Buchtipp: Europa am Scheideweg
- Mittwoch, 4. Juli 2012 @ 12:44
Der Ruf nach mehr Wirtschaftsdemokratie, nach einer Renaissance politischer Gestaltungsmöglichkeiten der marktwirtschaftlichen Prozesse, hat unter dem Leidensdruck der mehr als drei Jahrzehnte andauernden Vorherrschaft marktradikalen und neoliberalen Denkens zugenommen.
Die aktuelle Finanzmarktkrise lässt diese Auseinandersetzung zunehmend in eine Entscheidung über die Zukunft unserer europäischen Gesellschaften gipfeln.
Zwei entgegengesetzte Perspektiven stehen offen: Entweder wir überlassen die Steuerung unserer politischen Systeme einer autoritären Finanzmarkt-Technokratie, die sich in ihrem Handeln (zunächst noch) auf demokratieentleerte staatliche Institutionen stützt oder wir entscheiden uns für eine radikale demokratische Wende, in der wieder das politisch-demokratische Gemeinwesen darüber entscheidet, welchen Spielregeln die Märkte zu unterliegen haben. Ist es bereits zu spät für eine demokratische Alternative zur endgültigen Unterwerfung unter die Sachzwang-Ideologie der Marktpropheten? Ist Griechenland das soziale Labor für die soziale Zukunft Europas? Soweit die Selbstdarstellung, soweit so gut.
In der Theorie wäre soweit eigentlich alles klar, der Handlungsbedarf offengelegt. Weil aber die politische Praxis von Gewerkschaften hinter solchen Erkenntnissen herhinkt, ordnen sich diese letztlich viel zu oft wieder den Sachzwängen unter. Das fällt etwa dann auf, wenn ÖGB und AK eine Konferenz mit BetriebsrätInnen zum Belastungspaket der Regierung veranstalten und dort die SpitzenfunktionärInnen heftig gegen eine Sanierung auf Kosten der Lohnabhängigen wettern, die GewerkschaftsvertreterInnen im Parlament dann aber sich dem Fraktionszwang unterwerfen und brav die Hand zu den unsozialen Plänen von Faymann und Spindelegger heben.
Ähnlich beim Fiskalpakt: Weil es sich dabei doch ziemlich spießt, flüchtet die Sozialdemokratie in die Behübschung durch Wachstum. Stephan Schulmeister bezeichnet die Versuche den Fiskalpakt mit Wachstumsmaßnahmen zu behübschen, zu Recht als Placebo und meint „Entweder man bremst oder steigt aufs Gas - beides geht nicht.“
Es ist ein Verdienst des vorliegenden Sammelbandes, sowohl den Weg in diese fundamentale Systemkrise des neoliberalen Marktmodells als auch Markierungspunkte einer demokratischen Überwindung der nur scheinbar ausweglosen Situation zu beleuchten. Dass die gestandenen „GewerkschaftspraktikerInnen“ einmal mehr geflissentlich ignorieren werden, was manche „GewerkschaftstheoretikerInnen“ durchaus erkannt haben, gehört zur arbeitsteiligen Praxis des ÖGB. Trotzdem kann es nicht schaden, das gelesen zu haben.
Europa am Scheideweg – Marktkonforme Demokratie oder demokratiekonformer Markt?“, Tagungsband des XIV. Forum Jägermayrhof. Herausgegeben von Sepp Wall-Strasser, Heinz Füreder, Gerhard Gstöttner-Hofer, Gerlinde Breiner und Manuela Hotz. Mit Beiträgen u.a. von Eva Angerler (Wien), Klaus Dörre (Jena), Wolfgang Hien (Hamburg), Brigitte Kratzwald (Graz), David Mum (Wien), Beat Ringger (Zürich), Oliver Röpke (Brüssel), Christos Triantafillou (Athen), Sepp Wall-Strasser (Linz), Bernhard Walpen (Luzern). ÖGB-Verlag, Wien 2012, 240 Seiten, 29,90 Euro
Die aktuelle Finanzmarktkrise lässt diese Auseinandersetzung zunehmend in eine Entscheidung über die Zukunft unserer europäischen Gesellschaften gipfeln.
Zwei entgegengesetzte Perspektiven stehen offen: Entweder wir überlassen die Steuerung unserer politischen Systeme einer autoritären Finanzmarkt-Technokratie, die sich in ihrem Handeln (zunächst noch) auf demokratieentleerte staatliche Institutionen stützt oder wir entscheiden uns für eine radikale demokratische Wende, in der wieder das politisch-demokratische Gemeinwesen darüber entscheidet, welchen Spielregeln die Märkte zu unterliegen haben. Ist es bereits zu spät für eine demokratische Alternative zur endgültigen Unterwerfung unter die Sachzwang-Ideologie der Marktpropheten? Ist Griechenland das soziale Labor für die soziale Zukunft Europas? Soweit die Selbstdarstellung, soweit so gut.
In der Theorie wäre soweit eigentlich alles klar, der Handlungsbedarf offengelegt. Weil aber die politische Praxis von Gewerkschaften hinter solchen Erkenntnissen herhinkt, ordnen sich diese letztlich viel zu oft wieder den Sachzwängen unter. Das fällt etwa dann auf, wenn ÖGB und AK eine Konferenz mit BetriebsrätInnen zum Belastungspaket der Regierung veranstalten und dort die SpitzenfunktionärInnen heftig gegen eine Sanierung auf Kosten der Lohnabhängigen wettern, die GewerkschaftsvertreterInnen im Parlament dann aber sich dem Fraktionszwang unterwerfen und brav die Hand zu den unsozialen Plänen von Faymann und Spindelegger heben.
Ähnlich beim Fiskalpakt: Weil es sich dabei doch ziemlich spießt, flüchtet die Sozialdemokratie in die Behübschung durch Wachstum. Stephan Schulmeister bezeichnet die Versuche den Fiskalpakt mit Wachstumsmaßnahmen zu behübschen, zu Recht als Placebo und meint „Entweder man bremst oder steigt aufs Gas - beides geht nicht.“
Es ist ein Verdienst des vorliegenden Sammelbandes, sowohl den Weg in diese fundamentale Systemkrise des neoliberalen Marktmodells als auch Markierungspunkte einer demokratischen Überwindung der nur scheinbar ausweglosen Situation zu beleuchten. Dass die gestandenen „GewerkschaftspraktikerInnen“ einmal mehr geflissentlich ignorieren werden, was manche „GewerkschaftstheoretikerInnen“ durchaus erkannt haben, gehört zur arbeitsteiligen Praxis des ÖGB. Trotzdem kann es nicht schaden, das gelesen zu haben.
Europa am Scheideweg – Marktkonforme Demokratie oder demokratiekonformer Markt?“, Tagungsband des XIV. Forum Jägermayrhof. Herausgegeben von Sepp Wall-Strasser, Heinz Füreder, Gerhard Gstöttner-Hofer, Gerlinde Breiner und Manuela Hotz. Mit Beiträgen u.a. von Eva Angerler (Wien), Klaus Dörre (Jena), Wolfgang Hien (Hamburg), Brigitte Kratzwald (Graz), David Mum (Wien), Beat Ringger (Zürich), Oliver Röpke (Brüssel), Christos Triantafillou (Athen), Sepp Wall-Strasser (Linz), Bernhard Walpen (Luzern). ÖGB-Verlag, Wien 2012, 240 Seiten, 29,90 Euro