Ein dreister Verfassungscoup
- Freitag, 30. November 2018 @ 17:37
Anne Rieger über das Staatsziel wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort
Die ÖVP/FPÖ Regierung will das Ziel eines „wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts“ in der Verfassung verankern. „Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort als Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung“, hieß es im Regierungsentwurf. Durch die neue Staatszielbestimmung würden die Vollzugsorgane verpflichtet, in jedem Einzelfall auch das öffentliche Interesse an einem wettbewerbsfähigen Standort ... zu berücksichtigen und mit den anderen Staatszielen zu vereinbaren, so in den Erläuterungen. Die ÖVP verfolgt diese Staatszielbestimmung schon seit Anfang 2017. Damals hatte das Bundesverwaltungsgericht dem Flughafen Wien den Bau der dritten Piste untersagt, mit Hinweis auf den Umweltschutz, der im Verfassungsgesetz als Staatsziel festgehalten ist.
Gefährdung sozialer Grundrechte
Die Delegierten des ÖGB Kongresses lehnten im Mai „entschieden ab, den ‚wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort’ als Staatsziel im Verfassungsrang festzulegen, denn das würde zu einer massiven Gefährdung sozialer Grundrechte sowie des umfassenden Umweltschutzes führen“. Vorausgegangen war bereits die „dezidierte Ablehnung“ der Bundesarbeiterkammer.
Der Entwurf schaffe eine gefährliche Schieflage zwischen den sozialen Interessen der Bevölkerung und Interessen der Wirtschaft: Schon jetzt enthalte die österreichische Verfassung – anders als die meisten europäischen Verfassungen – keine sozialen Grundrechte (etwa auf faire Entlohnung und Arbeitsbedingungen sowie auf soziale Absicherung bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter), enthalte aber durchaus wirtschaftliche Grundrechte (auf Erwerbsfreiheit und Eigentumsfreiheit).
Würden die letztgenannten wirtschaftlichen Grundrechte nun um eine Staatszielbestimmung zur Wettbewerbsfähigkeit erweitert, würde das Ungleichgewicht in der österreichischen Bundesverfassung zwischen den Interessen der (meist unselbstständig beschäftigte) Menschen an sozialem Schutz einerseits und der Wirtschaft andererseits noch weiter verschärft.
Verteilungsgerechtigkeit
Wolfgang Katzian kritisierte noch als Vorsitzender der Gewerkschaft GPA-djp, dass in dem von der Regierung formulierten Staatsziel Wirtschaft die größte Bevölkerungsgruppe des Landes, die unselbständig Beschäftigten, nicht vorkomme. Eine Zustimmung sei nur denkbar, wenn diese völlig verengte Sichtweise auf die Wirtschaft ergänzt wird, in dem die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen eine zentrale Rolle spielen. Ein Staatsziel „Verteilungsgerechtigkeit“ würde diesem Anspruch gerecht werden.
NGOs bei UVP-Verfahren ausgebootet
Für die Verfassungsänderung aber braucht die Regierung eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Nach langen Verhandlungen stimmten die Neos zu, nachdem sie die Begriffe „Nachhaltigkeit“ zusätzlich, und „Wohlstand“ anstatt „Wachstum“ hineinreklamiert hatten. Geblieben ist das Staatziel „wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort“.
Aktuell haben die Neos im Verfassungsausschuss die Stopptaste gedrückt und wollen auch der weichgespülten Fassung nicht zustimmen, solange es keine Änderungen bei der geplanten UVP-Novelle gebe. Man könne sich nicht auf der einen Seite zu einem Staatsziel nachhaltiger Wirtschaftsstandort bekennen und auf der anderen Seite die Mitwirkungsmöglichkeit von Umweltschutzorganisationen in UVP-Verfahren einschränken.
So soll ein Verein als Voraussetzung für die Parteistellung im UVP-Verfahren mindestens 100 Mitglieder und ein Verband mindestens fünf Vereine umfassen. Zudem verlangt das Gesetz, dass die entsprechende Anzahl der Behörde glaubhaft zu machen ist. Es reiche die Vorlage durch einen Notar oder Wirtschaftsprüfer, beruhigt süffisant Bundesministerin Elisabeth Köstinger. Umweltorganisationen sind gegen das neue Staatsziel, weil sie befürchten, dass der Umweltschutz, der bereits als Staatsziel definiert ist, dadurch ins Hintertreffen gerät.
KV-Forderung verfassungswidrig?
Geblieben ist das Staatziel „wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort“. Was jedoch bedeutet das? Erhöhung der Einkommen über Kollektivverträge, trägt das zur Wettbewerbsfähigkeit bei, wenn Gerichte befragt würden? Eine Verkürzung der Arbeitszeit? Dürfte die Gewerkschaft die dann überhaupt fordern? Verweigerung der 11. und 12. Überstunde, handelt da der/die Einzelne nicht gegen die Verfassung, nämlich die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs? Wir sind gut beraten, diesem Verfassungscoup mehr Aufmerksamkeit zu schenken und zu Protesten und Widerstand aufzurufen.
Industrie macht Druck
Im Namen der Industrie macht der Vize-Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Peter Koren Druck. Er fordert alle Parteien im Nationalrat auf, nun auch die bereits von vielen Seiten angestrebte Festschreibung des Wirtschaftsstandortes als Staatsziel in der Verfassung umzusetzen. Ebenso wichtig sei, das geplante Standortentwicklungsgesetz zu beschließen und umzusetzen. Die Stopptaste der Neos wird vermutlich nicht lange halten, wenn es keinen Druck von unten gibt.
