Wird Widerstand ausgeblendet?
- Samstag, 24. Februar 2018 @ 15:04
Manfred Mugrauer zum Jahrestag des „Anschlusses“
Kaum war die schwarz-blaue Koalitionsregierung angelobt, wurde durch die Liederbuchaffäre rund um die Wiener Neustädter Burschenschaft Germania deutlich, dass nationalsozialistisches und antisemitisches Gedankengut im Umfeld der FPÖ nichts an Bedeutung eingebüßt hat. Damit gewinnt das Gedenkjahr 2018 – angesichts der Regierungsbeteiligung der FPÖ – eine erhöhte Brisanz.
Aufruf zum Widerstand
Der so genannte „Anschluss“ im März 1938 war eine Verschränkung von drei Vorgängen: 1. die militärische Besetzung Österreichs durch die deutsche Wehrmacht am 12. März 1938; 2. der politische Umsturz im Inneren, also die Machtübernahme der Nazis in Österreich selbst; und 3. die eigentliche Annexion, also die administrative Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich am 13. März 1938.
Es ist eine bleibende historische Leistung der KPÖ, dass die Parteiführung im Prager Exil bereits am Morgen des 12. März 1938 einen Aufruf an die österreichische Bevölkerung beschloss, in dem die Parole des aktiven Widerstands ausgegeben wurde. Propagiert wurden hierin die Beseitigung der deutschen Fremdherrschaft und die Wiedererrichtung eines freien, unabhängigen Österreich. Die KPÖ war damit die einzige Stimme, die im März 1938 nicht in Jubel, Begeisterung oder Resignation verfiel. Kritisch ist festzuhalten, dass sich im Aufruf der KPÖ keine Hinweise finden auf die damalige Anschlussbegeisterung. Auch in der Exilpropaganda wurde ein Bild entwickelt, dass es sich beim „Anschluss“ allein um einen militärischen Eroberungsfeldzug gegen eine vorwiegend feindlich eingestellte Bevölkerung gehandelt habe.
Funktionswandel der Opferthese
Im Mittelpunkt heutiger Debatten über den „Anschluss“ im März 1938 steht die so genannte „Opferthese“. Ihr Hauptzweck bestand zunächst in der Selbstdarstellung Österreichs ausschließlich unter dem Gesichtspunkt als „erstes Opfer“ Deutschlands. Sie wurde zur „Lebenslüge“ der Zweiten Republik, um die Auseinandersetzung mit der Mitverantwortung Österreichs und der ÖsterreicherInnen zu blockieren.
Demgegenüber waren die Mitschuld Österreichs am Krieg, die Beteiligung der männlichen Bevölkerung an den Feldzügen der Wehrmacht und der Anteil von ÖsterreicherInnen an den nationalsozialistischen Verbrechen kein Thema. Kaum problematisiert wurde auch die Involvierung breiter Teile der Bevölkerung in den Nationalsozialismus, etwa im Zusammenhang mit Arisierungen und dem Einsatz ausländischer ZwangsarbeiterInnen in Österreich.
Im Zuge des Kalten Krieges unterlag die „Opferthese“ einem Funktionswandel: Ging es zunächst darum, Österreich als Opfer der deutschen Aggression und die österreichischen Verfolgten der NS-Repressionen zu betonen, wurde der antifaschistische Grundkonsens des Jahres 1945 durch einen antikommunistischen Konsens abgelöst. WiderstandskämpferInnen wurden ausgegrenzt, im Gegenzug wurden ehemalige NationalsozialistInnen zu betrogenen Opfer einer dunklen und unseligen Zeit erklärt. Der Opferdiskurs wurde damit auf die österreichischen Kriegsgefangenen, die Bombenopfer usw. ausgedehnt.
Erosion der Opferthese
Im Zuge der Debatte über die Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim im Präsidentschaftswahlkampf 1986 geriet die Opferthese ins Wanken. Seit diesem Zeitpunkt kann man über die NS-Zeit nicht mehr sprechen, ohne auf die Mitverantwortung Hunderttausender ÖsterreicherInnen an den NS-Verbrechen einzugehen. Dieser Paradigmenwechsel hatte jedoch Übertreibungen in eine andere Richtung zur Folge.
In vielen Darstellungen über die NS-Zeit gewinnt man heute den Eindruck, als wären die ÖsterreicherInnen die „besseren“ Nazis und überproportional an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen. HistorikerInnen sprechen vor diesem Hintergrund sogar von einem neuen „Tätermythos“. Was in einem solchen Opfer-Täter-Diskurs nicht mehr vorkommt, ist der antifaschistische Widerstand. Es entsteht damit die paradoxe Situation, dass mit der Erosion der Opferthese der Widerstand mehr und mehr aus dem kollektiven Gedächtnis und öffentlichen Diskurs verschwindet.
