Vom Zwang zur Lohnarbeit lösen
- Donnerstag, 13. Juli 2017 @ 11:39
Karl Reitter über ein bedingungsloses, garantiertes Grundeinkommen
Worüber sprechen wir, wenn wir über das Grundeinkommen diskutieren? Es geht um eine regelmäßige Geldzuwendung, die nach vier Kriterien ausbezahlt werden soll: Das Grundeinkommen soll personenbezogen, individuell, existenzsichernd und bedingungslos sein. So wie es gesagt wird, ist es auch gemeint. Ein gewaltiger Unterschied zu andern Formen von Sozialtransfers fällt sofort ins Auge: Das BGE vermeidet die so genannte Armutsfalle. Diese besteht darin, dass jegliche Einkünfte, und seien sie noch so bescheiden, mit Sozialtransfers gegengerechnet und davon abgezogen werden.
Aber der eigentliche Zweck des BGE ist nicht primär die Vermeidung von Armut, obwohl sie leider höchst aktuell ist. Es geht darum, den Zwang zur Lohn- und Erwerbsarbeit massiv zu relativieren. Wenn wir an der Perspektive des Kommunismus festhalten, dann muss die Abschaffung der Lohnarbeit ein unaufgebbares Ziel sein. Ihre Relativierung wäre der erste Schritt. Marx hat das immer wieder unmissverständlich ausgesprochen. „Statt des konservativen Mottos: Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!, sollte sie [die ArbeiterInnenbewegung K.R.] auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: Nieder mit dem Lohnsystem!“
Und Marx setzt hinzu: „Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“
Damit soll weder der Kampf um höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen als vernachlässigbar oder unwichtig erklärt werden, das war weder die Position von Marx noch jene der BefürworterInnen des BGE. Das BGE eröffnet eine doppelte Perspektive: Die Überwindung der Existenzangst erleichtert den alltäglichen Kampf um die Verbesserungen in der Lohnarbeit, zugleich stellt das BGE die Grund- und Basisinstitution des Kapitalismus in Frage.
Das BGE ist auch, entgegen anderslautenden Gerüchten, keineswegs an den Kapitalismus gebunden. Das Prinzip, eine egalitäre, nachhaltige Verteilung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums an alle, muss um so mehr für eine kommunistische Gesellschaft gelten. Der Einwand, das BGE würde tendenziell einen neoliberalen Abbau des Sozialstaates ermöglichen, ist nicht korrekt. Und zwar aus folgenden Gründen:
1. Ein echtes BGE erfordert in etwa 25 bis 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist in der Tat eine gewaltige Summe, die wahrlich nicht einfach zu finanzieren ist. Allein aus einer Erhöhung der Mehrwertsteuer oder aus den Lohnsteuern kann ein BGE nie und nimmer finanziert werden. Bitte einfach nachrechnen!
2. Die Alternative, die aktuellen Sozialausgaben entweder für das jetzige Sozialsystem oder für ein sehr schlankes BGE auszugeben, stellt sich so nicht. Denn sollten die gegenwärtigen Sozialversicherungen (Unfall, Kranken, Arbeitslosigkeit, Pension) gestrichen werden, so fallen klarerweise auch die Einnahmen weg. Aus den derzeitig 80 Milliarden pro Jahr würden dann nur 28 Milliarden. Diese Summe egalitär umverteilt ergäbe ein Pseudogrundeinkommen von etwa 275 Euro monatlich. Bei dieser Höhe hätte sich der Staat noch keinen Cent Sozialtransfers erspart, obwohl sämtliche Sozialausgaben gestrichen wären.
3. Ideologisch wendet sich die überwiegende Mehrzahl der neoliberalen Vordenker strikt gegen ein Grundeinkommen; bitte bei der Bundeswirtschaftskammer oder der Industriellenvereinigung nachfragen. Praktisch geht der Umbau des alten Sozialstaates einerseits mit einer Absenkung der Transferleistungen und andererseits mit immer höheren Auflagen und Bedingungen für den Bezug einher.
Die neoliberalen Intentionen sind unmittelbar gegen die Orientierung der Existenzsicherung und der Bedingungslosigkeit gerichtet. Das BGE ist auch nicht einfach ein Konsumgeld, wie behauptet wird, sondern ermöglicht es, selbstbestimmt jenseits von Markt- und Verwertungszwängen tätig zu sein. Genau das will der Neoliberalismus verhindern, alles und jedes soll nach privatkapitalistischen Prinzipien laufen.
Zum Abschluss noch eine einfache Frage: Natürlich kann ein eingeführtes BGE auch Nachteile mit sich bringen. Aber – und das ist die Frage – welche Forderung kann das nicht? Gibt es überhaupt eine Perspektive, die ausschließlich positive, emanzipatorische Effekte haben muss? Können etwa Lohnerhöhungen nicht zur weiterer Spaltung der ArbeiterInnenklasse beitragen? Kann eine „Belebung der Wirtschaft“ nicht auch ökologisch katastrophale Folgen zeitigen? Usw. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass so manche linke KritikerInnen des BGE mit zweierlei Maß messen.
