In wessen Interesse?
- Montag, 16. Dezember 2019 @ 15:04
Ein Buchtipp von Anne Rieger
Ein leicht lesbares, für Laien verständliches Buch – anschaulich durch Fallbeispiele – setzt sich kritisch mit der Verschreibung von Antidepressiva auseinander. In Österreich nimmt etwa jeder Zehnte Medikamente gegen Depressionen, oft werden sie vom Hausarzt verschrieben. Die AutorInnen verweisen nach ihren Recherchen in Deutschland und den USA darauf, dass Antidepressiva viel zu schnell verordnet werden.
Die Kernaussage von Ansari nach über zehn Jahren Forschung: Die Wirkung von Psychopharmaka beruht meist auf dem Placebo-Effekt. Das könnte also genauso gut mit einer Zuckerpille erreicht werden. Nur dass Letztere nicht so heftige Nebenwirkungen und Absetzerscheinungen mit sich bringen würde. Wenn es sich ausschließlich um organische Erkrankungen handeln würde, müsste es Menschen, die Antidepressiva erhalten, langfristig besser gehen als Menschen, die keine bekommen.
Dieser Nachweis sei nie gelungen. Mit chemischen Methoden lasse sich menschliches Leid nicht auflösen, die Schwierigkeiten bleiben bestehen. Es gelte bei der Behandlung einem verminderten Selbstwertgefühl, Traurigkeit, Antriebslosigkeit, Entscheidungsschwäche und Hoffnungslosigkeit entgegenzuwirken. Dafür gebe es keine chemischen Entsprechungen.
Ausführlich wird auf die „höllischen seelischen und körperlichen Qualen“ beim Absetzen der Antidepressiva eingegangen. Die Symptome ähneln stark denen der psychischen Erkrankung. Das macht es Ärzten und Patienten schwer, zwischen Absetzsymptomen und einer psychischen Erkrankung zu unterscheiden. Dadurch würden Menschen zu psychiatrischen Dauerpatienten, weil ihnen beim Absetzen des Medikaments gesagt würde, sie sollten es weiter nehmen.
Depressive Menschen finden sich in allen sozialen Schichten und Altersgruppen. Erhebungen in Deutschland zufolge gebe es zwei Faktoren, die eine Depression begünstigten. Ein niedriger Verdienst sowie Arbeitslosigkeit. Erwerblose bekämen besonders häufig Antidepressiva verschrieben. Ebenso seien bei über 50jährigen Frauen Verordnungen am stärksten gestiegen.
Als die Antidepressiva 1957 aufkamen, seien sie zunächst kein großer Erfolg gewesen. Ihre Erfolgsgeschichte begann erst 1988 mit den Marketingkampagnen für das Medikament Prozac. Das war der Startschuss für eine Reihe neuartiger Antidepressiva, die sogenannten SSRIs, selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer. Eine Tabelle über Antidepressiva befindet sich im Buch.
Lesenswert, schreibt die FAZ, die das Buch ansonsten kritisch rezensieren lässt, sei die breit dargelegte Kritik an den Machenschaften im Rahmen der Zulassung und Vermarktung dieser Substanzen. Die Autoren schilderten anschaulich die Aufdeckung vieler Skandale durch investigative Journalisten, die zu längst veröffentlichten Entschädigungsurteilen führten. Ihr Fazit: Vertuschte wie publik gemachte Suizide lasteten von Beginn an auf den SSRI. Schlimmer noch – im Zeitraum von 1990, dem Beginn der „massenhaften“ SSRI-Verschreibung, bis 2010 nahmen die Suizide in den Industrieländern sogar zu.
Den „Lügen“ oder „Effizienzmärchen“ über Antidepressiva, so Ansari, stellt er alternative Behandlungsmöglichkeiten gegenüber wie Psychotherapie, Bewegung Biofeedback, Kräuterextrakte, Massagen, Tagebuchschreiben, Experte über die eigene Erkrankung werden.