Zu Recht wird beim heutigen Gedenken an den März 1938 die Tatsache hervorgehoben, dass Hunderttausende ÖsterreicherInnen den „Anschluss“ begrüßten und auch von ihm profitierten. Gleichermaßen bleibt es eine wesentliche Aufgabe fortschrittlicher Geschichtspolitik, die ohnehin schwachen Traditionen des antifaschistischen Widerstands nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Manfred Mugrauer ist Historiker und wissenschaftlicher Sekretär der Alfred Klahr Gesellschaft
Kaum war die schwarz-blaue Koalitionsregierung angelobt, wurde durch die Liederbuchaffäre rund um die Wiener Neustädter Burschenschaft Germania deutlich, dass nationalsozialistisches und antisemitisches Gedankengut im Umfeld der FPÖ nichts an Bedeutung eingebüßt hat. Damit gewinnt das Gedenkjahr 2018 – angesichts der Regierungsbeteiligung der FPÖ – eine erhöhte Brisanz.
Aufruf zum Widerstand
Der so genannte „Anschluss“ im März 1938 war eine Verschränkung von drei Vorgängen: 1. die militärische Besetzung Österreichs durch die deutsche Wehrmacht am 12. März 1938; 2. der politische Umsturz im Inneren, also die Machtübernahme der Nazis in Österreich selbst; und 3. die eigentliche Annexion, also die administrative Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich am 13. März 1938.
Es ist eine bleibende historische Leistung der KPÖ, dass die Parteiführung im Prager Exil bereits am Morgen des 12. März 1938 einen Aufruf an die österreichische Bevölkerung beschloss, in dem die Parole des aktiven Widerstands ausgegeben wurde. Propagiert wurden hierin die Beseitigung der deutschen Fremdherrschaft und die Wiedererrichtung eines freien, unabhängigen Österreich. Die KPÖ war damit die einzige Stimme, die im März 1938 nicht in Jubel, Begeisterung oder Resignation verfiel. Kritisch ist festzuhalten, dass sich im Aufruf der KPÖ keine Hinweise finden auf die damalige Anschlussbegeisterung. Auch in der Exilpropaganda wurde ein Bild entwickelt, dass es sich beim „Anschluss“ allein um einen militärischen Eroberungsfeldzug gegen eine vorwiegend feindlich eingestellte Bevölkerung gehandelt habe.
Funktionswandel der Opferthese
Im Mittelpunkt heutiger Debatten über den „Anschluss“ im März 1938 steht die so genannte „Opferthese“. Ihr Hauptzweck bestand zunächst in der Selbstdarstellung Österreichs ausschließlich unter dem Gesichtspunkt als „erstes Opfer“ Deutschlands. Sie wurde zur „Lebenslüge“ der Zweiten Republik, um die Auseinandersetzung mit der Mitverantwortung Österreichs und der ÖsterreicherInnen zu blockieren.
Demgegenüber waren die Mitschuld Österreichs am Krieg, die Beteiligung der männlichen Bevölkerung an den Feldzügen der Wehrmacht und der Anteil von ÖsterreicherInnen an den nationalsozialistischen Verbrechen kein Thema. Kaum problematisiert wurde auch die Involvierung breiter Teile der Bevölkerung in den Nationalsozialismus, etwa im Zusammenhang mit Arisierungen und dem Einsatz ausländischer ZwangsarbeiterInnen in Österreich.
Im Zuge des Kalten Krieges unterlag die „Opferthese“ einem Funktionswandel: Ging es zunächst darum, Österreich als Opfer der deutschen Aggression und die österreichischen Verfolgten der NS-Repressionen zu betonen, wurde der antifaschistische Grundkonsens des Jahres 1945 durch einen antikommunistischen Konsens abgelöst. WiderstandskämpferInnen wurden ausgegrenzt, im Gegenzug wurden ehemalige NationalsozialistInnen zu betrogenen Opfer einer dunklen und unseligen Zeit erklärt. Der Opferdiskurs wurde damit auf die österreichischen Kriegsgefangenen, die Bombenopfer usw. ausgedehnt.
Erosion der Opferthese
Im Zuge der Debatte über die Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim im Präsidentschaftswahlkampf 1986 geriet die Opferthese ins Wanken. Seit diesem Zeitpunkt kann man über die NS-Zeit nicht mehr sprechen, ohne auf die Mitverantwortung Hunderttausender ÖsterreicherInnen an den NS-Verbrechen einzugehen. Dieser Paradigmenwechsel hatte jedoch Übertreibungen in eine andere Richtung zur Folge.
In vielen Darstellungen über die NS-Zeit gewinnt man heute den Eindruck, als wären die ÖsterreicherInnen die „besseren“ Nazis und überproportional an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen. HistorikerInnen sprechen vor diesem Hintergrund sogar von einem neuen „Tätermythos“. Was in einem solchen Opfer-Täter-Diskurs nicht mehr vorkommt, ist der antifaschistische Widerstand. Es entsteht damit die paradoxe Situation, dass mit der Erosion der Opferthese der Widerstand mehr und mehr aus dem kollektiven Gedächtnis und öffentlichen Diskurs verschwindet.
Zu Recht wird beim heutigen Gedenken an den März 1938 die Tatsache hervorgehoben, dass Hunderttausende ÖsterreicherInnen den „Anschluss“ begrüßten und auch von ihm profitierten. Gleichermaßen bleibt es eine wesentliche Aufgabe fortschrittlicher Geschichtspolitik, die ohnehin schwachen Traditionen des antifaschistischen Widerstands nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Manfred Mugrauer ist Historiker und wissenschaftlicher Sekretär der Alfred Klahr Gesellschaft