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Ausdruck von Klasseninteressen

  • Dienstag, 10. Dezember 2019 @ 11:08
Meinung
Peter Fleissner über die Modern Monetary Theory

Seit der Finanzkrise 2008/9, die sich weltweit zu einer Wirtschaftskrise und schließlich zu einer Staatsschuldenkrise entwickelt hat, ist die Zunft der ÖkonomInnen in Schwierigkeiten. Ihre Wissenschaft hat sich als Magie erwiesen, deren erfolglose neoliberale Rezepte ganze Staaten (vor allem Griechenland) in eine Zwangsjacke von Einsparungen im sozialen Bereich steckten und die Lebensbedingungen der Menschen mit niedrigen Einkommen weiter verschlechterten. Eigentlich sollte man in einer gut funktionierenden Wissenschaft erwarten, dass sie Fehlentwicklungen selbst korrigiert und die Wahrheit als wichtigstes Kriterium wieder zum Vorschein bringt.

Aber WissenschaftlerInnen hängen eher an ihrer Karriere und an ihren alten Gewohnheiten als an der Wahrheit. Zeigen sie abweichende Meinungen, können sie rasch diskriminiert werden. Bis heute spielt die Klassen- und Schichtzugehörigkeit der ExpertInnen eine Rolle. Kommen sie aus reicheren Schichten, sind ihre Theorien für die Ärmeren meist wenig hilfreich und festigen die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen.

Moderne Geldtheorie…

In der englischsprachigen Welt meldet sich nun eine neue Theorie zu Wort, die vor allem von Bernie Sanders und seinem Umfeld, von einem Flügel der britischen Labour-Party und vom australischen Ökonomen William (Bill) Mitchell vertreten wird. In ihrem Zentrum befindet sich ein schon seit Jahrzehnten bekannter Zusammenhang, der immer gültig ist, ganz gleich, welcher Ideologie man anhängt.

Er beruht auf der leicht einzusehenden Tatsache, dass die Einnahmen und Ausgaben in einer Wirtschaft immer gleich groß sein müssen, da die Ausgaben der Einen immer Einnahmen der Anderen sind und umgekehrt. Unterteilt man eine Wirtschaft in einen privaten (Haushalte plus Unternehmen), einen öffentlichen Sektor und den Bereich der übrigen Welt (Außenhandel), folgt daraus, dass die Summe aller Differenzen zwischen Einnahmen und Ausgaben der drei Sektoren immer Null ergeben muss.

Anders ausgedrückt: das Defizit des Staates muss immer gleich der Summe aus den Überschüssen des Privatsektors und dem Zahlungsbilanzüberschuss (Differenz von Exporten und Importen) sein. Damit wird eine oft abgelehnte Tatsache ausgesprochen, dass z.B. bei ausgeglichener Zahlungsbilanz (Exporte = Importe) das öffentliche Budgetdefizit gleich den Überschüssen im privaten Sektor sein muss.

Das heißt, dass Vermeidung von Schulden, die für einzelne Menschen sinnvoll ist, auf den Staat nicht angewendet werden soll. Richtig ist, dass der private Sektor ohne staatliches Defizit und im Fall, dass die Exporte den Importen gleich sind, keine Überschüsse aufbauen kann. Darin sind sich alle ernsthaften Wirtschaftstheorien, alte wie neue, rechte oder linke, einig.

… nicht in der EU anwendbar

Die MMT geht aber noch weiter: Ein Staat, der über eine eigene Währung verfügt, die er selbst kontrollieren bzw. erzeugen kann (also ein souveräner Staat), hat kein Problem, genügend Geld zu schaffen, um alle öffentlichen Ausgaben zu finanzieren, die er beabsichtigt. Die MMT meint zu Recht, die Wirtschaftspolitik solle sich wieder auf die Erreichung sozialer Ziele wie Vollbeschäftigung und eine gleichere Eigentums- und Vermögensverteilung besinnen und nicht auf die Erreichung eines bestimmten Preissteigerungszieles (wie z. B. die Österreichische Nationalbank, die eine Preissteigerungsrate von „mittelfristig unter, aber nahe zwei Prozent“ anstrebt).

Anzumerken ist, dass die MMT auf die Mitgliedsländer der Eurozone nicht direkt anwendbar ist, da z.B. Österreich den Euro nicht eigenständig auf- oder abwerten kann. Um sie anwendbar zu machen, müssten die Regeln für die Europäische Zentralbank wesentlich geändert werden.

Mit dem selbst gedruckten Geld sollte der Staat die Arbeitslosigkeit minimieren bzw. Vollbeschäftigung ermöglichen. Die MMT schlägt vor, der Staat solle eine Arbeitsplatzgarantie geben. Damit würde ein Mindestlohn für alle festgelegt werden. Die Finanzierung von öffentlichen Investitionen oder des öffentlichen Konsums wäre laut MMT durch Geldschöpfung einfach und zinsenfrei möglich.

Aus marxistischer Sicht bietet die MMT einige Fortschritte in der Wirtschaftstheorie. Sie lehrt z.B. in ihren Lehrbüchern wie Marx und Engels eine geschichtliche Abfolge von Produktionsverhältnissen, und damit auch irgendwann ein Ende des Kapitalismus, allerdings geht sie auf Veränderungsstrategien so gut wie nicht ein.

Weitere Schwächen der MMT bestehen m. E. darin, dass sie über keine explizite Theorie der Profite, über Ausbeutung und Entfremdung verfügt, und dass sie einer Theorie der Entstehung des Geldes folgt, wonach der Staat das Geld durch die Pflicht, Steuern zu zahlen, geschaffen habe. Diese letzte Behauptung widerspricht der geschichtlichen Erfahrung, denn Geld gab es schon viel länger im Tausch zwischen Stämmen, lange bevor Staaten existierten. Auch Fragen nach einer ökologisch verträglichen Umgestaltung der Wirtschaft bleiben unbeantwortet.

Peter Fleissner ist Ökonom und lebt in Wien