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Demokratie-feindliche Schikanen

  • Freitag, 30. November 2018 @ 17:32
Meinung
Erwin Leitner über den Regierungskampf gegen Beteiligung, Rechtsstaat und Umwelt

Mit ihrer UVP-Novelle verfolgt die Regierung eine massive Schwächung demokratischer Mitsprache und Mitentscheidung sowie eine Schikanierung zivilgesellschaftlicher Organisationen. Umweltorganisationen stehen Verfahrensrechte bei der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zu. Künftig soll das aber an die Bedingung geknüpft sein, dass sie Daten von mindestens hundert Mitgliedern weitergeben. Diese Schikane stellt - auch im Fall einer Weitergabe an einen Notar - einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung dar und widerspricht weiters den Vorgaben der EU-Richtlinie zur UVP.

Der Vorwurf einer Überlänge von Umweltverträglichkeitsprüfungen ist dabei durch Fakten nicht belegbar: UVP-Verfahren dauern nach Vollständigkeit der Unterlagen durchschnittlich nur noch sieben Monate. Bis Projektwerber die Unterlagen für das Vorhaben jedoch vollständig vorlegen, vergehen durchschnittlich mehr als zehn Monate. Sinnvolle Verfahrensbeschleunigungen sollten aber genau dort ansetzen, wo das wirkliche Problem liegt. Hier wird jedoch eine untaugliche Scheinlösung geschaffen, die Organisationen schikaniert und der Umwelt schadet.

Betonierwut bleibt

Beim Erstversuch des Standortentwicklungsgesetzes konnte der Eindruck entstehen, dass das Wirtschaftsministerium keine Jurist_innen mehr hat. So einhellig vernichtend war der Aufschrei aus den Reihen der Rechtsexpert_innen, einschließlich der ÖVP-nominierten VfGH-Präsidentin, gegen den geplanten Genehmigungsautomatismus und Rechtsmittelausschluss, die mit Grundsätzen des Rechtsstaats völlig unvereinbar wären.

Vom Genehmigungsautomatismus und Rechtsmittelausschluss werden die Regierungsparteien nun zwar Abstand nehmen. Aber auch der Zweitversuch bleibt problematisch. Es ist geplant, dass die Behörde innerhalb von 12 Monaten entscheiden muss, ob das beantragte Vorhaben grundsätzlich genehmigt werden kann. Wird dies bestätigt, so ist später eine Ablehnung nicht mehr möglich. Das Verfahren wandert dann automatisch zum Bundesverwaltungsgericht, falls die Behörde nicht innerhalb von 18 Monaten entscheidet.

Bei der Folgenabschätzung wurde aber auf eine Mittelaufstockung beim ohnehin überlasteten Bundesverwaltungsgericht vergessen. Verfahrensverkürzungen können auf diese Weise nicht erreicht werden. Denn wenn das nicht abgeschlossene Verfahren der Erstbehörde an das Bundesverwaltungsgericht übertragen wird, beginnt das Verfahren von vorne und muss die Prüfung neu gestartet werden.

Korruptions-geneigte Entscheidungsstrukturen

Die Entscheidungskompetenz für privilegierte Verfahren für Großprojekte erinnert an überwunden geglaubte monarchische Entscheidungsstrukturen des Habsburger-Regimes. Die Regierung schafft mit den Verfahrensprivilegien für Großinvestitionen eine massiv Korruptions-gefährdete Struktur. Im Zuge ihrer Folgenabschätzung vergisst die Regierung aber auf die unverzichtbare Aufstockung der Ressourcen zur Korruptionsbekämpfung.

Es braucht keinen Propheten, um absehen zu können, dass die zuständigen Bundesminister_innen spätestens in den Wahlkämpfen mit den Korruptions-geneigten Entscheidungsstrukturen ihres Standortentwicklungsgesetzes wahre Freudenmomente erleben werden.

Angekündigte Verfahrensverkürzungen mit untauglichen Mitteln führen zu Verfahrenverlängerung und Rechtsunsicherheit

Aufgrund absehbarer Verfahren wegen Europa- und Verfassungswidrigkeit werden sich die Genehmigungsverfahren aber nicht verkürzen, sondern erheblich verlängern. Die Regierung schafft mit ihrer überschusselten Symbolpolitik Rechtsunsicherheit für alle und aufgrund der absehbaren Verfahren bei Verfassungsgerichtshof und EuGH bis zur höchstgerichtlichen Klärung noch wesentlich längere Genehmigungsverfahren für Unternehmen. Nach höchstgerichtlichen Aufhebungen von Verfassungs- und Europawidrigem wird dann aber genau das kommen müssen, was Umwelt-NGOs schon immer gefordert haben: Zurück an den Start!

Konzept zur Befreiung

Direkte Demokratie würde die Möglichkeit eröffnen, gegen derartige Gesetzesvorhaben ein wirksames Instrument in Händen zu halten, um die Bürger_innen selber entscheiden zu lassen. Von der „absoluten Koalitionsbedingung“ der Direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild ist im Koalitionsprogramm aber nur noch eine Schmähparade übrig geblieben.

Wir sind im bestehenden politischen System der reinen Stellvertreter_innen-Demokratie gezwungen, uns in konkreten politischen Fragen vertreten lassen zu müssen. Wir sind also politisch zwangsbesachwaltert und werden strukturell als politisch entmündigte Menschen behandelt. Direkte Demokratie „von unten“ ist demgegenüber ein Konzept zur Befreiung der Menschen und der Gesellschaft von ihrer politischen Unmündigkeit. Das Ideal der mündigen Bürger_innen steht dabei im Mittelpunkt aller Demokratie-politischen Maßnahmen.

Erwin Leitner ist Demokratie-Entwickler, Gründer und Bundessprecher der Demokratie-NGO „mehr demokratie!“