Es geht um die soziale Frage
- Mittwoch, 19. Februar 2020 @ 10:52
Alexandra Weiss über Feminismus und Frauenpolitik seit den 1970er Jahren
Als im November 1979 Johanna Dohnal und Franziska Fast als Staatssekretärinnen angelobt wurden, wurde Frauenpolitik zum ersten Mal als eigenes Politikfeld in Österreich institutionalisiert. Die Neue Frauenbewegung konnte die vielfältigen Diskriminierungen von Frauen breit thematisieren und politisieren. Sie war ein internationales Phänomen geworden, auf das auch die Vereinten Nationen reagierten: 1975 rief die UNO das Jahr der Frau aus, in Mexiko fand die erste Weltfrauenkonferenz statt, darauf folgte die UN-Dekade der Frau.
Medialer Sexismus
Die Bedingungen unter denen Frauenpolitik damals stattfand, waren allerdings alles andere als einfach. Die Medien reagierten mit heute kaum vorstellbarem Sexismus auf die Bestellung der Staatssekretärinnen. Das Staatssekretariat für die Belange der berufstätigen Frau wurde bereits 1983 wieder aufgelöst.
Johanna Dohnals Staatssekretariat für allgemeine Frauenfragen bestand weiter, allerdings mit wenig Budget, ohne Vetorecht im Ministerrat und von vielen Seiten angefeindet. Dass sich Frauenpolitik dennoch entwickeln konnte, verdankt sich dem Engagement Johanna Dohnals und ihrer Mitarbeiterinnen und dem Rückhalt, den sie bei vielen Frauen genoss.
Servicestellen unterwegs
Essenziell für ihren Politikstil war der direkte Kontakt und der Austausch. Johanna Dohnal und ihre Mitarbeiterinnen gingen wie Sozialforscherinnen hinaus in die Bundesländer und erhoben die Lebenssituation und die Probleme der Frauen. Im Bundeskanzleramt hielt sie Sprechstunden ab und in den Bundesländern gab es die „Frauenservicestellen unterwegs“. Ihre wichtigste Informationsquelle, wie sie selbst einmal sagte: viele Gesetzesnovellen nahmen hier ihren Anfang.
Die 1980er und die 1990er Jahre waren – trotz konservativer Wende und einer großen Koalition ab 1986 – von einer Reihe frauenpolitischer Erfolge gekennzeichnet: Das Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft wurde verbessert, der Sexismusbeirat wurde eingerichtet, es gab eine Bewusstseinsbildungskampagne zur Berufswahl von Mädchen, Vergewaltigung in der Ehe wurde 1989 ein Straftatbestand, das Frauenstaatssekretariat wurde 1990 in ein Frauenministerium aufgewertet, ein Familien- und ein Gleichbehandlungspaket wurden beschlossen, 1993 trat das Bundesgleichbehandlungsgesetz in Kraft und 1997 das Gewaltschutzgesetz.
Paradigmenwechsel
In den 1980er Jahren begann sich aber die politische Landschaft und das Gesicht des Kapitalismus zu verändern. Neoliberale Ideologien stellten sozial- und frauenpolitische Errungenschaften in Frage. Es kam zu einem Paradigmenwechsel in der wirtschaftspolitischen Grundausrichtung. Eine keynesianische, wurde durch eine dominant monetaristische Wirtschaftspolitik abgelöst, der Staat sollte sich aus der wirtschaftspolitischen Gestaltung zurückziehen und der Sozialstaat wurde geschwächt. Es folgten tiefe Einschnitte in das System der sozialen Sicherung. Das entzog nicht nur frauenpolitischer Gestaltung eine wesentliche Grundlage.
Die Absetzung Johanna Dohnals durch Franz Vranitzky im Jahr 1995 markierte vor diesem Hintergrund eine (neoliberale) Wende sozialdemokratischer Politik und Frauenpolitik. Das „goldene Zeitalter der Frauenpolitik“ war vorbei, die SPÖ verlor ihre frauenpolitische Meinungsführerschaft und ihren Status als „Partei der Frauen“. Der neoliberale Umbau von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und die Anpassungsleistungen der Sozialdemokratie drängte emanzipatorische Politik und die Errungenschaften zurück, revidierte sie zum Teil sogar. Das Frauenvolksbegehren 1997 wirkt retrospektiv wie ein letztes Aufbegehren vor der rechts-konservativen Wende.