Anne Rieger ist Mitglied im erweiterten Bundesvorstand des GLB
Die ÖVP/FPÖ Regierung will das Ziel eines „wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts“ in der Verfassung verankern. „Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort als Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung“, hieß es im Regierungsentwurf. Durch die neue Staatszielbestimmung würden die Vollzugsorgane verpflichtet, in jedem Einzelfall auch das öffentliche Interesse an einem wettbewerbsfähigen Standort ... zu berücksichtigen und mit den anderen Staatszielen zu vereinbaren, so in den Erläuterungen. Die ÖVP verfolgt diese Staatszielbestimmung schon seit Anfang 2017. Damals hatte das Bundesverwaltungsgericht dem Flughafen Wien den Bau der dritten Piste untersagt, mit Hinweis auf den Umweltschutz, der im Verfassungsgesetz als Staatsziel festgehalten ist.
Gefährdung sozialer Grundrechte
Die Delegierten des ÖGB Kongresses lehnten im Mai „entschieden ab, den ‚wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort’ als Staatsziel im Verfassungsrang festzulegen, denn das würde zu einer massiven Gefährdung sozialer Grundrechte sowie des umfassenden Umweltschutzes führen“. Vorausgegangen war bereits die „dezidierte Ablehnung“ der Bundesarbeiterkammer.
Der Entwurf schaffe eine gefährliche Schieflage zwischen den sozialen Interessen der Bevölkerung und Interessen der Wirtschaft: Schon jetzt enthalte die österreichische Verfassung – anders als die meisten europäischen Verfassungen – keine sozialen Grundrechte (etwa auf faire Entlohnung und Arbeitsbedingungen sowie auf soziale Absicherung bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter), enthalte aber durchaus wirtschaftliche Grundrechte (auf Erwerbsfreiheit und Eigentumsfreiheit).
Würden die letztgenannten wirtschaftlichen Grundrechte nun um eine Staatszielbestimmung zur Wettbewerbsfähigkeit erweitert, würde das Ungleichgewicht in der österreichischen Bundesverfassung zwischen den Interessen der (meist unselbstständig beschäftigte) Menschen an sozialem Schutz einerseits und der Wirtschaft andererseits noch weiter verschärft.
Verteilungsgerechtigkeit
Wolfgang Katzian kritisierte noch als Vorsitzender der Gewerkschaft GPA-djp, dass in dem von der Regierung formulierten Staatsziel Wirtschaft die größte Bevölkerungsgruppe des Landes, die unselbständig Beschäftigten, nicht vorkomme. Eine Zustimmung sei nur denkbar, wenn diese völlig verengte Sichtweise auf die Wirtschaft ergänzt wird, in dem die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen eine zentrale Rolle spielen. Ein Staatsziel „Verteilungsgerechtigkeit“ würde diesem Anspruch gerecht werden.
NGOs bei UVP-Verfahren ausgebootet
Für die Verfassungsänderung aber braucht die Regierung eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Nach langen Verhandlungen stimmten die Neos zu, nachdem sie die Begriffe „Nachhaltigkeit“ zusätzlich, und „Wohlstand“ anstatt „Wachstum“ hineinreklamiert hatten. Geblieben ist das Staatziel „wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort“.
Aktuell haben die Neos im Verfassungsausschuss die Stopptaste gedrückt und wollen auch der weichgespülten Fassung nicht zustimmen, solange es keine Änderungen bei der geplanten UVP-Novelle gebe. Man könne sich nicht auf der einen Seite zu einem Staatsziel nachhaltiger Wirtschaftsstandort bekennen und auf der anderen Seite die Mitwirkungsmöglichkeit von Umweltschutzorganisationen in UVP-Verfahren einschränken.
So soll ein Verein als Voraussetzung für die Parteistellung im UVP-Verfahren mindestens 100 Mitglieder und ein Verband mindestens fünf Vereine umfassen. Zudem verlangt das Gesetz, dass die entsprechende Anzahl der Behörde glaubhaft zu machen ist. Es reiche die Vorlage durch einen Notar oder Wirtschaftsprüfer, beruhigt süffisant Bundesministerin Elisabeth Köstinger. Umweltorganisationen sind gegen das neue Staatsziel, weil sie befürchten, dass der Umweltschutz, der bereits als Staatsziel definiert ist, dadurch ins Hintertreffen gerät.
KV-Forderung verfassungswidrig?
Geblieben ist das Staatziel „wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort“. Was jedoch bedeutet das? Erhöhung der Einkommen über Kollektivverträge, trägt das zur Wettbewerbsfähigkeit bei, wenn Gerichte befragt würden? Eine Verkürzung der Arbeitszeit? Dürfte die Gewerkschaft die dann überhaupt fordern? Verweigerung der 11. und 12. Überstunde, handelt da der/die Einzelne nicht gegen die Verfassung, nämlich die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs? Wir sind gut beraten, diesem Verfassungscoup mehr Aufmerksamkeit zu schenken und zu Protesten und Widerstand aufzurufen.
Industrie macht Druck
Im Namen der Industrie macht der Vize-Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Peter Koren Druck. Er fordert alle Parteien im Nationalrat auf, nun auch die bereits von vielen Seiten angestrebte Festschreibung des Wirtschaftsstandortes als Staatsziel in der Verfassung umzusetzen. Ebenso wichtig sei, das geplante Standortentwicklungsgesetz zu beschließen und umzusetzen. Die Stopptaste der Neos wird vermutlich nicht lange halten, wenn es keinen Druck von unten gibt.
Anne Rieger ist Mitglied im erweiterten Bundesvorstand des GLB