- und Regierungsinteressen wurde der Grundstein der Sozialpartnerschaft gelegt. Dabei spielte der ÖGB bei dem als „kommunistischen Putschversuch“ diffamierten Oktoberstreik gegen den Lohn-Preis-Pakt von 1950 eine unrühmliche Rolle. Erst 2015 wurde die Rehabilitierung der wegen ihrer Beteiligung am Oktoberstreik aus dem ÖGB ausgeschlossenen Mitglieder, darunter des damaligen ÖGB-Vizepräsidenten Gottlieb Fiala, vorgenommen.
Die nach dem Oktoberstreik institutionalisierte Sozialpartnerschaft führte nicht nur zur weitgehenden „Eindämmung“ von in anderen Ländern als selbstverständlichen Kampfaktionen und Streiks, sondern auch zur Entpolitisierung der Lohnabhängigen und damit zur Anfälligkeit für den rechtsextremen und fremdenfeindlichen Populismus der FPÖ seit den 1980er Jahren. Da die Kapitalseite schon seit Jahren die Sozialpartnerschaft immer offener aufkündigt tut die ÖGB-Führung den Lohnabhängigen nichts Gutes, wenn sie dessen ungeachtet immer noch auf dieser „Partnerschaft“ beharrt statt eine schärfere Gangart – nicht nur bei KV-Verhandlungen – einzuschlagen.
Großen Aufholbedarf hat der ÖGB trotz Fortschritten weiterhin in Hinblick auf die wachsende Prekarisierung in der Arbeitswelt: Es ist höchste Zeit sich über die Vertretung der „Normalarbeitsverhältnisse“ hinaus zu bewegen und sich auch als Interessenvertretung von atypischen und geringfügig Beschäftigten, Scheinselbständigen, Leiharbeitskräften usw. zu profilieren. Ein Blick auf den Rückgang der Mitgliederzahl von 1,66 (1980) auf 1,21 (2018) Millionen Mitglieder trotz einer gewachsenen Zahl von Unselbständigen bestätigt diese Notwendigkeit.
Handlungsbedarf sieht Stingl vor allem bei einer umfassenden Demokratisierung des ÖGB, nachdem die durch die BAWAG-Krise von 2006 ausgelösten Ansätze für eine grundlegende Reform versandet sind. Dazu gehören Mitgliederbefragungen und Urabstimmungen über wesentliche Fragen – etwa KV-Abschlüsse – ebenso wie die Wahl der Gewerkschaftsgremien durch die Mitglieder und Antragsrechte für Mitglieder, Betriebsrät*innen und Fraktionen.
Wenn ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian den ÖGB „seit 75 Jahren im Dauereinsatz als Krisenmanager“ sieht hat das auf zahlreiche Errungenschaften des heutigen Sozialstaates und aktuell in der Corona-Krise seine Richtigkeit. Doch muss dabei viel stärker deutlich werden, dass Gewerkschaften Interessenvertretungen der Lohnabhängigen sind und ausschließlich deren Anliegen verpflichtet und daher faule sozialpartnerschaftliche Kompromisse kontraproduktiv sind.
Nach Meinung des GLB muss sich der ÖGB auf wichtige Ziele wie Verteilungsgerechtigkeit, eine 30-Stundenwoche mit vollem Lohn- und Personalausgleich als neuen Arbeitszeitstandard, Einführung einer Wertschöpfungsabgabe zur nachhaltigen Finanzierung des Sozialsystems und einen gesetzlichen Mindestlohn konzentrieren und dafür auch entsprechend kampagnisieren.
Als Gegengewicht zur europäischen und globalen Kooperation des Kapitals und seiner Interessenvertretungen muss sich der ÖGB stärker für eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit der Gewerkschaften engagieren: „Auch wenn mit der Corona-Krise der Zenit der neoliberalen Globalisierung erreicht scheint kann die Antwort nicht ein Rückzug in eine nationale Abschottung sein sondern muss Internationalismus angesagt sein“ so Stingl abschließend.
Als Schwachpunkt sieht Stingl hingegen die schon kurz nach der Gründung vor allem auf Betreiben der SPÖ-Mehrheit durchgesetzte parteipolitische Fraktionierung des ÖGB, die auch international mit dem Beitritt zum sozialdemokratisch orientierten IBFG ihren Niederschlag fand. Ebenso ist ein Schwachpunkt, dass nicht das Prinzip „Ein Betrieb, eine Gewerkschaft“ durchgesetzt wurde und die Trennung in Arbeiter*innen und Angestellte bis heute besteht. Ein Widerspruch besteht zudem zwischen einem sehr effizienten, von den Grundlagenabteilungen sowie von der Arbeiterkammer erarbeiteten Fundus an Grundlagen und deutlichen Defiziten und faulen Kompromissen bei der politischen Umsetzung.
