Die Wunderwelt des Schwarms
- Sonntag, 15. April 2018 @ 16:26
Leo Furtlehner über Crowdworking
Eine neue Entwicklung prägt zunehmend den Arbeitsmarkt – Crowdworking. Was von neoliberalen Kreisen als Revolution am Arbeitsmarkt verharmlost wird ist de facto freilich nur eine ganz gewöhnliche digitale Tagelöhnerei. Als Crowdworking versteht man neue Formen der Arbeit über das Web als Gegenstück zum unternehmerischen Crowdsourcing, dem Zerstückeln von Arbeitsaufgaben in einzelne Miniaufträge über eine Internetplattform („sourcing“), die von einer losen Menschenmasse („Crowd“) abgearbeitet werden.
Das Magazin „Chip“ schildert als Beispiel dafür: „Fünfzehn Prospektseiten Werbung für einen ayurvedischen Massagestab: 200 Euro. Programmierung einer kleinen Firmenwebsite: 50 Euro. Ein Hunde- von einem Katzenbild unterscheiden: 0,1 Cent. Alles an einem Nachmittag, ohne Nachfrage und brutto.“
Unternehmen wie Upwork, Mechanical Turk oder Clickworker bieten unzählige Microjobs, die von zu Hause aus oder am Handy erledigt werden können. Die Spannweite der dafür erforderlichen Qualifikation ist groß und reicht von der Hauptschule bis zur akademischen Ausbildung. Gleich ist hingegen für alle, dass die Bezahlung mieselsüchtig und die Arbeitsbedingungen schlecht sind.
Dessen ungeachtet breitet sich in einer zunehmend prekarisierten Arbeitswelt Crowdworking immer stärker aus. Laut „Chip“ haben etwa in Deutschland bereits mehr als eine Million Deutsche ein Nutzerkonto bei einer der Plattformen eröffnet, hunderttausende suchen dort regelmäßig nach Microarbeit.
Große Konzerne wollen nach dem Schwarmprinzip neue Effizienz- und Kreativpotenziale erschließen. Das führt perverser Weise dazu, dass sich Angestellte im eigenen Unternehmen um Microjobs bewerben sollen, dafür mehr Freiheit bei der Ausgestaltung ihrer Arbeitszeit erhalten.
Crowdworking ist ein Beispiel dafür, welche negativen Auswirkungen die zunehmende Digitalisierung der Arbeit bedeutet. Nämlich das Verschwimmen von Arbeit und Privatleben bei ständiger Verfügbarkeit, eine weitere Globalisierung des Arbeitsmarkts und die wachsende Konkurrenz mit der Maschine.
Der angeblich befreiende Gedanke von Crowdworking durch flexiblere Arbeitszeit und eigenverantwortliche und erfüllendere Arbeit klingt nüchtern betrachtet ziemlich hohl. Etwa wenn Jan Marco Leimeister, Professor an der Uni Kassel, meint „Nahezu jeder mit einem Computer sowie einem Internetzugang kann Aufgaben in der Crowd erledigen und so haupt- oder nebenberuflich als Crowdworker arbeiten.“ Was bleibt, ist der Eindruck einer „digitalen Tagelöhnerei“, bei welcher alle die sich darauf eingelassen haben von einem Mini-Auftrag zum nächsten hecheln, um einigermaßen über die Runden zu kommen.
Laut einer Crowdworking-Studie der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung verdienen Klickarbeiter auf Marktplatz- und Designplattformen mit durchschnittlich 660 Euro im Monat, auf Testing- und Microtask-Plattformen sind es nur zwischen 144 und 411 Euro. Für 79 Prozent aller Crowdarbeiter_innen ist diese Arbeit nur ein Nebenverdienst. Jene, die damit ihr Haupteinkommen bestreiten, kommen gerade auf 1.500 Euro – bei einer 80-Stundenwoche. Macht einen Brutto-Stundenlohn von 4,70 Euro. Nur die Hälfte kann in die Altersvorsorge investieren, nur zwei Drittel sind kranken- oder arbeitslosenversichert. Der Wechsel in eine Festanstellung ist ähnlich unwahrscheinlich wie jener von Teilzeitbeschäftigten in eine Vollzeitarbeit.
