Burnout – Systematischer Verschleiss von Menschen
- Dienstag, 12. Juni 2012 @ 11:20
Von Anne Rieger
„Psychische Erkrankungen - wie Burnout oder Depressionen - sind in den letzten Jahren dramatisch angestiegen. Sie stellen bereits für Frauen die häufigste und für Männer die zweithäufigste Ursache für Frühpensionierungen dar. Im vergangenen Jahr waren 2,4 Millionen Krankenstandstage auf psychischen Krankheiten zurückzuführen“, berichtet die NÖ Gebietskrankenkasse. Schauen wir in Unternehmen, Verwaltungen, Organisationen, Kliniken, sozialen, pädagogischen und anderen Einrichtungen. Überall erleben wir Menschen, die im und am Burnout leiden. Gusy u.a. sprechen von einem arbeitsbezogenen Syndrom. Als Syndrom wird eine Gruppe von gemeinsam auftretenden Krankheitszeichen bezeichnet.
Nach der von der WHO geltenden „Internationalen Klassifikation der Krankheiten“ (ICD-10) kann Burnout nicht als Krankheit diagnostiziert werden. Er gilt als Zustand physischer und psychischer Erschöpfung und fällt unter die Diagnosegruppe „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“. Anders als die Arbeitswissenschaftlern Gusy u.a. sieht die WHO die Ursache des Burnouts offensichtlich überwiegend beim Menschen nicht in den Arbeitsbedingungen.
Kein individuelles Problem
Ist Burnout also ein individuelles, persönlich verursachtes Problem von vielleicht besonders labilen Menschen? Bereits 2010 meldete die Ärztekammer eine halbe Millionen Menschen seien am Burnout Syndrom erkrankt. Bei so vielen Kranken muss es wohl andere Ursachen geben.
Hunderte Medien, TherapeutInnen, ÄrztInnen, Sanatorien, Gewerkschaften, Krankenkassen, Wissenschaftler, Angehörige, Beschäftigte, Unternehmen, Personalchefs, Betriebsräte beschäftigen sich mit dem Burnout betroffener Menschen. Der quantitative und qualitative Schwerpunkt liegt dabei auf der individuellen Ebene. Therapien zu Bewältigungsstrategien – teilweise verbunden mit dem Rat sich zu outen oder dem Rat den Arbeitsplatz zu verlassen – werden angeboten. Ein therapeutischen Wirtschaftsbereich ist entstanden. WissenschaftlerInnen erforschen individuelle Voraussetzungen oder Dispositionen. Persönlichkeitscharakteristika wie sogenanntes „Überengagement“ (wer nie gelodert hat, kann auch nicht ausbrennen) werden als Ursachen beschrieben. Einige diskutieren, ob es sich denn wirklich um eine Krankheit handele, andere ob es eine Form der Depression sei oder nicht. In Medien wird das Leiden der Menschen teilweise sogar als „Modekrankheit“ diffamiert.
Langfristig oder fortschrittlicher Denkende schlagen individuelle Prävention vor. Es werden Tipps veröffentlicht, wie man Warnsignale bei sich selber oder nahestehenden Personen möglichst frühzeitig identifizieren kann um gegen zusteuern, den Prozess des Ausbrennens möglichst frühzeitig zu stoppen. Häufig wird die Dualität von familiären, persönlichen Problemen in Verbindung mit den Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz als Ursache vermutet. Gerade Web-Seiten der Wirtschaftsverbände neigen dazu. Andere untersuchen, ob es bestimmte Berufsgruppen wie Dienstleistungs, Verwaltungs- oder helfende Berufe gibt, in denen sich die Gefahr des Burnouts verstärkt verbirgt. Von der Entfremdung von der Arbeit, von der Kluft zwischen Unternehmen und Person wird gesprochen. Selten wird über eine kollektive Prävention – also eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen - nachgedacht,w ie es die IG Metall in ihrer hervorragenden Broschüre tut .
Keiner dieser Herangehensweisen soll ihre Berechtigung abgesprochen werden. Die Menschen in Not brauchen sie. Aber fast alle Initiativen bleiben an der Ober-fläche, befassen sich lediglich mit den Erscheinungsformen, erfassen jeweils nur Teilaspekte. Kaum eine dringt zum Kern des Problems vor: den inhumanen Arbeitsbedingungen und -verhältnissen, wie sie dem Kapitalismus immanent sind.
Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen
Hohe Arbeitsintensität, lange und unplanbare Arbeitszeiten, bezahlte und unbe-zahlte Überstunden, Vertrauensarbeitszeiten, Schicht- und Nachtarbeit, Arbeits-platzunsicherheit, widersprüchliche Arbeitsaufgaben bzw. –aufträge, unklare Prioritätensetzung, geringe Qualifikationsmöglichkeiten, qualitative und/oder quantitative Über- bzw. Unterforderung, mangelnde Anerkennung und/oder Unterstützung, permanente Umstrukturierungen, ununterbrochene Ausdünnung der Belegschaften, schleichendes stückchenweises – unmittelbar kaum wahrnehmbares - Draufpacken zusätzliche Arbeitsaufgaben prägen den Arbeitsalltag der meisten Beschäftigten. Internet, E-Mails, Facebook, Twitter u.a., Handys, Smartphones ermöglichen den Unternehmern die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen, ja verschwinden zu lassen.
