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Kürzung als Weg in die Armut

  • Dienstag, 26. Februar 2019 @ 08:00
Meinung
Franz Grün über das System Mindestsicherung

Als letztes soziales Netz soll die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) einen absoluten Mindeststandard sichern, der ein Abrutschen in die Armut verhindert und ein Leben in Würde ermöglicht. Trotzdem plant die Bundesregierung Änderungen, die Menschen in Not ins soziale Nichts fallen lassen. Damit stellt sie unseren Sozialstaat in Frage und gefährdet den sozialen Frieden.

Über zwei Drittel der MindestsicherungsbezieherInnen sind PensionistInnen (25 Prozent), Kranke, Behinderte und Erwerbstätige (21 Prozent als Aufstocker). 21 Prozent sind im Haushalt (oftmals krank oder behindert), sechs Prozent in Aus- oder Weiterbildung, 28 Prozent arbeitslos (stehen also dem Arbeitsmarkt zur Verfügung). Die Kosten für die BMS betragen gerade 0,9 Prozent aller Sozialausgaben oder 0,4 Prozent des Budgets. Das wird den Sozialstaat nicht zusammenbrechen lassen. Insgesamt kommt die Mindestsicherung den ärmsten drei Prozent der Bevölkerung zu Gute.

83.818 minderjährige Kinder leben in Haushalten mit Mindestsicherung. Von den Frauen als Betroffenengruppe abgesehen, bildeten die Alleinstehenden die größte Gruppe (37 Prozent), gefolgt von den Paaren mit Kindern (32 Prozent) und den Alleinerziehenden (15 Prozent). Ein Drittel der mit Mindestsicherung unterstützten Menschen sind also minderjährig. Die Hauptbetroffenen einer Kürzung der Mindestsicherung sind also Kinder.

Kinder und Jugendliche, die in Haushalten mit niedrigem Einkommen aufwachsen, werden in mehreren Bereichen benachteiligt:
- Die Gefahr des sozialen Ausschlusses, etwas dass die Teilnahme an kostenpflichtigen Schulaktivitäten nicht möglich ist.
- Mindestsicherungs-BezieherInnen mit Kindern leben noch häufiger in schlechten Wohnsituationen. Desolates Wohnen wirkt sich besonders hemmend auf Bildungschancen und die Gesundheit der Kinder aus: Feuchtigkeit, Fäulnis, Überbelag, dunkle Räume.

Da die Mindestsicherung schon jetzt nur zur Deckung des unmittelbaren Bedarfes reicht, entziehen die Kürzungen Familien mit mehreren Kindern die Existenzgrundlage und bringen damit die Zukunftsperspektive der Kinder ernstlich in Gefahr. Dies steht dem Ziel Armut und sozialer Ausgrenzung nachhaltig entgegenzuwirken und folglich auch eine „Vererbung“ von Armut über Generationen zu vermeiden, diametral entgegen. Die armen Kinder von heute sind die chronisch kranken Erwachsenen von morgen.

Unter welchen Bedingungen Mindestsicherungsbezieher leben zeigt eine Studie der Statistik Austria. Sehr hohe Raten zeigen sich bei gesundheitlichen Einschränkungen, chronischer Krankheit und Behinderung. Doppelt so viele in Mindestsicherung sind chronisch krank, viermal so hoch ist die Zahl der Behinderten, dreimal so viel sind Menschen mit Pflegegeldbezug. Starke negative Effekte werden bei der Wohnsituation sichtbar. Viele können ihre Wohnung nicht im Winter heizen, müssen unter desolaten Wohnbedingungen leben (doppelt so oft von feuchter Wohnung betroffen, fünfmal öfter Überbelag, dreimal öfter dunkle Räume).

Massiv sind die Auswirkungen auf Gesundheit, Chancen und Teilhabe bei Kindern. Die Gefahr des sozialen Ausschlusses zeigt sich in den geringeren Möglichkeiten Freunde einzuladen (zehnmal weniger als andere Kinder), Feste zu feiern und an kostenpflichtigen Schulaktivitäten teilzunehmen (20mal weniger).

Die sozialen Hürden

Für viele sind die Barrieren sehr hoch, um die notwendige Hilfe zu bekommen. Eine große Zahl von Bezugsberechtigten nimmt keine Leistungen in Anspruch. Diese „Non-Take-Up“-Quote ist am Land noch wesentlich höher als in den Städten. Die Zahl der Einkommensarmen, die trotz Anspruch keine BMS erhalten, ist enorm. Die großen Probleme in der Mindestsicherung lauten also nicht soziale Hängematte, sondern Nichtinanspruchnahme und Sozialbürokratie. Zehntausende Menschen erhalten offensichtlich nicht, was ihnen zusteht und helfen würde. Die Gründe: Uninformiertheit, bürokratische Hürden, willkürlicher und bürgerunfreundlicher Vollzug, Angst vor Stigmatisierung.

Die Behörden sind findig, um Missbrauch zu verhindern. Nicht bloß, dass Antragsteller_innen ihre Lebensverhältnisse völlig offenlegen müssen. Die Behörde weiß durch umfangreiche Amtshilfeverpflichtungen auch ohne Information durch die Hilfesuchenden, ob eine Beschäftigung oder eine AMS-Sperre vorliegt, ob ein Kfz auf ihren Namen läuft, oder wer sonst noch an ihrer Wohnadresse gemeldet ist. Ein Blick in den Computer genügt.

Auch während des laufenden Bezugs sind jederzeit Kontrollen möglich, etwa mittels unangemeldeter Hausbesuche. Sollten Leistungen zu Unrecht bezogen worden sein, sind sie zurück zu zahlen. Verwaltungsstrafen und auch Ersatzfreiheitsstrafen sind möglich.

Es genügt nicht, über die Mindestsicherung allein zu sprechen – die Vermeidung von Armut ist eine zentrale Aufgabe. Die Mindestsicherung kann in Zukunft nicht der „Staubsauger“ für alle strukturellen Probleme sein, die in der Mitte der Gesellschaft angelegt sind: Arbeitslosigkeit, Pflegenotstand, prekäre Jobs, mangelnde soziale Aufstiegschancen im Bildungssystem.

Franz Grün ist Organisationsverantwortlicher im GLB in der vida