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Hat die Spirale ausgedient?

  • Dienstag, 10. Dezember 2019 @ 11:14
Meinung
Michael Graber über Lohn, Preis und Profit heute

Die Lohnabschlüsse der Metaller lagen für das Jahr 2018 bei plus 3 Prozent und für 2019 bei plus 3,5 Prozent. Die Abschlüsse für den Handel für 2018 lagen bei plus 2,6 Prozent und für 2019 bei bis zu plus 3,2 Prozent. Die Inflationsrate lag in diesen beiden Jahren laut Verbraucherpreisindex (VPI)mit 2 Prozent bzw. mit 1,7 Prozent deutlich darunter.

Mehr noch: trotz höherer Abschlüsse 2019 sank der VPI auf 1,2 Prozent (September 2019 gegenüber September 2018). Wie das? Höhere Löhne bei sinkenden Preisen? Gab es da nicht das Dogma der sogenannten Lohn-Preis-Spirale, die besagte, dass höhere Löhne die Inflation anheizen und deshalb zu vermeiden seien?

Irgendetwas kann also an diesem Dogma der mainstream- Ökonomie nicht stimmen. Dieses unterstellt, dass höhere Löhne sich unmittelbar auf die Preisbildung auswirken müssen. In Dienstleistungsbranchen, deren Kostenstruktur überwiegend aus Löhnen und Gehältern besteht, ist der Kostendruck natürlich sehr stark. In den meisten Industriebranchen aber ist der Wert der Löhne und Gehälter gegenüber dem Wert des Anlagevermögens, der Maschinen, der Energie und der Vorprodukte relativ gering. Angenommen die Löhne und Gehälter machen 10 Prozent der Gesamtkosten aus, und das ist in der Großindustrie kein unrealistischer Wert, dann bedeuten 3 Prozent Lohnsteigerung nur 0,3 Prozent Erhöhung der gesamten Kosten und rechtfertigen keine der Lohnsteigerung gleichlaufende Preiserhöhung.

Ohne Profit geht gar nichts

Allerdings, Waren und Dienstleistungen werden nicht allein auf Basis der aufgelaufenen Kosten verkauft. Ohne Profit geht dabei gar nichts. Sehen wir einmal von solchen Kostenbestandteilen wie Zinsen für aufgenommene Kredite, Mieten für Immobilien, Lizenzen, Steuern und sonstige Abgaben ab, die alle „erwirtschaftet“ also aus der Wertschöpfung bezahlt werden müssen, muss ein Gewinn – die Rendite - für das Unternehmen, d.h. für seine Eigentümer herausschauen.

Wenn nicht, wird der Betrieb eingestellt. Die Wertschöpfung enthält also nicht nur die Löhne und Gehälter, sondern auch die vorher genannten „Kosten“ und den Gewinn. In der marxistischen Terminologie handelt es sich dabei um den Mehrwert, der aus unbezahlter Arbeitsleistung erzielt wird. Die Aufteilung der Wertschöpfung zwischen Löhnen und Gehältern einerseits und der Aneignung des Mehrwerts andererseits ist der Dreh- und Angelpunkt der kapitalistischen Wirtschaft.

Zwischen Lohnhöhe und Preisbildung besteht also kein direkter Zusammenhang, denn zwischen den Löhnen und Gehältern einerseits und der Preisbildung andererseits befindet sich der große Brocken des Mehrwerts. Höhere Löhne müssen also nicht zu höheren Preisen, sie können auch zur Schmälerung des Mehrwerts und des Profits bei gleichbleibenden Preisen führen. Diesen Zusammenhang hat erstmals Karl Marx formuliert. Einmal auch im Bewusstsein der Arbeitenden verankert, kann er für die Kapitaleigner unangenehm werden.

Produktivitätsabgeltung ist tabu

Nun sehen wir aber, dass in der Tendenz trotz - zumindest in den meisten Industriebranchen - höheren Löhnen, die Profite wachsen, übrigens auch in den beiden eingangs erwähnten Jahren. Hier kommt die Produktivität der Arbeit ins Spiel. Die neoliberale Kapitaloffensive der letzten Jahrzehnte hat die volle Abgeltung und Abbildung der durch die höhere Produktivität erbrachten Mehrleistung in den Löhnen und Gehältern zu einem Tabu gemacht.

Die meisten Gehaltsabschlüsse drehen sich, wenn überhaupt, um die Abgeltung der Teuerung. So erhöht die steigende Produktivität fast ausschließlich den Mehrwert und die Profite und schlägt sich im sinkenden Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen nieder, das aus den Arbeits- und Kapitaleinkommen gebildet wird.

Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass selbst bei voller Abgeltung der Produktivitätssteigerung – die oberösterreichische Arbeiterkammer beziffert diese mit fast 30 Prozent in den letzten zwanzig Jahren - der Anteil der dem Kapital verbleibenden Wertschöpfung und damit der Profite gleich bleibt, d.h. in gleichem Ausmaß wächst wie die Produktivitätssteigerung.

Die Reallöhne sind aber laut oberösterreichischer Arbeiterkammer in diesen zwei Jahrzehnten (im Durchschnitt) nur um weniger als 14 Prozent gestiegen. Der Mehrwertanteil ist also relativ gegenüber den Lohnkosten angestiegen, weil sich die Unternehmen weit mehr als das nominelle Produktivitätswachstum angeeignet haben. Deshalb steigen die Profite stärker als die Löhne trotz des geringen Preisanstieges.

Wir sehen, die alte Mär von der Lohn-Preis-Spirale hat ausgedient. Sie hatte in Zeiten hoher Inflation einen Anschein von Realität, weil die Löhne und Gehälter stets der Inflation nachhechelten und so der Anschein eines direkten Zusammenhangs entstand. Heute haben sich die Lautsprecher des Kapitals deshalb auf das Argument der „Wettbewerbsfähigkeit des Standorts“ verlegt, um die Lohn- und Gehaltsentwicklung niedrig und die Profite hoch zu halten.

Michael Graber ist Volkswirt und Wirtschaftssprecher der KPÖ