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Eine Ära geht zu Ende

  • Dienstag, 17. April 2018 @ 16:06
Meinung
Rudolf Gabriel zum Thema Pflege

Das Risiko pflegebedürftig zu werden hat sich von einem Randphänomen zu einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung entwickelt. Die öffentlichen Ausgaben für Pflegeleistungen sind zu fast hundert Prozent budgetfinanziert. Die von den Sozialversicherungen übernommenen Kosten betrugen laut Statistik Austria 2016 nur 4,013 Mrd. Euro oder 36,2 Prozent aller budgetfinanzierten Gesundheitsausgaben. Die öffentlichen Leistungen sind eine Kombination von Geld- und Sachleistungen.

2012 wurde die Pflegegeldleistung völlig in Bundeskompetenz übernommen, die Vergaberegeln vereinheitlicht und sieben Pflegestufen festgelegt. Durch diese Kompetenzentflechtung wird seither getrennt in Geldleistungen durch den Bund und Sachleistungen durch die Länder, die zusätzlich mit Geldleistungen des Bundes bezuschusst sind.

Das Pflegegeld

2012 wurde das Pflegegeld beim Bund konzentriert. Zweck desselben ist „pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen.“

Die Pflegegeldstufen 1 und 2 wurden aus präventiven Überlegungen eingeführt. Damit soll auch Personen mit leichtem Pflegebedarf, die hauptsächlich durch pflegende Angehörige betreut werden, eine Geldleistung zukommen. An die Pflegegeldeinstufung geknüpft sind Weiter- und Selbstversicherung pflegender Angehöriger oder Zusatzbeiträge für Mitversicherung bei Krankenkassen.

Ende 2016 waren 455.354 Pflegegeldbezieher_innen anspruchsberechtigt, somit bezogen 5,2 Prozent der Bevölkerung Pflegegeld. Etwa 50 Prozent der Bezieher_innen waren den Pflegestufen 1 und 2 zugeordnet. 81 Prozent befanden sich in der Altersgruppe 60plus, knapp 60 Prozent in der Altersgruppe 80plus. Der Pflegegeldaufwand inklusive Verwaltungskosten hat sich seit 1994 beinahe verdoppelt und betrug 2016 knapp 2,6 Mrd. Euro, davon etwa 25 Prozent für die Pflegestufen 1 und 2.

Die 24-Stunden-Betreuung

Seit 2007 fördert das Sozialministerium gemeinsam mit den Ländern die 24-Stunden-Betreuung. 2016 wurde die Vereinbarung zwischen dem Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung der 24-Stunden-Betreuung bis 2021 verlängert.

Dabei werden 60 Prozent der Ausgaben vom Bund und 40 Prozent von den Ländern bedeckt. Beabsichtigt wird der Verbleib der zu Pflegenden im gewohnten Umfeld zu Hause und die weitere Teilnahme der Angehörigen am Arbeitsprozess. Die Betreuung von betreuungsbedürftigen Personen in privaten Haushalten kann im Rahmen einer selbstständigen oder unselbstständigen Erwerbstätigkeit erfolgen.

Gefördert werden Personen ab Pflegestufe 3 mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 2.500 Euro, die den Bedarf einer Betreuung rund um die Uhr nachweisen können. Die Anstellung unselbstständiger Betreuerinnen wird mit 550 bis 1.100 Euro, Vertragsverhältnisse mit selbstständigen Betreuungskräften mit 275 bis 550 Euro jeweils zwölfmal im Jahr gefördert. 2016 war bei 23.837 geförderten Personen mit 24-Stunden-Betreuung eine Zunahme um 8,6 Prozent gegenüber 2015 zu verzeichnen, von Bund und Ländern wurden insgesamt 150 Mio. Euro Fördermittel ausbezahlt.

Pflegeregress abgeschafft

Seit 2018 ist kein Rückgriff auf Bargeld, Immobilienbesitz und andere Vermögenswerte als Kostenersatz für stationäre Pflegedienstleistungen mehr möglich. Für die Langzeitpflege in Heimen können Länder und Gemeinden nur mehr auf Pensionen abzüglich Taschengeld sowie Pflegegeld, bei einkommenslosen Pflegefällen auf 30 Prozent des Partnereinkommens zugreifen.

Um einer Minderung des Erbes zu entgehen wurden bislang für die Pflege zu Hause vielfach „günstige“ Kräfte engagiert. Die Kosten von 1.500 bis 2.500 Euro im Monat für eine 24-Stunden-Pflege sind weit billiger als die Pflege in öffentlichen Pflegeeinrichtungen. Ländern und Gemeinden fehlt jetzt aber das Geld aus den Zugriffen auf das private Vermögen, zudem gibt es verstärkt Anmeldungen für Pflegeeinrichtungen. Der Bund will als Ersatz nur 100 Mio. Euro leisten, Länder und Gemeinden fordern hingegen 530 bis 650 Mio. Euro.

Alternativen sind Gebot der Stunde

Die fast 100-prozentig budgetfinanzierte Grundlage der Pflege wird an die Grenzen stoßen. Es ist damit zu rechnen, dass bald die Debatte über Leistungseinschränkungen für pflegebedürftige Personen auf uns zukommen wird, wenn keine neuen Einkommensquellen erschlossen werden. Eine Umverteilung von produktiven und gesellschaftlichen Reichtum hin zur Daseinsvorsorge für die Bürger_innen ist die unbedingte Notwendigkeit und wäre den Anforderungen aus der Bevölkerungsentwicklung angemessen.

Es wird Zeit das Budget von diesem enorm steigenden Kostenfaktor zu entlasten. Die Schaffung eines öffentlichen und umlagefinanzierten Pflegeversicherungsmodells auf Basis einer an der Produktivität gemessenen Beitragsgrundlage wäre ein möglicher Weg. In Italien wurde eine geringe Wertschöpfungsabgabe bereits 1999 eingeführt. Und ein angemessener Beitrag der kapitalintensiven Branchen zur öffentlichen Pflegevorsorge ist längst überfällig.

Rudolf Gabriel ist Arzt in Eisenstadt