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Der ungeliebte Algorithmus

  • Donnerstag, 2. Mai 2019 @ 21:45
Meinung
Martin Mair über die seltsame Wiederkehr des Dr. Mengele

Anfang Oktober 2018 teilte AMS-Vorstand Johannes Kopf mit, dass das AMS seit Jahren an einem Algorithmus arbeite. Arbeitsuchende Menschen sollen nach deren Chancen am „Arbeitsmarkt“ in drei Kategorien eingeteilt werden wonach sich deren Betreuung richten solle. Die A-Klasse mit guten Chancen erfährt keine Zwangsbeglückung und darf die Selbstbedienung nutzen. Auf die B-Klasse mit mittleren Chancen solle sich das „Förderangebot“ konzentrieren. Und die C-Klasse mit wenig Chancen solle in billigeren Betreuungs- und Betreuungseinrichtungen unterkommen.

Später präsentierte Sozialministerin Hartinger-Klein per Anfragebeantwortung als Karotte für die aussortierten Esel, dass die neuen BBE Lights zielführender sein sollen „als die oft als Druck empfundene Teilnahme an Kursen, die zu keiner Beschäftigung führen und oft als sinnlos wahrgenommen werden oder an Beschäftigungsprojekten, die ohne Perspektive auf eine weiterführende Integration die Misserfolgserlebnisse der Betroffenen weiter verstärken.“

Die Kritik am Algorithmus war groß und berechtigt. Der Algorithmus berechnet bloß „ex ante“ – im Nachhinein – die „Arbeitsmarktintegrationschancen“. Er bildet daher die Diskriminierung von Menschen durch Wirtschaft und Staat ab, die dann als „persönliche Merkmale“ den Diskriminierten als Ursache der Arbeitslosigkeit zugeschrieben werden. Kurios, dass ausgerechnet die Synthesisforschung GmbH, die als Auftragsforschung AMS-Zwangsmaßnahmen behübschend evaluiert, den Algorithmus entwickelt und somit das mitkreiert, was nachher von ihr bewertet wird.

Die Diskriminierung wird schon in der Norm gebenden „Basisgruppe“ festgeschrieben. Der „Gruppe der jungen Männer mit höchstens Pflichtschulabschluss und österreichischer Staatsbürgerschaft. Sie haben keine Betreuungspflichten, sind nicht gesundheitlich beeinträchtigt und befinden sich in einem Arbeitsmarktbezirk, der zum RGS-Typ 1 gehört.“

Bezeichnend, dass als „Integrationsziel“ eisern an zumeist fremd bestimmter Lohnarbeit am ach so freien Arbeitsmarkt festgehalten wird und jegliche Alternative weiter ausgeschlossen bleibt, auch wenn die nach wie vor übrig gebliebenen Ladenhüter Langzeitarbeitslose, ältere Arbeitslose, Migrant*innen etc. am Markt keine Chance auf sinnvolle und fair bezahlte Arbeit haben. Der Algorithmus liefert als automatisierter Zuchtmeister eine „Arbeitsmarktpositionierung“, die selbst zu verbessern die Regierung zur obersten Pflicht erklärt.

Dass Algorithmen fehlerhaft und unmenschlich sind, hat laut Algorithm Watch der schwedische Überwachungs- und Disziplinierungsstaat vorgeführt: Dort hatte ein Algorithmus die monatlich auf der Homepage der Arbeitsagentur einzugebenden „Tätigkeitsberichte“ der Arbeit Suchenden ausgewertet. 500.000 Verwarnungen und 70.000 Bezugssperren hatte der Computer voll automatisiert ausgesprochen. Zehn bis 15 Prozent der Sperren erwiesen sich als völlig unbegründet, waren Ergebnis fehlerhafter Programmierung oder Datenerfassung! Der Amazon-Konzern stoppte 2015 ein Algorithmus-Projekt zur Bewertung von Bewerber*innen, weil es nicht und nicht gelang Diskriminierung auszuschließen.

Laut EU-Datenschutzgrundverordnung dürfen automatisierte Entscheidungen nicht auf sensible Daten wie ethnische Herkunft oder Gesundheitsdaten gestützt werden. Genau solche Daten fließen mehr oder weniger direkt in den AMS Algorithmus ein. Die Entscheidung muss anfechtbar bleiben und haben Betroffene ein Recht, ihren Standpunkt darzulegen. Artikel 22 der EU-DSGVO schreibt aussagekräftige Information über Logik, Trageweite und Auswirkungen des Algorithmus in einer Datenschutz-Folgeabschätzung vor. Genau diese Auskünfte verweigern Sozialministerium und AMS auf eine von epicenter.works nach Auskunftspflichtgesetz gestellte Anfrage!

Die Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten in Deutschland bezweifelte im Oktober 2018 in einem Positionspapier, dass Algorithmen mit den Grund- und Verfassungsrechten vereinbar sind und hat dargelegt, dass die für rechtskonforme Verwaltung notwendige Nachvollziehbarkeit, Überprüfbarkeit und Beherrschbarkeit der Entscheidungen und der Auswirkungen nicht gegeben ist.

Gerade im Sozialbereich, bei der Existenzsicherung, bringen automatisierte Entscheidungen massiven Stress für die Betroffenen. Es bedarf – da die Daten schon zubereitet werden – nur einiger Änderungen im Algorithmus, um aus einer vermeintlichen Unterstützung ein administratives Massenverbrechen zu machen. Kritische Expertinnen sprechen daher von „mathematischen Massenvernichtungswaffen“.

Statt – wie AK und Volksanwaltschaft – unisono bloß einige Verbesserungen des Algorithmus und seiner Anwendung zu fordern, gehört dieser gestoppt! Einzig sinnvolle Alternative zur Entmündigung von Arbeit suchenden Menschen durch „Experten“ oder Algorithmen kann in einer Demokratie nur die Beseitigung des auf Existenz vernichtenden Bezugssperren beruhendem Gewaltregimes beim AMS sein. Die freie Wahl auf Basis objektiver und ausreichender Information durch die versicherten Arbeiter*innen selbst wäre die einfachste, billigste und wirkungsvollste Qualitätssicherung!

Martin Mair ist Obmann des Vereins Aktive Arbeitslose Österreich
Infos http://www.aktive-arbeitslose.at