Mit den perfidesten Methoden wird immer mehr Output aus den Menschen ge-presst. Der Druck ist subtil. immer öfter werden sie indirekt gesteuert. Die Selbst-ständigkeit, der eigene Willen der Beschäftigten werden instrumentalisiert für den Unternehmenszweck. Sie sollen agieren wie Unternehmer. Mehr und mehr Verantwortung wird ihnen übertragen, ohne das sie wirklich Handlungs- und Entscheidungsfreiheit haben. Denn Rahmenbedingungen wie Termine, Kosten, Personal, Qualität legt die Unternehmensleitung fest. Dazu werden auch teilautonome Einheiten, Profitcenter und kleinere GmbHs organisiert. Der Taktgeber für die zur Verfügung gestellte Zeit für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe aber ist und bleibt der Unternehmer. Bezahlt wird nicht mehr nach Arbeitszeit. Was zählt, ist das Ergebnis, und Ergebnis ist nur ein anderes Wort für höheren Profit. Etwas anderes wird nicht geduldet.
Folge ist, dass immer mehr Arbeitsstunden in Projekte und Aufgaben gesteckt, nicht angeordnete, unbezahlte Überstunden erbracht werden. Weil das nicht reicht, um die Motivation der Beschäftigten anzutreiben, wird unverhohlen gedroht, nicht mehr in den Arbeits-, Betriebs- bzw. Unternehmensbereich zu investieren oder das Team/die Abteilung aufzulösen. Um die Konkurrenz untereinander anzustacheln, werden nicht nur Vergleichswerte als Referenzgrößen (Benchmarks) mit anderen Unternehmen angeführt, sondern auch mit anderen Werken, bereichen, Abteilungen, angeblich vergleichbaren Einheiten. Systematisch vergrößern die Unternehmer und andere Verantwortliche die Kluft zwischen vorgegebenen Zielen und Arbeitsaufgaben einerseits und deren Machbarkeit in der vorgegebenen Zeiteinheit andererseits. Wer da nicht mithalten kann, weiß, dass letztlich seine berufliche Existenz auf dem Spiel steht. Zukunftsangst hat in die einstmals relativ sichere Arbeitswelt genommen. Arbeitsplatzzerstörungen wie sie jetzt für 3000 Schlecker Frauen drohen führen durch die zunehmende Arbeitsplatzunsicherheit zu weiterem Stress.
Die Belastung in den Betrieben trifft fast alle. Sie kann ähnlich oder gleich sein, dieselbe schwierige laute Schulklasse, dasselbe Projektteam, dieselben Zielvor-gaben, und doch sind die Folgen nicht für jeden gleich. Man stelle sich eine Schubkarre vor: Ein großer, kräftiger Mensch bewegt sie mit Leichtigkeit, ein klei-ner wird die gleiche Last ungleich schwerer empfinden. Ähnlich ist es mit psychi-schen Belastungen. Der schlechte Führungsstil und die Probleme im Team führen bei einem/er KollegIn zu Stress, eine/n anderen scheint es weniger zu berühren. Keiner aber wird auf die Idee kommen, den kleineren Mann zu einer Einrichtung zu schicken, die ihn wachsen oder stärker werden lässt. Vielmehr wird entweder die Karre geringer beladen oder besser, er erhält eine mechanische oder motorische Hilfseinrichtung.
Burnout ist eine Antwort. Wenn Menschen die systematische Überlastung durch die Anforderungen am Arbeitsplatz individuell nicht überleben können, zwingt sie ihr Körper in den Prozess des Burnouts. Gusy u.a. beschreiben Burnout als „defensiven Umgang mit empfundenen Arbeitsbelastungen ... wenn berufliche Anforderungen die verfügbaren Ressourcen übersteigen“.
Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit
Wie im Brennglas wird im Burnout die verschärfte Ausbeutung der Menschen durch die Intensivierung der Arbeit im Arbeitsprozess sichtbar. Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist angeblich beendet. Die Beschäftigten aber sind dauerhaft in der Krise in Fabrikhallen, Werkstätten, Büros, Verwaltungen, Callcentern, For-schung- und Wissenschaftseinrichtungen, Sozialen und Pädagogischen Bereichen - auf allen Arbeitsplätzen gleichermaßen. Burnout kann jede/n treffen.