Peter & Mahinda Ansari, Unglück auf Rezept. Die Antidepressiva-Lüge und ihre Folgen, Klett-Cotta, ISBN 978-3-608-98060-8, 300 S., 17,50 Euro
Anne Rieger ist Mitglied im Landesvorstand und erweiterten Bundesvorstand des GLB
Ein leicht lesbares, für Laien verständliches Buch – anschaulich durch Fallbeispiele – setzt sich kritisch mit der Verschreibung von Antidepressiva auseinander. In Österreich nimmt etwa jeder Zehnte Medikamente gegen Depressionen, oft werden sie vom Hausarzt verschrieben. Die AutorInnen verweisen nach ihren Recherchen in Deutschland und den USA darauf, dass Antidepressiva viel zu schnell verordnet werden.
Die Kernaussage von Ansari nach über zehn Jahren Forschung: Die Wirkung von Psychopharmaka beruht meist auf dem Placebo-Effekt. Das könnte also genauso gut mit einer Zuckerpille erreicht werden. Nur dass Letztere nicht so heftige Nebenwirkungen und Absetzerscheinungen mit sich bringen würde. Wenn es sich ausschließlich um organische Erkrankungen handeln würde, müsste es Menschen, die Antidepressiva erhalten, langfristig besser gehen als Menschen, die keine bekommen.
Dieser Nachweis sei nie gelungen. Mit chemischen Methoden lasse sich menschliches Leid nicht auflösen, die Schwierigkeiten bleiben bestehen. Es gelte bei der Behandlung einem verminderten Selbstwertgefühl, Traurigkeit, Antriebslosigkeit, Entscheidungsschwäche und Hoffnungslosigkeit entgegenzuwirken. Dafür gebe es keine chemischen Entsprechungen.
Ausführlich wird auf die „höllischen seelischen und körperlichen Qualen“ beim Absetzen der Antidepressiva eingegangen. Die Symptome ähneln stark denen der psychischen Erkrankung. Das macht es Ärzten und Patienten schwer, zwischen Absetzsymptomen und einer psychischen Erkrankung zu unterscheiden. Dadurch würden Menschen zu psychiatrischen Dauerpatienten, weil ihnen beim Absetzen des Medikaments gesagt würde, sie sollten es weiter nehmen.
Depressive Menschen finden sich in allen sozialen Schichten und Altersgruppen. Erhebungen in Deutschland zufolge gebe es zwei Faktoren, die eine Depression begünstigten. Ein niedriger Verdienst sowie Arbeitslosigkeit. Erwerblose bekämen besonders häufig Antidepressiva verschrieben. Ebenso seien bei über 50jährigen Frauen Verordnungen am stärksten gestiegen.
Als die Antidepressiva 1957 aufkamen, seien sie zunächst kein großer Erfolg gewesen. Ihre Erfolgsgeschichte begann erst 1988 mit den Marketingkampagnen für das Medikament Prozac. Das war der Startschuss für eine Reihe neuartiger Antidepressiva, die sogenannten SSRIs, selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer. Eine Tabelle über Antidepressiva befindet sich im Buch.
Lesenswert, schreibt die FAZ, die das Buch ansonsten kritisch rezensieren lässt, sei die breit dargelegte Kritik an den Machenschaften im Rahmen der Zulassung und Vermarktung dieser Substanzen. Die Autoren schilderten anschaulich die Aufdeckung vieler Skandale durch investigative Journalisten, die zu längst veröffentlichten Entschädigungsurteilen führten. Ihr Fazit: Vertuschte wie publik gemachte Suizide lasteten von Beginn an auf den SSRI. Schlimmer noch – im Zeitraum von 1990, dem Beginn der „massenhaften“ SSRI-Verschreibung, bis 2010 nahmen die Suizide in den Industrieländern sogar zu.
Den „Lügen“ oder „Effizienzmärchen“ über Antidepressiva, so Ansari, stellt er alternative Behandlungsmöglichkeiten gegenüber wie Psychotherapie, Bewegung Biofeedback, Kräuterextrakte, Massagen, Tagebuchschreiben, Experte über die eigene Erkrankung werden.
Peter & Mahinda Ansari, Unglück auf Rezept. Die Antidepressiva-Lüge und ihre Folgen, Klett-Cotta, ISBN 978-3-608-98060-8, 300 S., 17,50 Euro
Anne Rieger ist Mitglied im Landesvorstand und erweiterten Bundesvorstand des GLB