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Sicherheitspornographie

  • Samstag, 4. Mai 2019 @ 22:02
Meinung
Franz Fend zur aktuellen Sicherheitsdebatte

Die Hochrüstung der Polizei und die Zerschlagung des Sozialstaates sind zwei Seiten einer Medaille. Die Sicherheit ist zu einem alle politische Debatten beherrschenden Thema geworden. Kaum ein Statement von Politiker*innen, das nicht auf schwindende Sicherheit Bezug nehmen würde. Massenhaft Leitartikel, welche die „legitimen Sicherheitsbedürfnisse“ von Bürger*innen verteidigen, unzählige Umfragen, die das „Sicherheitsgefühl“ der Befragten zum Thema haben, Bürgerinitiativen, die ebendieses „Sicherheitsgefühl“ wieder herstellen möchten: All das hat zur Folge, dass ohne Sicherheit im gegenwärtigen politischen Feld gar nichts geht.

Dabei hatte der Begriff Sicherheit einen radikalen Bedeutungswandel im Sinne einer psychiatrischen Einengung erfahren. Umfasste er früher noch ein wesentlich breiteres Feld von politischen und sozialen Bedrohungen, wie etwa Schutz und Verteidigung im Falle eines militärischen Angriffes, Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit, Versorgung im Falle von Krankheit, Unfällen und Alter oder aber Schutz bei Umweltkatastrophen, so wird er heute fast ausschließlich im Zusammenhang von Kriminalität und deviantem Verhalten verwendet.

Gewandelter Sicherheitsbegriff

Dabei ist das Risiko arbeitslos zu werden, millionenfach höher als etwa ausgeraubt zu werden. Das Gerede vom „legitimen Sicherheitsbedürfnis“ und vom „subjektiven Sicherheitsgefühl“ ist ein politischer Selbstläufer. Je mehr es von Politik und Medien zum Thema gemacht wird, desto stärker werden die Ängste: Es kann sich keiner sicher sein, so lautet die Parole der Regierenden.

Verbrechen allein auf die Straßendelinquenz reduziert heißt, wenn von Kriminalität gesprochen wird, dann von den Schandtaten der unteren Klassen. Es ist nicht verwunderlich, dass die Debatte um Sicherheit und Kriminalität just zu einem Zeitpunkt in Gang gekommen sind, in dem die Dogmen des Neoliberalismus sich voll durchgesetzt haben, der Staat seine Handlungsfähigkeit im Sozialen allein als Abarbeiten der Agenda des Kapitals sieht.

Die SP-Sparpakete der 90er Jahre, der soziale Kahlschlag von Schwarz-Blau und die radikalisierter Weise von Türkis-Blau, die Privatisierung und Individualisierung sämtlicher Lebensrisiken, Deregulierung der Wirtschaft und Zerschlagung wie Enteignung sozialer Sicherungssysteme, Flexibilisierung und Prekarität in allen Feldern der Arbeitswelt, sind der Boden auf dem der Sicherheitsdiskurs gedeiht. Gleichzeitig sind diese politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen jene Felder, von welchen der Blick abgewandt werden soll. „Das Recht auf Sicherheit“, das allerorts proklamiert wird, hat nichts mehr mit sozialer Sicherheit zu tun, vielmehr mit der Disziplinierung und Unterwerfung jener, die unter den Zumutungen, welche die Politik und die Wirtschaft bereithält, am meisten zu leiden haben.

Ziel ist soziale Demontage

Schon in den 90er Jahren wies der britische Soziologe Zygmunt Bauman auf den Zusammenhang von Sicherheitsdiskurs und die Zerschlagung der sozialen Sicherheitssysteme hin. Und er zeigte auch auf, dass der virulente Sicherheitsdiskurs nicht ohne Sündenböcke auskommt. Im Europa des enthemmten Neoliberalismus werden Migrant*innen und Flüchtlinge der Delinquenz bezichtigt und systematisch mittels racial Profilings kontrolliert und insultiert.

Im medialen Getöse, welches von Polizeiminister Kickl und Konsorten angeheizt wird, sind es die polnischen Autodiebe, die afrikanischen Drogendealer*innen, die ungarischen Einbrecher*innenbanden, die arabischen Terrorist*innen, die rumänischen Bettler*innenbanden und selbstverständlich sämtliche Bezieher*innen von Transferleistungen aus dem Sozialsystem, welche unsere Sicherheit gefährden.

Ablenkung von Armut

Die Absicht dahinter ist durchsichtig wie stupend erfolgreich: Es geht einerseits um die Legitimation eines hypertrophen Polizei- und Überwachungsapparats, andererseits um die Ablenkung von der Zerschlagung und Privatisierung des Sozialsystems, wodurch zigtausende Menschen in die Armut gestoßen werden.

Der Weg in einen neuen Faschismus ist gekennzeichnet durch den staatlichen Terror des Polizei- und Justizapparats: Der Ausbau der Polizeibefugnisse, die berittene Polizei (anderorts signifikanter als Riot-Police bezeichnet), die Verschärfung von Versammlungs- und Demonstrationsrecht, die Hochrüstung des Polizeiapparates mit neuen Sturmgewehren und anderen Waffen, Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner und andere Spitzeltechniken bis hin zur so genannten Sicherungshaft, die einen grundsätzlichen Bruch mit minimalen zivilisatorischen Standards darstellt.

Diese Mischung aus Gesinnungsschnüffelei und Hochrüstung hat den Zweck, kommende Proteste und Aufstände gegen die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten im Vorfeld zu ersticken oder, wenn es sein muss, mit Waffengewalt niederzumachen. Wer gegen den neuen Polizeistaat auftritt und das Soziale nicht im Blickfeld hat, wird scheitern, weil das eine das andere bedingt. Und eine Sozialpolitik, die ihrem Namen gerecht werden will, muss sich gegen die innere Aufrüstung zur Wehr setzen. Sonst ist es keine.

Franz Fend ist Sozialbetreuer und Betriebsrat im Sozialverein B37 in Linz