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Nivellierung nach unten

  • Freitag, 27. Juli 2018 @ 08:00
Meinung
Leo Furtlehner über Gold-Plating

Gleich neunmal kommt im Regierungsprogramm 2017 – 2022 der schwarz-blauen Koalition das Stichwort „Gold-Plating“ vor. Deutlich wird dabei, dass das Motto des Koalitionspaktes „Zusammen. Für unser Österreich.“ keineswegs für alle gilt, sondern (nicht nur) in diesem Punkt maßgeschneidert für die Bedürfnisse der Wirtschaft, vor allem der Industrie gilt, welcher Kurz & Strache verpflichtet sind. Hinter dem Begriff „Gold-Plating“ steckt die Verunglimpfung von Regelungen in Arbeits- und Sozialrecht, Konsumentenschutz, Umweltrecht usw, die über die von EU-Richtlinien vorgegebenen Standards hinausgehen. Dabei sind im Visier der Regierung als Vollzugsausschuss der Wirtschaft, die seit Jahr und Tag gegen die angebliche Überregulierung trommelt, auch Regelungen, die schon vor dem EU-Beitritt Österreichs im Jahre 1995 Geltung hatten. Und hatten bekanntlich nicht ÖVP wie SPÖ damals hoch und heilig versprochen, dass die EU-Mitgliedschaft keine Verschlechterung bringen würde?

Die von der EU beschlossenen Richtlinien legen Mindeststandards fest, die in nationales Recht gegossen werden, was natürlich keineswegs bedeutet, dass es keine besseren Regelungen bzw. höhere Standards geben darf. Das ist vor allem auch eine Frage der Wirtschaftsleistung der jeweiligen Mitgliedsländer. Macht es doch einen Unterschied, ob das für Bulgarien als dem ärmsten EU-Land erfolgt, oder für Österreich als einem der reichsten Länder.

Der Wirtschaft, vor allem der Industrie, die zunehmend massiv auf Senkung der Kosten bei Löhnen, Sozialleistungen wie auch im Umweltschutz drängt, ist das natürlich ein Gräuel. Daher hat die Forderung „Kein Gold-Plating bei der Umsetzung von EU-Recht“ Aufnahme in das Regierungsprogramm gefunden.

Ein Beispiel, wie über die Mindeststandards hinausgehende Regeln ausgehebelt werden sollen, ist etwa der Umweltschutz, wo erklärtermaßen unter dem Stichwort „Wirtschaftsstandort“ und „Entbürokratisierung“ der Widerstand von Bürger_innen vor allem gegen umstrittene Großprojekte ausgeschaltet werden soll. So heißt es im schwarz-blauen Koalitionspakt: „Ziel dabei ist es, unter Wahrung der umweltpolitischen und nachbarschaftlichen Schutzrechte die Verfahrensdauer wirksam abzukürzen, bestehendes Gold-Plating gegenüber zwingenden EU-Vorgaben zu beseitigen, die Parteistellung sachgerecht neu zu regeln, unbestimmte Abwägungsklauseln in Gesetzen sachgerecht zu konkretisieren oder zu streichen, Kundmachungen via Internet zu ermöglichen sowie sicherzustellen, dass willkürliche Verschleppungen dadurch unterbunden werden, dass neue Beweisanträge nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden können.“

Ähnliches gilt für die Steuerpolitik: „Das Steuerrecht ist durch unzählige unsystematische Ausnahme- und Sonderbestimmungen belastet, welche es zu entrümpeln gilt. Durch einfachere Regelungen und Vermeidung von Gold-Plating kann das Steuerrecht wesentlich entlastet und können Effizienzpotenziale gehoben werden.“ Und damit nicht genug: „Zusätzlich zu hohen Steuern und Abgaben verursachen Gesetzesflut, Gold-Plating von EU-Bestimmungen und Überregulierung der heimischen Wirtschaft erhebliche Kosten, die Österreichs Wettbewerbsfähigkeit massiv gefährden.“ Woraus sich der Schluss ergibt: „Rücknahme von Gold-Plating zu Lasten von Unternehmen“

Der Generalangriff auf über die EU-Mindeststandards hinausgehende bessere geltende Regelungen erfolgt unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“. Dazu wurde das Programm REFIT konstruiert und eine Expertengruppe forderte bereits 2014 die Mitgliedsländer auf ihre „Gold-Plating“-Bestimmungen zu überprüfen. Dazu legten kürzlich Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung eine Liste mit nicht weniger als 489 Punkten vor, die nach unten nivelliert werden sollen.

Was die Beseitigung von „Gold-Plating“ bedeutet, wird etwa bei der aktuellen Arbeitszeit-Debatte deutlich. So sieht etwa die EU-Arbeitszeitrichtlinie eine tägliche Arbeitszeit von bis zu 13 Stunden, aber nur vier Wochen bezahlten Jahresurlaub. Hingegen gelten in Österreich bislang acht Stunden als normale Maximalarbeitszeit, bei Gleitzeit bzw. Überstunden zehn Stunden und nur in Sonderfällen zwölf Stunden, gleichzeitig gibt es fünf bzw. nach 25 Jahren sechs Wochen Urlaub. Die schwarz-blaue Arbeitszeitreform schlägt somit eine erste große Bresche in bislang geltende Regeln.

Freilich kann sich die jetzige Regierung bei ihren Bestrebungen auf Vorleistungen der vorigen Regierungen berufen. So wurde bereits im Deregulierungsgesetz 2001 wie auch im Deregulierungsgrundsätzegesetz von 2017 der Passus, dass EU-Richtlinien „nicht ohne Grund übererfüllt werden sollen“. Verantwortlich für „Gold-Plating“ ist der als großer „Reformer“ und „Wunderwuzzi“ gehandelte Justizminister Josef Moser, der bekanntlich alle alten Gesetze per Federstrich abschaffen will. Sein Ministerium forderte die Ministerien und Interessenvertretungen auf, bis Mai 2018 zu melden, wo eine „Übererfüllung“ von EU-Recht vorliegt. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse wird für Herbst 2018, eine Konkretisierung für 2019 erwartet.

Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“