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Herber Rückschlag durch VfGH-Urteil

  • Montag, 24. Februar 2020 @ 10:23
Meinung
Ingrid Reischl über den Kassenumbau und seine Folgen

Im Dezember 2018 wurde von der damaligen türkis-blauen Regierung der Kassenumbau beschlossen. Unter dem Deckmantel einer „Patientenmilliarde“ und dem vermeintlichen Versprechen „gleiche Leistungen für alle“ wurde eine umfangreiche Entmachtung der ArbeitnehmerInnen durchgeführt. Die heftigsten Eingriffe erfolgten bei der Selbstverwaltung, jenen Gremien, welches die Anliegen der Versicherten vertreten. Die Veränderungen trafen aber nicht alle Sozialversicherungsträger gleichermaßen. Beispielsweise haben in dem neuen Versicherträger für BeamtInnen, EisenbahnerInnen und Bergbau (BVAEB), die ArbeitnehmerInnen eine Mehrheit gegenüber der ArbeitgeberInnen-Vertretung beibehalten.

ÖGK: Mehrheit geändert

In der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und bei der Pensionsversicherungsanstalt, wurde die Mehrheit der ArbeitnehmerInnen hingegen auf eine Stimmengleichheit zurückgestuft. Dies hat viel verändert: Bis zum Kassenumbau kamen in den Gebietskrankenkassen vier VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen auf einen Arbeitgeber, jetzt sind sie im Verhältnis von 1:1 vertreten.

Aber auch die Anzahl der SV-Träger wurde – zumindest auf dem Papier – reduziert. „21 Sozialversicherungsträger sind zu viel“, hieß es von Seiten der Kritiker. Die Lösung der damaligen Regierung war: kleinere Träger, wie die Betriebskrankenkassen und die Versicherungsanstalt des Notariats aus der Sozialversicherung herauszunehmen. Dies ist Augenauswischerei. Die Träger existieren weiterhin – sie befinden sich nur nicht mehr unter dem Dach der Sozialversicherung.

Kassen nach Klassen

Der größte Einschnitt erfolgte jedoch bei der Krankenversicherung der ArbeitnehmerInnen in der Privatwirtschaft. Bis 31. Dezember 2019 waren diese bei den neun Gebietskrankenkassen versichert. Seit 1. Jänner 2020 wurde mit der ÖGK eine riesige Krankenversicherung für 7,2 Mio. Menschen geschaffen und einem Budget von über 13 Mrd. Euro veranschlagt. Und der Obmann, also der Chef der Krankenversicherung für die ArbeitnehmerInnen, ist ein Kärntner Hotelier, welcher in der ÖGK nicht versichert ist und entsprechend von den Entscheidungen nicht betroffen ist.

In Summe gibt es nun in der Sozialversicherung drei Klassen an Krankenkassen: eine sehr gute, in der die BeamtInnen und PolitikerInnen krankenversichert sind, eine gute für die Selbstständigen und die Bauern und eine für alle anderen – dies wird zur Folge haben, dass die Leistungen aufgrund der unterschiedlichen Versichertenstruktur (noch) weiter auseinanderklaffen werden.

Folgen schon spürbar

Dass die Fusion nicht zum Wohle der Versicherten ist hat sich in den letzten Monaten immer wieder bemerkbar gemacht. Stolz wurde verkündet, dass über 700 MitarbeiterInnen mit der Fusion beschäftigt waren. Dass die Angestellten hier enormes geleistet haben ist auch nicht zu bezweifeln, die Notwendigkeit des Umbaus jedoch schon.

Wie sich die Parität auswirkt konnte man im Dezember beobachten: Die Wirtschaftstreibenden forderten Krankenstandskontrollen bei Mitarbeitern anordnen zu können. Zusätzlich sollten Ursachen bzw. voraussichtliche Dauer eines Krankenstandes bekanntgegeben werden. Diese Gesundheitsspionage konnte von den ArbeitnehmerInnen-VertreterInnen in der ÖGK verhindert werden.

Gerade auch vor diesem Hintergrund war das VfGH-Urteil vom Freitag, den 13. Dezember 2019 zur paritätischen Besetzung ein herber Rückschlag. Es wurde bestätigt, dass dies im Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers liegt. Erfreulich hingegen war die Aufhebung der Zwangszuweisung der BeitragsprüferInnen zur Finanz. Im Zuge der Kassenfusion wurde der Krankenversicherung die Möglichkeit entzogen, selbst die Sozialversicherungsbeiträge, die die ArbeitgeberInnen zu überweisen haben, zu kontrollieren.

Was kommt noch?

Die ÖGK startet mit einem Minus von über 70 Mio. Euro und bis Ende des Jahres soll es auf über 175 Mio. Euro anwachsen. Was als PatientInnen-Milliarde von der damaligen türkis-blauen Regierung versprochen wurde, wird also zum Milliardengrab. Damit ist die Möglichkeit zur Leistungsverbesserung nicht vorhanden. Hinzu kommt, dass in den nächsten Jahren rund ein Drittel der Beschäftigten abgebaut werden.

Das ist insofern alarmierend, da mehr als 40 Prozent der Beschäftigten der ÖGK in der medizinischen Versorgung arbeiten, beispielsweise in den Gesundheitseinrichtungen. Auch hier hallt der Ruf der Wirtschaftsseite schon seit Jahren durch, es sollen nun endlich die von der Sozialversicherung betriebenen Einrichtungen (teil)privatisiert werden. Dies wäre nicht im Sinne der ArbeitnehmerInnen und Versicherten und somit auch nicht im Sinne des ÖGB.

Anfang Februar hat sich der neue Vorsitzende des Dachverbandes der Sozialversicherung und Vorsitzende der Sozialversicherung der Selbstständigen gegen gleiche Leistungen für alle ausgesprochen. Begründet hat er dies mit dem Wettbewerbsgedanken in einem System der Pflichtversicherung – was reichlich absurd ist. Im Sinne aller ArbeitnehmerInnen ist eine Leistungsharmonisierung und ein Ausgleich zwischen allen Versicherungsgruppen („Risikostrukturausgleich“) unerlässlich. Denn unserer Forderung nach einem guten Leben für alle, impliziert auch eine gute Gesundheitsversorgung für alle.

Ingrid Reischl ist Leitende Sekretärin des ÖGB