Karl Reitter ist Lektor für Sozialphilosophie an der Universität Wien
Worüber sprechen wir, wenn wir über das Grundeinkommen diskutieren? Es geht um eine regelmäßige Geldzuwendung, die nach vier Kriterien ausbezahlt werden soll: Das Grundeinkommen soll personenbezogen, individuell, existenzsichernd und bedingungslos sein. So wie es gesagt wird, ist es auch gemeint. Ein gewaltiger Unterschied zu andern Formen von Sozialtransfers fällt sofort ins Auge: Das BGE vermeidet die so genannte Armutsfalle. Diese besteht darin, dass jegliche Einkünfte, und seien sie noch so bescheiden, mit Sozialtransfers gegengerechnet und davon abgezogen werden.
Aber der eigentliche Zweck des BGE ist nicht primär die Vermeidung von Armut, obwohl sie leider höchst aktuell ist. Es geht darum, den Zwang zur Lohn- und Erwerbsarbeit massiv zu relativieren. Wenn wir an der Perspektive des Kommunismus festhalten, dann muss die Abschaffung der Lohnarbeit ein unaufgebbares Ziel sein. Ihre Relativierung wäre der erste Schritt. Marx hat das immer wieder unmissverständlich ausgesprochen. „Statt des konservativen Mottos: Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!, sollte sie [die ArbeiterInnenbewegung K.R.] auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: Nieder mit dem Lohnsystem!“
Und Marx setzt hinzu: „Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“
Damit soll weder der Kampf um höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen als vernachlässigbar oder unwichtig erklärt werden, das war weder die Position von Marx noch jene der BefürworterInnen des BGE. Das BGE eröffnet eine doppelte Perspektive: Die Überwindung der Existenzangst erleichtert den alltäglichen Kampf um die Verbesserungen in der Lohnarbeit, zugleich stellt das BGE die Grund- und Basisinstitution des Kapitalismus in Frage.
Das BGE ist auch, entgegen anderslautenden Gerüchten, keineswegs an den Kapitalismus gebunden. Das Prinzip, eine egalitäre, nachhaltige Verteilung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums an alle, muss um so mehr für eine kommunistische Gesellschaft gelten. Der Einwand, das BGE würde tendenziell einen neoliberalen Abbau des Sozialstaates ermöglichen, ist nicht korrekt. Und zwar aus folgenden Gründen:
1. Ein echtes BGE erfordert in etwa 25 bis 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist in der Tat eine gewaltige Summe, die wahrlich nicht einfach zu finanzieren ist. Allein aus einer Erhöhung der Mehrwertsteuer oder aus den Lohnsteuern kann ein BGE nie und nimmer finanziert werden. Bitte einfach nachrechnen!
2. Die Alternative, die aktuellen Sozialausgaben entweder für das jetzige Sozialsystem oder für ein sehr schlankes BGE auszugeben, stellt sich so nicht. Denn sollten die gegenwärtigen Sozialversicherungen (Unfall, Kranken, Arbeitslosigkeit, Pension) gestrichen werden, so fallen klarerweise auch die Einnahmen weg. Aus den derzeitig 80 Milliarden pro Jahr würden dann nur 28 Milliarden. Diese Summe egalitär umverteilt ergäbe ein Pseudogrundeinkommen von etwa 275 Euro monatlich. Bei dieser Höhe hätte sich der Staat noch keinen Cent Sozialtransfers erspart, obwohl sämtliche Sozialausgaben gestrichen wären.
3. Ideologisch wendet sich die überwiegende Mehrzahl der neoliberalen Vordenker strikt gegen ein Grundeinkommen; bitte bei der Bundeswirtschaftskammer oder der Industriellenvereinigung nachfragen. Praktisch geht der Umbau des alten Sozialstaates einerseits mit einer Absenkung der Transferleistungen und andererseits mit immer höheren Auflagen und Bedingungen für den Bezug einher.
Die neoliberalen Intentionen sind unmittelbar gegen die Orientierung der Existenzsicherung und der Bedingungslosigkeit gerichtet. Das BGE ist auch nicht einfach ein Konsumgeld, wie behauptet wird, sondern ermöglicht es, selbstbestimmt jenseits von Markt- und Verwertungszwängen tätig zu sein. Genau das will der Neoliberalismus verhindern, alles und jedes soll nach privatkapitalistischen Prinzipien laufen.
Zum Abschluss noch eine einfache Frage: Natürlich kann ein eingeführtes BGE auch Nachteile mit sich bringen. Aber – und das ist die Frage – welche Forderung kann das nicht? Gibt es überhaupt eine Perspektive, die ausschließlich positive, emanzipatorische Effekte haben muss? Können etwa Lohnerhöhungen nicht zur weiterer Spaltung der ArbeiterInnenklasse beitragen? Kann eine „Belebung der Wirtschaft“ nicht auch ökologisch katastrophale Folgen zeitigen? Usw. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass so manche linke KritikerInnen des BGE mit zweierlei Maß messen.
Karl Reitter ist Lektor für Sozialphilosophie an der Universität Wien