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Frauenvolksbegehren weiter aktuell

  • Mittwoch, 4. März 2020 @ 10:18
Meinung
Anne Rieger zu Türkis-Grün aus Frauensicht

„Am Arbeitsplatz habe ich noch nie Sexismus erlebt“ sagt die Frauenministerin. Was ist das für eine Interessenvertreterin der Frauen? Hunderttausenden fällt sie in den Rücken. Und das wo doch die Frauenministerin eine der wichtigsten ist, verantwortlich für die Hälfte der Menschen. Deswegen brauchen wir ein eigenständiges Frauenministerium, mit einem substanziell erhöhten Budget.

Mit dem Österreichischen Frauenring (ÖFR) fordern wir mindestens 210 Mio. Euro. Bei 80 Mrd. Euro Gesamtbudget sind das Peanuts. Angesichts der vielen frauen- und gleichstellungspolitischen Baustellen muss Schluss sein mit kosmetischen Maßnahmen oder bloßen Bekenntnissen zum Gewaltschutz. Die Kürzungen und Streichungen der ehemaligen Regierung müssen rückgängig gemacht werden, mehrjährige Rahmenverträge mit Valorisierungsklauseln sind notwendig, besonders auch für Frauen- häuser, Mädchen- und Frauenberatungsstellen.

Frauen in der Regierung nutzen uns nichts, wenn sie Politik gegen die Mehrheit der Frauen machen bzw. mittragen, so wie die neue Ministerin, die unter anderem auch die Agenda Frauen mit zu verwalten hat. Mit ihrem Sager „Am Arbeitsplatz habe ich noch nie Sexismus erlebt“ fällt sie hunderttausenden Frauen in den Rücken.

Vereinbarkeit ist kein Frauenproblem

Um Frauen ökonomische Unabhängigkeit und körperliche Selbstbestimmung in sämtlichen Bereichen zu ermöglichen, auch um sich aus Gewaltbeziehungen zu befreien, muss es eine soziale Absicherung für ein existenzsicherndes Leben geben. Es braucht gesetzliche Regelungen für gleiches Einkommen für gleichwertige Arbeit mit Sanktionen gegen Unter- nehmen, die das nicht einhalten.

Um die hohe Teilzeitquote bei Frauen zu senken, ist eine flächendeckende kostenlose, ganztägige und qualitativ hochwertige staatliche Kinderbetreuung erforderlich, die mit einer Vollzeitbeschäftigung vereinbar ist. Kinder brauchen das Recht auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr. Nur für 36 Prozent der Kinder im Volksschulalter gibt es eine schulische Tagesbetreuung bzw. eine außerschulische Betreuungseinrichtung.

Daher hat nur jedes dritte Kind in Österreich einen Platz, der mit einem Acht-Stunden-Arbeitstag vereinbar ist. Bei einem Zwölf-Stunden-Tag spitzt sich die Situation weiter zu. Außerhalb von Wien haben nur zwei Prozent der Krippen und Kindergärten derart lange Betreuungszeiten. In vielen Gegenden Österreichs gilt eine Frau, wenn ihr Kind am Nachmittag im Hort ist, als Rabenmutter. Mütter sind dem sozialen Druck stärker ausgesetzt, sich aktiv ins Schulleben einzubringen. Und selbstverständlich ist auch eine eigenständige Väterkarenz notwendig.

Weg mit dem 12-Stunden-Arbeitstag

Der 12-Stunden-Höchstarbeitstag muss rückgängig gemacht werden. Die Auswirkung trifft nicht den Manager, sondern Familien, bei denen beide Elternteile arbeiten müssen oder wollen und Alleinerzieherinnen. Letztere verfügen meist über ein geringes Einkommen, mit dem Fremdbetreuung nur schwer leistbar ist. Deswegen brauchen wir die 30-Stunden-Vollzeit-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, einen wertgesicherten steuerfreien Mindestlohn von 13 Euro pro Stunde, einen Familienbonus, bei dem die unteren Einkommen profitieren. Die Sozialhilfe (Mindestsicherung) muss rückgängig gemacht werden. Es braucht Wohnortnahe Arbeitsplätze und einen Ausbau klima- freundlicher, leistbarer kollektiver Mobilitätssysteme besonders im länd- lichen Raum.

Für Kinderbetreuung und Pflege brauchen wir mehr Geld, um mehr Personal mit weniger Stundenverpflichtung besser bezahlen zu können. So werden die Berufe attraktiver. Statt zwei Mrd. Euro mit der Senkung von Körperschaftssteuer, Spitzensteuersatz, Kapitalertragssteuer an Unternehmen und Reiche zu verschenken, muss das Geld für sozialen Dienstleistungen verwendet werden, ebenso die „plötzlich gefundenen“ 1,4 Mrd. Euro Budgetüberschuss.

Eigenständige Absicherung

Maßnahmen für höhere Frauenpensionen sind neben der Verringerung von Teilzeit und Niedriglöhnen die Rücknahme der Lebensdurchrechnung. Wir brauchen die Wiedereinführung der „15 besten Jahre“ sowie eine eigenständige Ausgleichszulage. Wir lehnen die steuerliche Förderung der privaten Pensionsvorsorge ebenso ab wie das automatische Familien- splitting.

Damit wird die Absicherung im Alter wieder zum individuellen Problem von Einzelpersonen oder Familien gemacht. Es kann nicht sein, dass Frauen im 21. Jahrhundert wieder geraten wird: Such dir möglichst einen Top- Verdiener als Mann (ansonsten wird die Pension für beide mickrig). Soll es wieder heißen: „Schatzi, das lohnt sich doch nicht, bleib du zu Hause“?

Wir brauchen flächendeckende kostenlose geschlechtssensible Sexualpädagogik, kostenlos Verhütungsmittel und Schwangerschaftsabbruch. Die Regelungen dazu müssen aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden.

Frauen müssen selbstbestimmt leben und sich kleiden können, dürfen nicht diskriminiert werden. Eine Senkung der Tamponsteuer ist ok, aber kein Ersatz für unsere Forderungen. Deswegen fordern wir die erneute Behandlung des Frauenvolksbegehrens, das eine halbe Million Menschen unterstützt haben. Denn „Frauen haben immer nur erreicht, was sie sich selbst erkämpft haben“ (Johanna Dohnal).

Anne Rieger ist Mitglied im Landesvorstand und erweiterten Bundesvorstand des GLB