Armut durch Stress verfestigt
- Donnerstag, 2. Mai 2019 @ 21:50
Konstantin Wacker über die Auswirkungen von Sozialkürzungen
Die Zahl von armutsgefährdeten Haushalten, die nicht oder kaum erwerbstätig sind, ist in den letzten Jahren nicht zurückgegangen. Während die Gründe dafür vielfältig sind, schiebt sie die Regierung hauptsächlich auf die Betroffenen selbst: diese hätten nicht genug Anreize, arbeiten zu gehen, weil sie sich auf ein soziales Sicherungsnetz verlassen könnten.
Entsprechend soll dieses nun durchlöchert werden: Langzeitarbeitslose sollen durch Kürzung des Arbeitslosengeldes bzw. Abschaffung der Notstandshilfe weniger Geld erhalten oder direkt in die (gekürzte) Mindestsicherung fallen. Neuere wissenschaftliche Studien zeigen aber, dass derartige Sozialkürzungen ungeeignet sind, die Erwerbstätigkeit von Armutsbetroffenen zu erhöhen und welche Reformen stattdessen erfolgversprechend wären.
Armut bedeutet permanenten Stress
Von Armut betroffene oder gefährdete Haushalte sind in den allermeisten Fällen vielfach eingeschränkt: sie müssen sich überlegen, wie sie den nächsten Einkauf bewältigen oder diesen Monat die Miete zahlen. Um mit derartigen Situationen finanzieller Not und Unsicherheit umzugehen, braucht es intellektuelle Energie. Labor- und Feldstudien im angesehenen Wissenschaftsmagazin „Science“ bestätigen, dass sich finanzielle Notsituationen und Unsicherheit in standardisierten Wahrnehmungstests negativ auswirken.
Wer einer realistischen finanziellen Not- oder Unsicherheitssituation ausgesetzt wird, schneidet bei diesen Tests etwa genauso schlecht ab wie bei einer vollen Nacht Schlafentzug. Australische ForscherInnen haben außerdem herausgefunden, dass finanzielle Notlagen tatsächlich jene Hirnregionen belasten, die auch durch Stress beansprucht werden.
In anderen Worten: der Umstand arm oder armutsgefährdet zu sein, verschafft im wahrsten Sinne des Wortes schlaflose Nächte – und kann so viel geistige Energie in Anspruch nehmen, dass letztlich weniger Gehirnschmalz für wichtige Entscheidungen bereit steht, die dann falsch getroffen werden – dadurch verfestigt sich Armut und man spricht von einer Armutsfalle.
Sozialkürzungen verfestigen Armut
Kürzungen von Sozialleistungen führen also keineswegs dazu, dass armutsgefährdete Personen sich vermehrt damit beschäftigen, wie sie einen Job bekommen. Diese Ansicht geht an der Lebensrealität von Menschen vorbei, die täglich darüber nachdenken müssen, wie sie ihre Nahrungsversorgung sicherstellen und ihre Miete zahlen.
Ein zeitgemäßes Verständnis der Vielschichtigkeit von Armut erfordert vielmehr einen Sozialstaat, der von Armut Betroffenen oder Gefährdeten gerade deshalb finanziell unter die Arme greift, um die eigene Energie für die Arbeitssuche aufbringen zu können, und nicht mit Gedanken daran verwenden zu müssen, wie die nächste Monatsmiete oder die Reparaturkosen für die Therme aufgebracht werden können.
Ausweitung der Betreuung notwendig
Nicht-finanzielle Hilfestellungen – wie eine bessere Betreuung durch das Arbeitsmarktservice (AMS) - können diesbezüglich stressentlastend wirken. Gerade weil armutsgefährdete oder -betroffene Haushalte mehr Energie für alltägliche Aus- und Aufgaben benötigen, brauchen sie zusätzliche Unterstützung bei der Arbeitssuche. Dass dadurch Arbeitslosigkeit effektiv verringert werden kann zeigen unter andrem angesehene Studien für die USA.
Auch die Hartz-Reformen in Deutschland können als warnendes Beispiel dienen, dass Arbeitslosigkeit von armutsgefährdeten Personen nicht durch Sozialabbau reduziert werden kann. Studien von deutschen und englischen ÖkonomInnen zeigen, dass die Kürzung von Sozialleistungen im Rahmen von Hartz-IV zu keinem nennenswerten Rückgang der Arbeitslosigkeit führte. Vielmehr führte der Hartz-IV Sozialabbau zu einem niedrigeren Einkommen bei den Betroffenen.
Fazit
Zusammengefasst lassen sich auf Grundlage verschiedener Forschungsergebnisse mehrere Gründe ausmachen, weshalb gekürzte Sozialleistungen die Arbeitsmarktintegration von armen oder armutsgefährdeten Personen nicht erhöhen. Erstens zeigt die Erfahrung aus Deutschland, dass die Kürzung von Sozialleistungen für Arbeitslose kein Erfolgsmodell war und bessere Arbeitsmarktbetreuung ein wesentlich effektiveres Mittel ist, um Arbeitslosigkeit unter potenziellen MindestlohnbezieherInnen zu reduzieren.
Zweitens führen gekürzte Sozialleistungen zu erhöhtem psychologischem Stress bezüglich der eigenen Existenz, welcher dazu führt, dass weniger Energie für die Arbeitssuche bereitsteht. Gerade dieser Aspekt verdeutlicht auch, weshalb gute AMS-Unterstützung positive Arbeitsmarkteffekte haben kann. Drittens ist die Arbeitslosigkeit von Armutsbetroffenen oft struktureller Natur, also von Faktoren jenseits der/des einzelnen Arbeitsuchenden geprägt.