Banalisierung von Feminismus
Frauenpolitik und Feminismus befinden sich heute in einer äußerst widersprüchlichen Situation. Neben den offensichtlichen Angriffen auf Frauenpolitik, gibt es auch eine „Krise der Kritik“ innerhalb des Feminismus und der frauenpolitischen Praxis – manifestiert in der Abtrennung der sozialen Frage und einer neoliberalen Vereinnahmung feministischer Kritik. Folge ist eine Banalisierung von Feminismus, dessen komplexe Analysen und Politikansätze zunehmend verloren gehen und einen Elitefeminismus hervorbringen, der nicht (mehr) alle Frauen meint.
Es ist wesentlich die soziale Frage – ohne die alten sexistischen und rassistischen Ausschlüsse – wieder zurück ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung zu holen. Die Beschränkung der Macht des Marktes und die Neu-Verteilung und -Bewertung der Arbeit von Frauen und Männern und eine längst überfällige Arbeitszeitverkürzung sind essenziell für die Demokratisierung von Geschlechterverhältnissen und der gesamten Gesellschaft. Das verbindet eine Politik der Umverteilung mit einer Politik der kulturellen Anerkennung.
Leben in Würde
Politik muss wieder dazu antreten, den Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen, frei von ökonomischen Zwängen und jenseits einer permanenten Optimierung ihrer selbst und ihrer Arbeitskraft, die ohnehin nie genügt. Denn mehr als drei Jahrzehnte neoliberale Politik haben nicht nur die Grundfesten unserer Demokratie zutiefst erschüttert, sondern auch das Verhältnis der Menschen zu sich selbst und anderen.
Alexandra Weiss, Politikwissenschafterin, Autorin von „Johanna Dohnal und die Frauenpolitik der Zweiten Republik“
Als im November 1979 Johanna Dohnal und Franziska Fast als Staatssekretärinnen angelobt wurden, wurde Frauenpolitik zum ersten Mal als eigenes Politikfeld in Österreich institutionalisiert. Die Neue Frauenbewegung konnte die vielfältigen Diskriminierungen von Frauen breit thematisieren und politisieren. Sie war ein internationales Phänomen geworden, auf das auch die Vereinten Nationen reagierten: 1975 rief die UNO das Jahr der Frau aus, in Mexiko fand die erste Weltfrauenkonferenz statt, darauf folgte die UN-Dekade der Frau.
Medialer Sexismus
Die Bedingungen unter denen Frauenpolitik damals stattfand, waren allerdings alles andere als einfach. Die Medien reagierten mit heute kaum vorstellbarem Sexismus auf die Bestellung der Staatssekretärinnen. Das Staatssekretariat für die Belange der berufstätigen Frau wurde bereits 1983 wieder aufgelöst.
Johanna Dohnals Staatssekretariat für allgemeine Frauenfragen bestand weiter, allerdings mit wenig Budget, ohne Vetorecht im Ministerrat und von vielen Seiten angefeindet. Dass sich Frauenpolitik dennoch entwickeln konnte, verdankt sich dem Engagement Johanna Dohnals und ihrer Mitarbeiterinnen und dem Rückhalt, den sie bei vielen Frauen genoss.
Servicestellen unterwegs
Essenziell für ihren Politikstil war der direkte Kontakt und der Austausch. Johanna Dohnal und ihre Mitarbeiterinnen gingen wie Sozialforscherinnen hinaus in die Bundesländer und erhoben die Lebenssituation und die Probleme der Frauen. Im Bundeskanzleramt hielt sie Sprechstunden ab und in den Bundesländern gab es die „Frauenservicestellen unterwegs“. Ihre wichtigste Informationsquelle, wie sie selbst einmal sagte: viele Gesetzesnovellen nahmen hier ihren Anfang.