Real betrachtet bedeutet diese Arbeitsform meist extrem arbeitsteilige, entfremdete und monotone Arbeit. Sind doch Crowd-Beschäftigte einem immensen Konkurrenzdruck ausgesetzt und tragen das volle Risiko ihrer Arbeit selbst. Wer gegen Auftraggeber aufmuckt, wird negativ bewertet, was die Aussicht weitere Aufträge verschlechtert.
Ob sich Crowdworking zähmen lässt, wie etwa deutsche Gewerkschafter_innen mit einer „Frankfurter Erklärung zu plattformbasierter Arbeit“ hoffen, darf bezweifelt werden. Etwa wenn es da heißt, Crowdworking sei ein Schritt zur Ermächtigung, die Arbeit selbstverantwortlich und mit mehr Mitbestimmungsrecht organisieren zu können. Forderungen, Crowdsourcing müsse rechtlich eingebunden werden, Crowdworker_innen müssten faire Vertragsbedingungen und rechtlichen Schutz erhalten, zum Lebensunterhalt müsse eine Wochenarbeitszeit von 35 bis 40 Stunden reichen, Kranken- und Sozialversicherungen müssten erleichtert werden, sind Minimalforderungen. Das alles erinnert an die negative Entwicklung der Teilzeitarbeit, die sich zunehmend als Sackgasse erweist.
Laut einer Studie des gewerkschaftlichen Hugo Sinzheimer Instituts gibt es derzeit „eine regelrechte Welle, solche Arbeitsformen in den Unternehmen zu etablieren“. Daimler will komplexe Themen durch ein Fünftel aller Beschäftigten in Schwarmorganisationen einarbeiten lassen. Airbus, BMW und VW arbeiten mit externen Crowdworking- Anbietern. Vor allem Softwareunternehmen holen sich über Crowd-Plattformen Unterstützung zum Training ihrer Künstlichen Intelligenz.
Aber ausgerechnet intelligente Algorithmen könnten längerfristig Crowdworing konkurrieren. Ist diese doch vor allem für monotone, kleinteilige Arbeiten konzipiert.
Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“
Eine neue Entwicklung prägt zunehmend den Arbeitsmarkt – Crowdworking. Was von neoliberalen Kreisen als Revolution am Arbeitsmarkt verharmlost wird ist de facto freilich nur eine ganz gewöhnliche digitale Tagelöhnerei. Als Crowdworking versteht man neue Formen der Arbeit über das Web als Gegenstück zum unternehmerischen Crowdsourcing, dem Zerstückeln von Arbeitsaufgaben in einzelne Miniaufträge über eine Internetplattform („sourcing“), die von einer losen Menschenmasse („Crowd“) abgearbeitet werden.
Das Magazin „Chip“ schildert als Beispiel dafür: „Fünfzehn Prospektseiten Werbung für einen ayurvedischen Massagestab: 200 Euro. Programmierung einer kleinen Firmenwebsite: 50 Euro. Ein Hunde- von einem Katzenbild unterscheiden: 0,1 Cent. Alles an einem Nachmittag, ohne Nachfrage und brutto.“
Unternehmen wie Upwork, Mechanical Turk oder Clickworker bieten unzählige Microjobs, die von zu Hause aus oder am Handy erledigt werden können. Die Spannweite der dafür erforderlichen Qualifikation ist groß und reicht von der Hauptschule bis zur akademischen Ausbildung. Gleich ist hingegen für alle, dass die Bezahlung mieselsüchtig und die Arbeitsbedingungen schlecht sind.
Dessen ungeachtet breitet sich in einer zunehmend prekarisierten Arbeitswelt Crowdworking immer stärker aus. Laut „Chip“ haben etwa in Deutschland bereits mehr als eine Million Deutsche ein Nutzerkonto bei einer der Plattformen eröffnet, hunderttausende suchen dort regelmäßig nach Microarbeit.
Große Konzerne wollen nach dem Schwarmprinzip neue Effizienz- und Kreativpotenziale erschließen. Das führt perverser Weise dazu, dass sich Angestellte im eigenen Unternehmen um Microjobs bewerben sollen, dafür mehr Freiheit bei der Ausgestaltung ihrer Arbeitszeit erhalten.
