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Alles Gute zum 70er?!

  • Montag, 17. April 2017 @ 13:58
Geschichte
Thomas Erlach über Kollektivverträge

Am 27. Februar 1947 trat das Kollektivvertragsgesetz in Kraft. Ob diese 70 Jahre eine Erfolgsgeschichte sind, ist fraglich. So kritisierte Bundeskanzler Kern die niedrigen KV-Löhne, forderte einen Mindestlohn von 1.500 Euro per Generalkollektivvertrag. Er stellte den Sozialpartnern ein Ultimatum per Ende Juni 2017, sonst soll ein Mindestlohn gesetzlich geregelt werden. Kollektivverträge gibt es weltweit, allerdings mit großen Unterschieden. So liegt etwa in Deutschland die Tarifabdeckung bei ca. 40 Prozent, in Österreich bei 97 Prozent. Einer der großen Errungenschaften in Österreich ist die Satzung von Kollektivverträgen. Diese werden damit in Gesetzesrang erhoben und gelten für die betreffende Branche. Auch für jene Unternehmen, die nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband sind. Diese Möglichkeit gibt es in Deutschland nicht, wo immer mehr Arbeitgeber aus ihren Verbänden austreten und aus den Tarifverträgen flüchten.

Kollektivverträge sind ein Instrument der Umverteilung. In den Aufbaujahren nach 1945 ermöglichten sie einen stetigen Anstieg der Arbeitseinkommen. In den 1960er Jahren gab der damalige ÖGB-Präsident die „Benya-Formel“ als Richtlinie aus. Zusätzlich zur Inflationsabgeltung sollte ein Teil des Produktivitätszuwachses abgegolten werden. Von den steigenden Gewinnen sollte ein Teil auch jenen zukommen, die dies mit ihrer Arbeitskraft ermöglicht hatten. So gelten heute die 1970er Jahre als eine „Goldene Zeit“ mit beinahe Vollbeschäftigung und einem bescheidenen Wohlstand für die meisten ArbeitnehmerInnen.

In den 1980er Jahren wurde aber der neoliberale Kapitalismus zur Leitidee der politischen Machthaber Europas und der USA und begann sich global zu organisieren. Die ArbeitnehmerInnen spürten diese Entwicklung durch die Verlagerung von Produktionsbetrieben nach Asien und steigende Arbeitslosigkeit.

Obwohl volkswirtschaftlich bedenklich, wurden die Demontage des Sozialstaates und schlechtere Lohn- und Arbeitsbedingungen zum politischen Dogma. Trotz stetig steigender Gewinne der Unternehmen begannen die Löhne zu stagnieren. Seit 2000 sprechen wir sogar von Reallohnverlusten. Die Nettolohnquote sank in den letzten 30 Jahren von 67 auf 60 Prozent.

Die Kollektivverträge werden von den Sozialpartnern verhandelt. Für ÖGB und Wirtschaftskammer gilt laut Eigendefinition Konsenspolitik. Offene Konflikte sollen eingedämmt werden. Demnach sind Ergebnisse von KV-Verhandlungen Kompromisse, bei denen keine Verhandlungspartei ihre Forderungen in vollem Umfang durchsetzt. Gleichzeitig entfremdet dieses Setting die Gewerkschaftsmitglieder von FunktionärInnen und Apparat.

KV-Abschlüsse werden zur konsumierbaren Dienstleistung der Gewerkschaften. Das Bewusstsein, dass wir als Mitglieder gefordert sind für unsere Rechte einzutreten, ist beinahe ausgestorben. Demonstrationen finden, wenn überhaupt, als Staffage im Zuge von KV-Verhandlungen statt, große gemeinsame Arbeitskämpfe gibt es aber nicht mehr. Die durchschnittliche Streikdauer wird in Sekunden gemessen. Die Sozialpartnerschaft steht für faule Kompromisse zu Lasten der Beschäftigten und Lähmung der Gewerkschaftsbewegung.

Bis in die 1970er Jahre waren trotz solcher Kompromisse Einkommenszuwächse und Verbesserung bei den Rahmenbedingungen möglich. Es wurde aber darauf verzichtet, das zu holen, was uns zugestanden wäre. Spätestens seit der globalen Epidemie des neoliberalen Kapitalismus ab den 1980er Jahren sind Kompromisse auf KV-Ebene untauglich geworden.

Erschwert durch die Möglichkeit in Kollektivverträgen schlechtere Regelungen zu treffen als gesetzlich festgelegt ist, verkommen KV-Verhandlungen zur Tauschbörse, bei der erkämpfte Rechte gegen Inflationsabgeltung eingetauscht werden. So wird das Arbeitszeitgesetz auf KV-Ebene ausgehöhlt und die Sozialpartner derzeit über die Wiedereinführung des 12-Stunden-Tages verhandeln. Eine Abgeltung der jährlich steigenden Produktivität wird von den Gewerkschaften nicht mehr verfolgt.

Eine neue KV-Strategie ist überfällig. Der ÖGB muss sich darauf besinnen, dass er eine Kampforganisation ist, die seine Mitglieder mobilisieren kann. Wenn wir mehr wollen, als faule Kompromisse, brauchen wir Kampfmaßnahmen, Streik inklusive. Es geht um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Der Druck auf die Beschäftigten ist groß. Sich gegenseitig sozialpartnerschaftlich tot zu kuscheln ist daher nicht zielführend.

Die Gewinnausschüttungen der Unternehmen sind laut Arbeiterkammer 2016/17 weiter gestiegen. Für eine Umverteilung nach unten ist Geld vorhanden. Verhandlungen unter den bisherigen Prämissen heißt allerdings Umverteilung nach oben.

Daher muss der ÖGB neu durchstarten. KV-Verhandlungen unter Mitwirkung der Mitglieder würden zu Politisierung und Mobilisierung an der Basis führen und die Gewerkschaftsbewegung für Arbeitskämpfe stärken. Die Abgeltung des Produktivitätszuwachses muss sich zusätzlich zur Inflationsabgeltung wieder in den Abschlüssen wiederfinden.

Thomas Erlach ist Praxeologe und Betriebsratsvorsitzender von EXIT-sozial Linz und AK-Rat des GLB in Oberösterreich