Die 1980er und die 1990er Jahre waren – trotz konservativer Wende und einer großen Koalition ab 1986 – von einer Reihe frauenpolitischer Erfolge gekennzeichnet: Das Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft wurde verbessert, der Sexismusbeirat wurde eingerichtet, es gab eine Bewusstseinsbildungskampagne zur Berufswahl von Mädchen, Vergewaltigung in der Ehe wurde 1989 ein Straftatbestand, das Frauenstaatssekretariat wurde 1990 in ein Frauenministerium aufgewertet, ein Familien- und ein Gleichbehandlungspaket wurden beschlossen, 1993 trat das Bundesgleichbehandlungsgesetz in Kraft und 1997 das Gewaltschutzgesetz.
Paradigmenwechsel
In den 1980er Jahren begann sich aber die politische Landschaft und das Gesicht des Kapitalismus zu verändern. Neoliberale Ideologien stellten sozial- und frauenpolitische Errungenschaften in Frage. Es kam zu einem Paradigmenwechsel in der wirtschaftspolitischen Grundausrichtung. Eine keynesianische, wurde durch eine dominant monetaristische Wirtschaftspolitik abgelöst, der Staat sollte sich aus der wirtschaftspolitischen Gestaltung zurückziehen und der Sozialstaat wurde geschwächt. Es folgten tiefe Einschnitte in das System der sozialen Sicherung. Das entzog nicht nur frauenpolitischer Gestaltung eine wesentliche Grundlage.
Die Absetzung Johanna Dohnals durch Franz Vranitzky im Jahr 1995 markierte vor diesem Hintergrund eine (neoliberale) Wende sozialdemokratischer Politik und Frauenpolitik. Das „goldene Zeitalter der Frauenpolitik“ war vorbei, die SPÖ verlor ihre frauenpolitische Meinungsführerschaft und ihren Status als „Partei der Frauen“. Der neoliberale Umbau von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und die Anpassungsleistungen der Sozialdemokratie drängte emanzipatorische Politik und die Errungenschaften zurück, revidierte sie zum Teil sogar. Das Frauenvolksbegehren 1997 wirkt retrospektiv wie ein letztes Aufbegehren vor der rechts-konservativen Wende.
Banalisierung von Feminismus
Frauenpolitik und Feminismus befinden sich heute in einer äußerst widersprüchlichen Situation. Neben den offensichtlichen Angriffen auf Frauenpolitik, gibt es auch eine „Krise der Kritik“ innerhalb des Feminismus und der frauenpolitischen Praxis – manifestiert in der Abtrennung der sozialen Frage und einer neoliberalen Vereinnahmung feministischer Kritik. Folge ist eine Banalisierung von Feminismus, dessen komplexe Analysen und Politikansätze zunehmend verloren gehen und einen Elitefeminismus hervorbringen, der nicht (mehr) alle Frauen meint.
Es ist wesentlich die soziale Frage – ohne die alten sexistischen und rassistischen Ausschlüsse – wieder zurück ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung zu holen. Die Beschränkung der Macht des Marktes und die Neu-Verteilung und -Bewertung der Arbeit von Frauen und Männern und eine längst überfällige Arbeitszeitverkürzung sind essenziell für die Demokratisierung von Geschlechterverhältnissen und der gesamten Gesellschaft. Das verbindet eine Politik der Umverteilung mit einer Politik der kulturellen Anerkennung.
Leben in Würde
Politik muss wieder dazu antreten, den Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen, frei von ökonomischen Zwängen und jenseits einer permanenten Optimierung ihrer selbst und ihrer Arbeitskraft, die ohnehin nie genügt. Denn mehr als drei Jahrzehnte neoliberale Politik haben nicht nur die Grundfesten unserer Demokratie zutiefst erschüttert, sondern auch das Verhältnis der Menschen zu sich selbst und anderen.
Alexandra Weiss, Politikwissenschafterin, Autorin von „Johanna Dohnal und die Frauenpolitik der Zweiten Republik“