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Ja – aber keine Nulllohnrunde

  • Dienstag, 28. Januar 2020 @ 08:08
Meinung
Anne Rieger zum Thema Arbeitszeitverkürzung

„Wir fordern eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden bei gleichbleibenden Lohn / Gehalt für Vollzeitbeschäftigte, bei gleichbleibenden Stundenausmaß für Teilzeitbeschäftigte, bei vollem Personalausgleich“ – diese so gut klingende Forderung der Gewerkschafter*innen von GPA-djp und vida in der österreichischen Sozialwirtschaft hat einen großen Haken: sie lassen sich damit auf eine Nulllohnrunde ein. Denn gleichbleibender Lohn heißt hier: Keine Lohnerhöhung für 2020. Sie fehlt dann nicht nur 2020 sondern auch in allen Folgejahren. Ein einfaches Beispiel: Eine Vollzeitbeschäftigte erhält 2000 Euro monatlich und verzichtet 2020 auf eine Erhöhung beispielsweise auf zwei Prozent, also 40 Euro monatlich. Die etwa 560 Euro jährlich fehlen dann nicht nur in 2020 sondern auch in allen kommenden Jahren. Sie werden nie mehr gezahlt. Im Gegenteil, die Fehlsumme erhöht sich von Jahr zu Jahr, da es auf die fehlenden Differenz in Zukunft keine Lohnerhöhung geben kann (negative Zinseszinsrechnung). Letztendlich wirkt das auch negativ auf die Pension.

Im vergangenen Jahr hatten die Beschäftigten sechs Prozent mehr Einkommen gefordert, durchsetzen konnten sie 3,2 Prozent. Das lag zwar über der offiziell ausgewiesenen Inflationsrate. Berücksichtigt man aber die weit höher gestiegenen Wohnkosten, stellt sich die Frage nach der Nulllohnrunde noch schärfer. Laut Agenda Austria stiegen die Wohnkosten in Österreich in den vergangenen zehn Jahren um 32 Prozent, deutlich höher als die Inflation, die in diesem Zeitraum „nur“ bei 18,4 Prozent lag.

Kürzer Arbeiten, keine Intensivierung – und kein Verzicht auf Lohnerhöhung

Natürlich müssen Gewerkschaftter*innen die Forderung entwickeln, die sie für richtig halten. Im Sozialbereich leiden die Menschen unter unerträglichen Arbeitsbedingungen – Arbeitszeitverkürzung ist notwendig, Personalausgleich dabei die Mindestbedingung. Dennoch:

Können sich alle Beschäftigten beim Einkommen in der weit unter dem österreichischen Durchschnitt liegenden Branche eine Nulllohnrunde leisten? Denn eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichbleibendem Lohn führt bei Vollzeitanstellungen zu Reallohnverlusten.

Ist es nicht ein falsches Signal in alle anderen Branchen? Denn es signalisiert: Arbeitszeitverkürzung kann es geben – aber nur bei Reallohnverzicht. Das heißt, Arbeitszeitverkürzung müssen sich die Beschäftigten teilweise selber finanzieren.


Wer streicht die Produktivitätsgewinne ein?

Muss das so sein? In allen Branchen in denen es auf Grund organisatorischer Verbesserungen, technischen Fortschritts oder Intensivierung der Arbeit zu einen Produktivitätsfortschritt kommt, stellt sich die Frage: Wer profitiert davon? Allein der Unternehmer! Denn der sogenannte verteilungsneutrale „Spiel“raum, also der Finanzraum bei dem die Kosten einer Lohnerhöhung für den Unternehmer nicht höher werden, ist die Summe aus Inflationsausgleich + erwarteter gesamtwirtschaftlicher Produktivitätssteigerung. Nun mag letztere im Pflegebereich nicht so hoch sein wie in der Industrie. Aber so klein kann er auch nicht sein, wie eine Anzeige in der Zeitung der Wirtschaftskammer vermuten lässt. Dort heißt es: „Pflegeheime zu verkaufen. Voll in Betrieb. Hohe Rendite.“


Sollen die Beschäftigten, die den Produktivitätsfortschritt und damit einen erhöhten Profit erarbeitet haben, davon im Kapitalismus partizipieren, muß in ihre Lohnerhöhung, zusätzlich zum verteilungsneutralen Spielraum, mindestens die Hälfte des Gewinns mit eingerechnet werden. Kann sein, dass sich das im hier vorliegenden Fall bei drei Stunden Arbeitszeitverkürzung und Personalausgleich ausgeht.

Denn im heutigen Pflegesystem, wie bei allen personalisierten Dienstleistungen, lässt sich bei Arbeitszeitverkürzung trotz Personalausgleich die Arbeit immer noch intensivieren. Zumal es angeblich nicht genügend Personal am „Markt“ gibt und der Personalausgleich nicht realisiert werden könnte. Eine Anpassung des Pflegeschlüssels wäre eine gute Kontrolle und würde zum Personalaufbau führen – nicht nur zum -ausgleich.

Für Teilzeitbeschäftigte, die bei ihrer bisherigen Stundenzahl bleiben, erhöht sich natürlich das monatliche Einkommen. Dann aber haben sie keine Arbeitszeitverkürzung. Reduzieren sie ihre Arbeitsstunden aber aliquot zu den drei verkürzten Stunden für Vollzeitkräfte, dann haben sie, genau wie diese, einen Reallohnverlust.

Arbeitszeitverkürzung plus Reallohnerhöhung plus (mindestens) Personalausgleich
Fest steht, Gewerkschafter*innen der jeweiligen Branche entscheiden über ihre Forderungen, Kampfmaßnahmen und Annahme oder Ablehnung des erkämpften Abschluss’ einer Kollektivvertragsauseinandersetzung. Trotzdem: Eine Arbeitszeitverkürzung muss immer begleitet sein mindestens von vollem Personalausgleich und voller Reallohnerhöhung, besser erhöht um die Hälfte des Produktivitätsgewinns.

Sonst verdient der Unternehmer und wir kommen Marx’ Vision „Heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“, nicht näher, weil das Einkommen dafür fehlt.

Anne Rieger ist Mitglied im Landesvorstand und erweiterten Bundesvorstand des GLB