Crowdworking ist ein Beispiel dafür, welche negativen Auswirkungen die zunehmende Digitalisierung der Arbeit bedeutet. Nämlich das Verschwimmen von Arbeit und Privatleben bei ständiger Verfügbarkeit, eine weitere Globalisierung des Arbeitsmarkts und die wachsende Konkurrenz mit der Maschine.
Der angeblich befreiende Gedanke von Crowdworking durch flexiblere Arbeitszeit und eigenverantwortliche und erfüllendere Arbeit klingt nüchtern betrachtet ziemlich hohl. Etwa wenn Jan Marco Leimeister, Professor an der Uni Kassel, meint „Nahezu jeder mit einem Computer sowie einem Internetzugang kann Aufgaben in der Crowd erledigen und so haupt- oder nebenberuflich als Crowdworker arbeiten.“ Was bleibt, ist der Eindruck einer „digitalen Tagelöhnerei“, bei welcher alle die sich darauf eingelassen haben von einem Mini-Auftrag zum nächsten hecheln, um einigermaßen über die Runden zu kommen.
Laut einer Crowdworking-Studie der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung verdienen Klickarbeiter auf Marktplatz- und Designplattformen mit durchschnittlich 660 Euro im Monat, auf Testing- und Microtask-Plattformen sind es nur zwischen 144 und 411 Euro. Für 79 Prozent aller Crowdarbeiter_innen ist diese Arbeit nur ein Nebenverdienst. Jene, die damit ihr Haupteinkommen bestreiten, kommen gerade auf 1.500 Euro – bei einer 80-Stundenwoche. Macht einen Brutto-Stundenlohn von 4,70 Euro. Nur die Hälfte kann in die Altersvorsorge investieren, nur zwei Drittel sind kranken- oder arbeitslosenversichert. Der Wechsel in eine Festanstellung ist ähnlich unwahrscheinlich wie jener von Teilzeitbeschäftigten in eine Vollzeitarbeit.
Real betrachtet bedeutet diese Arbeitsform meist extrem arbeitsteilige, entfremdete und monotone Arbeit. Sind doch Crowd-Beschäftigte einem immensen Konkurrenzdruck ausgesetzt und tragen das volle Risiko ihrer Arbeit selbst. Wer gegen Auftraggeber aufmuckt, wird negativ bewertet, was die Aussicht weitere Aufträge verschlechtert.
Ob sich Crowdworking zähmen lässt, wie etwa deutsche Gewerkschafter_innen mit einer „Frankfurter Erklärung zu plattformbasierter Arbeit“ hoffen, darf bezweifelt werden. Etwa wenn es da heißt, Crowdworking sei ein Schritt zur Ermächtigung, die Arbeit selbstverantwortlich und mit mehr Mitbestimmungsrecht organisieren zu können. Forderungen, Crowdsourcing müsse rechtlich eingebunden werden, Crowdworker_innen müssten faire Vertragsbedingungen und rechtlichen Schutz erhalten, zum Lebensunterhalt müsse eine Wochenarbeitszeit von 35 bis 40 Stunden reichen, Kranken- und Sozialversicherungen müssten erleichtert werden, sind Minimalforderungen. Das alles erinnert an die negative Entwicklung der Teilzeitarbeit, die sich zunehmend als Sackgasse erweist.
Laut einer Studie des gewerkschaftlichen Hugo Sinzheimer Instituts gibt es derzeit „eine regelrechte Welle, solche Arbeitsformen in den Unternehmen zu etablieren“. Daimler will komplexe Themen durch ein Fünftel aller Beschäftigten in Schwarmorganisationen einarbeiten lassen. Airbus, BMW und VW arbeiten mit externen Crowdworking- Anbietern. Vor allem Softwareunternehmen holen sich über Crowd-Plattformen Unterstützung zum Training ihrer Künstlichen Intelligenz.
Aber ausgerechnet intelligente Algorithmen könnten längerfristig Crowdworing konkurrieren. Ist diese doch vor allem für monotone, kleinteilige Arbeiten konzipiert.
Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“