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Falsche Stoßrichtung

  • Mittwoch, 19. Februar 2020 @ 10:50
Meinung
Leo Furtlehner über den Generalverdacht gegen Kranke

Die Zahlen sprechen eigentlich klar für sich: Von 1980 bis 2018 sank die Zahl der durchschnittlichen Krankenstandstage pro Versicherten von 17,4 auf 13.1. Doch was kümmern die Unternehmervertretungen schon Fakten. Und so wurden in einem Forderungsprogramm der Wirtschaftskammer (WKO) im Dezember 2019 massive Verschärfungen beim Krankenstand verlangt. Was wiederum von Gewerkschaftsseite als Vorgeschmack auf die geänderten Machtverhältnisse in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) – dem Ergebnis der Zwangsfusion der früheren Gebietskrankenkassen – interpretiert wurde.

Nach den Wünschen der WKO sollen vom Dienstgeber künftig bei Verdacht auf Missbrauch Überprüfungen des Krankenstandes angeordnet werden können. Die derzeit vorhandene Möglichkeit, bei der Krankenkasse Kontrollen anzuregen, reicht ihnen nämlich nicht. Zusätzlich wollen die Unternehmer die Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit, Beginn und Dauer sowie Ursache des Krankenstandes und ärztlich angeordnete Bettruhe- und Ausgehzeiten. Also Daten, die den Dienstgeber nichts angehen, sondern ausschließlich in der Entscheidungsbefugnis der Ärzt*innen liegen.

Datenschutz passé?

Aber wenn es um Belange der Beschäftigten geht nimmt man es mit dem Datenschutz nicht so genau. Es gilt vielmehr der Missbrauchs- und der Generalverdacht. Das passt auch recht gut in die Strategie der Unternehmervertretung zur Abwehr an der Kritik an den „Schwarzen Schafen“ in ihren Reihen mit der Diffamierung von – vielfach infolge massiven Arbeitsdrucks – erkrankten Beschäftigten als „Sozialschmarotzer“ zu kontern.

Bereits im Jänner 2019 hatte die oö Wirtschaftskammerpräsidentin Doris Hummer für eine bevorstehende Info-Veranstaltung zum Thema „Krankenstandsfälle – der richtige Umgang“ geworben. Laut Begleittext bot diese „das nötige Handwerkszeug, um Fragen der (…) Vertragsauflösungen im oder wegen eines Krankenstandes sowie die Behandlung von Verdachtsfällen auf Krankenstandsmissbrauch sicher beantworten zu können.“

Klagen über „Tabuthema“

Die Marktschreier des Kapitals, wie etwa die Juristin Kristina Silberbauer bei einer Kontroverse über pro und kontra Kontrollen (Standard, 14.1.2020), mühen sich mit aller Kraft, Krankenstände per se als „simuliert“ und Kontrollen als „Tabuthema“ darzustellen und klagen darüber, dass Verschärfungen „medial zerrissen“ werden. Ganz im Sinne des Generalverdachts unterstellt Silberbauer zudem, ärztliche Bestätigungen würden aus Gefälligkeit oder „überhaupt gleich von der Ordinationshilfe ausgestellt“ werden. Fehlt nur noch die Behauptung, dass Gutachten von „Doktor Google“ vorgelegt würden.

Scheinheilig wird dann behauptet „um die Kontrolle der Braven geht es nicht“ und man beklagt die angebliche Hilflosigkeit von Unternehmern gegen findige Krankenständler. Silberbauer räumt aber immerhin ein, dass „ein Arbeitgeber den kranken Arbeitnehmer bei Verdacht aufsuchen oder von einem Detektiv beobachten lassen kann“ und dass mit der Offenlegung der Diagnose „die Forderung der Wirtschaft zu weit geht“.

Viel Kontrolle, kaum Missbrauch

Zurück zu den Fakten: Laut Wolfgang Panhölzl (AK-Wien) liegt das Missbrauchsverhalten im Promillebereich. Bei monatlich 20.000 bis 25.000 Kontrolluntersuchungen durch Chefärzt*innen in Wien gibt es ganze zehn Streichungen oder sogar rückwirkende Stornierungen von Krankenständen. Und als Draufgabe gibt es rund 20.000 Hausbesuche von Kontrolloren – die im Gegensatz zur Polizei sogar verfassungsrechtlich bedenklich ohne Gerichtsbeschluss eine Wohnung betreten dürfen.

Denn eigentlich ist es genau umgekehrt: Zu viele Beschäftigte gehen aus Pflichtgefühl und Angst vor negativen Folgen krank in die Arbeit – zum Schaden für ihre Gesundheit und auch jener der gesunden Kolleg*innen. Daher müssten vielmehr die Arbeitsverhältnisse in krank machenden Betrieben eruiert und daraus entsprechende Konsequenzen gezogen werden.

Krank in die Arbeit?

Wie das konkret ausschaut zeigt das Beispiel Oberösterreich, wo im Jahr 2000 Beschäftigte im Schnitt noch 15 Tage, 2016 aber nur noch 12,9 Tage im Krankenstand waren. Aber die Hälfte der Krankenstandstage entfiel auf rund sieben Prozent der Beschäftigten – nämlich die schwer und chronisch Kranken. Dabei erfordern psychische Erkrankungen im Schnitt 35,8 Krankenstandstage, solche aufgrund einer körperlichen Erkrankung jedoch nur 13,6 Tage.

Hingegen waren in diesen Jahren laut OÖ Gebietskrankenkasse rund 40 Prozent der Beschäftigten keinen einzigen Tag im Krankenstand und laut Arbeitsgesundheitsmonitor der Arbeiterkammer AK Oberösterreich gehen 33 Prozent der Beschäftigten auch krank zur Arbeit.

Summa summarum wäre zu wünschen, dass die Wirtschaftskammer und ihre diversen medialen, politischen und juristischen Sprachrohre ihre Energie nicht auf die Bekämpfung kranker Menschen – für die ausschließlich Ärzt*innen zuständig sind – konzentrieren, sondern auf die krankmachenden Faktoren in der Arbeitswelt wie Leistungsdruck, Stress, Mobbing etc. Und dass sie mit ähnlicher Energie gegen die „Schwarzen Schafe“ – die laufend in Berichten von Arbeiterkammern und Gewerkschaften bei Verstößen gegen das Arbeits- und Sozialrecht dargestellt werden – in den eigenen Reihen vorgehen.

Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“