Mit der Unterordnung der Gewerkschaften unter die Erfordernisse der kapitalistischen Restauration in den ersten Nachkriegsjahren unter Kapital- und Regierungsinteressen wurde der Grundstein der Sozialpartnerschaft gelegt. Dabei spielte der ÖGB bei dem als „kommunistischen Putschversuch“ diffamierten Oktoberstreik gegen den Lohn-Preis-Pakt von 1950 eine unrühmliche Rolle. Erst 2015 wurde die Rehabilitierung der wegen ihrer Beteiligung am Oktoberstreik aus dem ÖGB ausgeschlossenen Mitglieder, darunter des damaligen ÖGB-Vizepräsidenten Gottlieb Fiala, vorgenommen.
Die nach dem Oktoberstreik institutionalisierte Sozialpartnerschaft führte nicht nur zur weitgehenden „Eindämmung“ von in anderen Ländern als selbstverständlichen Kampfaktionen und Streiks, sondern auch zur Entpolitisierung der Lohnabhängigen und damit zur Anfälligkeit für den rechtsextremen und fremdenfeindlichen Populismus der FPÖ seit den 1980er Jahren. Da die Kapitalseite schon seit Jahren die Sozialpartnerschaft immer offener aufkündigt tut die ÖGB-Führung den Lohnabhängigen nichts Gutes, wenn sie dessen ungeachtet immer noch auf dieser „Partnerschaft“ beharrt statt eine schärfere Gangart – nicht nur bei KV-Verhandlungen – einzuschlagen.
Großen Aufholbedarf hat der ÖGB trotz Fortschritten weiterhin in Hinblick auf die wachsende Prekarisierung in der Arbeitswelt: Es ist höchste Zeit sich über die Vertretung der „Normalarbeitsverhältnisse“ hinaus zu bewegen und sich auch als Interessenvertretung von atypischen und geringfügig Beschäftigten, Scheinselbständigen, Leiharbeitskräften usw. zu profilieren. Ein Blick auf den Rückgang der Mitgliederzahl von 1,66 (1980) auf 1,21 (2018) Millionen Mitglieder trotz einer gewachsenen Zahl von Unselbständigen bestätigt diese Notwendigkeit.
Handlungsbedarf sieht Stingl vor allem bei einer umfassenden Demokratisierung des ÖGB, nachdem die durch die BAWAG-Krise von 2006 ausgelösten Ansätze für eine grundlegende Reform versandet sind. Dazu gehören Mitgliederbefragungen und Urabstimmungen über wesentliche Fragen – etwa KV-Abschlüsse – ebenso wie die Wahl der Gewerkschaftsgremien durch die Mitglieder und Antragsrechte für Mitglieder, Betriebsrät*innen und Fraktionen.
Wenn ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian den ÖGB „seit 75 Jahren im Dauereinsatz als Krisenmanager“ sieht hat das auf zahlreiche Errungenschaften des heutigen Sozialstaates und aktuell in der Corona-Krise seine Richtigkeit. Doch muss dabei viel stärker deutlich werden, dass Gewerkschaften Interessenvertretungen der Lohnabhängigen sind und ausschließlich deren Anliegen verpflichtet und daher faule sozialpartnerschaftliche Kompromisse kontraproduktiv sind.
Nach Meinung des GLB muss sich der ÖGB auf wichtige Ziele wie Verteilungsgerechtigkeit, eine 30-Stundenwoche mit vollem Lohn- und Personalausgleich als neuen Arbeitszeitstandard, Einführung einer Wertschöpfungsabgabe zur nachhaltigen Finanzierung des Sozialsystems und einen gesetzlichen Mindestlohn konzentrieren und dafür auch entsprechend kampagnisieren.
Als Gegengewicht zur europäischen und globalen Kooperation des Kapitals und seiner Interessenvertretungen muss sich der ÖGB stärker für eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit der Gewerkschaften engagieren: „Auch wenn mit der Corona-Krise der Zenit der neoliberalen Globalisierung erreicht scheint kann die Antwort nicht ein Rückzug in eine nationale Abschottung sein sondern muss Internationalismus angesagt sein“ so Stingl abschließend.