Konstantin Wacker ist Ökonom an der Universität Groningen
Der Beitrag ist ursprünglich in ähnlicher Fassung auf https://awblog.at/ erschienen.
Die Zahl von armutsgefährdeten Haushalten, die nicht oder kaum erwerbstätig sind, ist in den letzten Jahren nicht zurückgegangen. Während die Gründe dafür vielfältig sind, schiebt sie die Regierung hauptsächlich auf die Betroffenen selbst: diese hätten nicht genug Anreize, arbeiten zu gehen, weil sie sich auf ein soziales Sicherungsnetz verlassen könnten.
Entsprechend soll dieses nun durchlöchert werden: Langzeitarbeitslose sollen durch Kürzung des Arbeitslosengeldes bzw. Abschaffung der Notstandshilfe weniger Geld erhalten oder direkt in die (gekürzte) Mindestsicherung fallen. Neuere wissenschaftliche Studien zeigen aber, dass derartige Sozialkürzungen ungeeignet sind, die Erwerbstätigkeit von Armutsbetroffenen zu erhöhen und welche Reformen stattdessen erfolgversprechend wären.
Armut bedeutet permanenten Stress
Von Armut betroffene oder gefährdete Haushalte sind in den allermeisten Fällen vielfach eingeschränkt: sie müssen sich überlegen, wie sie den nächsten Einkauf bewältigen oder diesen Monat die Miete zahlen. Um mit derartigen Situationen finanzieller Not und Unsicherheit umzugehen, braucht es intellektuelle Energie. Labor- und Feldstudien im angesehenen Wissenschaftsmagazin „Science“ bestätigen, dass sich finanzielle Notsituationen und Unsicherheit in standardisierten Wahrnehmungstests negativ auswirken.
Wer einer realistischen finanziellen Not- oder Unsicherheitssituation ausgesetzt wird, schneidet bei diesen Tests etwa genauso schlecht ab wie bei einer vollen Nacht Schlafentzug. Australische ForscherInnen haben außerdem herausgefunden, dass finanzielle Notlagen tatsächlich jene Hirnregionen belasten, die auch durch Stress beansprucht werden.
In anderen Worten: der Umstand arm oder armutsgefährdet zu sein, verschafft im wahrsten Sinne des Wortes schlaflose Nächte – und kann so viel geistige Energie in Anspruch nehmen, dass letztlich weniger Gehirnschmalz für wichtige Entscheidungen bereit steht, die dann falsch getroffen werden – dadurch verfestigt sich Armut und man spricht von einer Armutsfalle.
Sozialkürzungen verfestigen Armut
Kürzungen von Sozialleistungen führen also keineswegs dazu, dass armutsgefährdete Personen sich vermehrt damit beschäftigen, wie sie einen Job bekommen. Diese Ansicht geht an der Lebensrealität von Menschen vorbei, die täglich darüber nachdenken müssen, wie sie ihre Nahrungsversorgung sicherstellen und ihre Miete zahlen.
Ein zeitgemäßes Verständnis der Vielschichtigkeit von Armut erfordert vielmehr einen Sozialstaat, der von Armut Betroffenen oder Gefährdeten gerade deshalb finanziell unter die Arme greift, um die eigene Energie für die Arbeitssuche aufbringen zu können, und nicht mit Gedanken daran verwenden zu müssen, wie die nächste Monatsmiete oder die Reparaturkosen für die Therme aufgebracht werden können.
Ausweitung der Betreuung notwendig
Nicht-finanzielle Hilfestellungen – wie eine bessere Betreuung durch das Arbeitsmarktservice (AMS) - können diesbezüglich stressentlastend wirken. Gerade weil armutsgefährdete oder -betroffene Haushalte mehr Energie für alltägliche Aus- und Aufgaben benötigen, brauchen sie zusätzliche Unterstützung bei der Arbeitssuche. Dass dadurch Arbeitslosigkeit effektiv verringert werden kann zeigen unter andrem angesehene Studien für die USA.
Auch die Hartz-Reformen in Deutschland können als warnendes Beispiel dienen, dass Arbeitslosigkeit von armutsgefährdeten Personen nicht durch Sozialabbau reduziert werden kann. Studien von deutschen und englischen ÖkonomInnen zeigen, dass die Kürzung von Sozialleistungen im Rahmen von Hartz-IV zu keinem nennenswerten Rückgang der Arbeitslosigkeit führte. Vielmehr führte der Hartz-IV Sozialabbau zu einem niedrigeren Einkommen bei den Betroffenen.
Fazit
Zusammengefasst lassen sich auf Grundlage verschiedener Forschungsergebnisse mehrere Gründe ausmachen, weshalb gekürzte Sozialleistungen die Arbeitsmarktintegration von armen oder armutsgefährdeten Personen nicht erhöhen. Erstens zeigt die Erfahrung aus Deutschland, dass die Kürzung von Sozialleistungen für Arbeitslose kein Erfolgsmodell war und bessere Arbeitsmarktbetreuung ein wesentlich effektiveres Mittel ist, um Arbeitslosigkeit unter potenziellen MindestlohnbezieherInnen zu reduzieren.
Zweitens führen gekürzte Sozialleistungen zu erhöhtem psychologischem Stress bezüglich der eigenen Existenz, welcher dazu führt, dass weniger Energie für die Arbeitssuche bereitsteht. Gerade dieser Aspekt verdeutlicht auch, weshalb gute AMS-Unterstützung positive Arbeitsmarkteffekte haben kann. Drittens ist die Arbeitslosigkeit von Armutsbetroffenen oft struktureller Natur, also von Faktoren jenseits der/des einzelnen Arbeitsuchenden geprägt.
Konstantin Wacker ist Ökonom an der Universität Groningen
Der Beitrag ist ursprünglich in ähnlicher Fassung auf https://awblog.at/ erschienen.