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Konzertierter Angriff

  • Freitag, 27. Juli 2018 @ 08:00
Meinung
Anne Rieger über die Bedeutung der Kollektivverträge

Österreich hat eine der höchsten Kollektivvertragsdichten in der EU. 98 Prozent der unselbständig Beschäftigen seien durch Kollektivverträge geschützt, berichtete Rudi Kaske im November. Das sei international ein Bestwert. In Deutschland liege die Kollektivvertragsdichte nur bei 58 Prozent, in den USA bei zwölf Prozent. Dieser flächendeckende kollektive Schutz der Beschäftigten ist Industriellen und Dienstgebern schon lange ein Dorn im Auge. Reichste Österreicher, zahlreiche Immobilien-Unternehmer und Hobby-Jäger unterstützten Sebastian Kurz mit zwei Millionen Euro im Wahlkampf. Der Auftrag an die dann gewählten türkis-blauen Regierenden war es u.a. die Kollektivvertragsbindung zu schleifen. Nachdem der Angriff der FPÖ auf die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern von Gewerkschaft, Kammern und Teilen der ÖVP abgewehrt und damit nicht ins Regierungsprogramm übernommen wurde, verlagerte sich der Angriff auf die Kollektivverträge über den Weg des 12-Stunden-Arbeitstages.

Dieser und die 60-Stunden-Woche werden ab 1.9. generell möglich – ohne Zustimmung von Gewerkschaft oder Betriebsrat. Damit sind die Kollektivverträge ausgehebelt. In Zukunft muss der/die Einzelne alleine mit dem Chef die Bedingungen für die 11. und 12. Stunde aushandeln. Und jede/r kann viermal im Jahr zu Wochenend- und Feiertagsarbeit verpflichtet werden.

Bereits in der Vergangenheit griffen Unternehmer und Dienstgeber Kollektivverträge an. Teilweise waren sie erfolgreich. Schon 2001 spalteten sich die Elektro- und Elektronikindustriellen von der Verhandlungsgemeinschaft des Eisen/Metall-Sektors ab, 2012 beendeten die Unternehmer die verbliebene Verhandlungsgemeinschaft der Metallindustrie. Seitdem müssen die Gewerkschaften getrennt gegen die Unternehmerphalanx ihre Forderungen in den parzellierten Branchen durchsetzen und sechs statt einen KV-Abschluss verhandeln. Die Wirkung war enorm. Kampfstarke Branchen wurden von kampfunerfahreneren getrennt. Mit letzteren beginnen seitdem die Unternehmer die Verhandlungen. Seit dieser Branchenspaltung sind die jährlichen Lohnerhöhungen in den sechs getrennten Metallbranchen kontinuierlich von 4,2 Prozent im Jahr 2012 auf 1,5 Prozent im Jahr 2016 gesunken. Auch 2017 konnten nur 1,68 Prozent im Durchschnitt erreicht werden.

Weitere Aushöhlungen der Kollektivvertragsbindung waren Betriebsaufspaltungen wie z.B. bei Magna. Der Konzern konnte dadurch einem Teil der Angestellten schlechtere Handels- bzw. Gewerbe-KVs aufdrücken. Den gleichen Effekt hat die Kündigung von KVs, wie z.B. bei der AUA. Auch vom KV abweichende Vereinbarungen wurden erzwungen oder der KV für alle wird unterlaufen, wie in der Elektroindustrie, wo ein Teil der Lohnsumme zur individuellen Verteilung freigegeben wurde. Das führt zu Konkurrenz und ungleichen Löhnen im Betrieb.

Bei den Beschäftigten im grafischen Gewerbe sind die Unternehmer noch einen Schritt weiter gegangen. Seit 2016 befinden sich die Beschäftigten im kollektivvertragslosen Zustand. Lange Jahre wurde der Kollektivvertrag im Druckgewerbe von der Gewerkschaft nicht mit der Wirtschaftskammer sondern mit dem Verband Druck und Medientechnik verhandelt. Das ist ein privater freiwilliger Zusammenschluss von UnternehmerInnen und war lange Zeit kollektivvertragsfähig. Durch eine Statutenänderung hat sich der Verband selbst die Kollektivvertragsfähigkeit aberkennen lassen, und „kann“ nun nicht mehr verhandeln. Die seit über 100 Jahren bestehende kollektivvertragliche Situation ist damit ausgesetzt. Dadurch stieg der Druck auf Beschäftigte, neue, schlechtere Einzelverträge einzugehen – wer nicht wechselt, dem droht die Kündigung. Die Arbeiterkammer berichtete von einem Fall aus einer Druckerei in Wien: 40 statt 37 Stunden Wochenarbeitszeit sowie Einbußen beim 13. und 14. Monatsgehalt. Private freiwillige Branchenverbände können – im Gegensatz zur Wirtschaftskammer - einen Statutentrick anwenden, um Lohnzahlungen zu drücken.

Das Ziel der Aushebelung der Kollektivverträge ist die Schwächung - wenn nicht gar die Zerschlagung - der Gewerkschaften. Nachzulesen im Labour Market Development-Report der EU-Kommission von 2012. Dort propagiert die Kommission die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Reduktion von Überstundenzuschlägen, sowie den Abbau kollektivvertraglicher Regelungen zugunsten „dezentralisierter“ Lohnfindung. Ziel ist die “Reduktion der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht“.

Die Zerstörung arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen erfolgt zudem über atypische Beschäftigungsverhältnisse, Crowdworking und All-In-Verträge. Möglicherweise auch durch das neue Bundesrechtsbereinigungsgesetz. Rund 2.450 nicht mehr benötigte Gesetze und Verordnungen sollen ab 2019 aus dem Rechtsbestand gestrichen werden. Im zweiten Schritt, so Justizminister Moser, sollen sämtliche Gesetze im Hinblick auf eine sogenannte „unnötige Übererfüllung“ von EU-Vorhaben - Stichwort „Gold Plating“ - durchforstet werden.

Kollektivverträge sind die Festschreibung von Machtverhältnissen auf Zeit. Nur offensiver Widerstand auf der Straße und in den Betrieben kann die Regierung der Industriellenvereinigung stoppen.

Anne Rieger ist Vorstandsmitglied des GLB-Steiermark