Keineswegs handelt sich um Kollateralschäden des betriebswirtschaftlichen Effi-zienzsystems. Leistungs- und Konkurrenzdruck sind keine leidige Folge von Ma-nagementmethoden, sie sind gewollt. Sie sind das System. Immer mehr Beschäf-tigte sind überfordert, leiden unter chronischer Ermüdung bis hin zum Burnout.
Hier vollzieht sich, was Marx die "dichtere Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit", d. h. wachsende Arbeitsintensität nannte, die „zugleich vergrößerte Arbeitsausgabe in derselben Zeit, erhöhte Anspannung der Arbeitskraft, dichtere Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit, d.h. Kondensation der Arbeit dem Arbeiter zu einem Grad aufzwingt, der nur innerhalb des verkürzten Arbeitstags erreichbar ist. Diese Zusammenpressung einer größren Masse Arbeit in eine gegebne Zeitperiode zählt jetzt als was sie ist, als größres Arbeitsquantum. Neben das Maß der Arbeitszeit als "ausgedehnter Größe" tritt jetzt das Maß ihres Verdichtungsgrads“ . Folge ist ein erhöhter Mehrwert und damit erhöhter Profit.
Werwolfs-Heißhunger der Kapitals
„In seinem maßlos blinden Trieb, seinem Werwolfs-Heißhunger nach Mehrarbeit, überrennt das Kapital nicht nur die moralischen, sondern auch die rein physischen Maximalschranken des Arbeitstags“ . Karl Marx schreib das 1867. Heute, 150 Jahre später, überrennt das Kapital in seinem maßlos blinden Trieb, seinem Werwolfs-Heißhunger die psychischen Grenzen der Intensivierung der Arbeit und des verlängerten Arbeitstag durch bezahlte und nicht bezahlte Überstunden und Flexibilisierung. Der systematische Verschleiß von menschlicher Arbeitskraft erhöht den Profit.
Der Beweis zeigt sich überall. So nimmt es nicht Wunder, dass Österreich in der EU an der Spitze, und weltweit auf Platz drei der Staaten steht, die eine beson-ders hohe Dichte an Superreichen aufweisen .
Anne Rieger, Dipl. Psychologin, hat als Arbeits- und Betriebspsychologin gearbeitet, ehem. Bevollmächtige der IG Metall, arbeitet in Graz für den GLB
„Psychische Erkrankungen - wie Burnout oder Depressionen - sind in den letzten Jahren dramatisch angestiegen. Sie stellen bereits für Frauen die häufigste und für Männer die zweithäufigste Ursache für Frühpensionierungen dar. Im vergangenen Jahr waren 2,4 Millionen Krankenstandstage auf psychischen Krankheiten zurückzuführen“, berichtet die NÖ Gebietskrankenkasse. Schauen wir in Unternehmen, Verwaltungen, Organisationen, Kliniken, sozialen, pädagogischen und anderen Einrichtungen. Überall erleben wir Menschen, die im und am Burnout leiden. Gusy u.a. sprechen von einem arbeitsbezogenen Syndrom. Als Syndrom wird eine Gruppe von gemeinsam auftretenden Krankheitszeichen bezeichnet.
Nach der von der WHO geltenden „Internationalen Klassifikation der Krankheiten“ (ICD-10) kann Burnout nicht als Krankheit diagnostiziert werden. Er gilt als Zustand physischer und psychischer Erschöpfung und fällt unter die Diagnosegruppe „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“. Anders als die Arbeitswissenschaftlern Gusy u.a. sieht die WHO die Ursache des Burnouts offensichtlich überwiegend beim Menschen nicht in den Arbeitsbedingungen.
Kein individuelles Problem
Ist Burnout also ein individuelles, persönlich verursachtes Problem von vielleicht besonders labilen Menschen? Bereits 2010 meldete die Ärztekammer eine halbe Millionen Menschen seien am Burnout Syndrom erkrankt. Bei so vielen Kranken muss es wohl andere Ursachen geben.
Hunderte Medien, TherapeutInnen, ÄrztInnen, Sanatorien, Gewerkschaften, Krankenkassen, Wissenschaftler, Angehörige, Beschäftigte, Unternehmen, Personalchefs, Betriebsräte beschäftigen sich mit dem Burnout betroffener Menschen. Der quantitative und qualitative Schwerpunkt liegt dabei auf der individuellen Ebene. Therapien zu Bewältigungsstrategien – teilweise verbunden mit dem Rat sich zu outen oder dem Rat den Arbeitsplatz zu verlassen – werden angeboten. Ein therapeutischen Wirtschaftsbereich ist entstanden. WissenschaftlerInnen erforschen individuelle Voraussetzungen oder Dispositionen. Persönlichkeitscharakteristika wie sogenanntes „Überengagement“ (wer nie gelodert hat, kann auch nicht ausbrennen) werden als Ursachen beschrieben. Einige diskutieren, ob es sich denn wirklich um eine Krankheit handele, andere ob es eine Form der Depression sei oder nicht. In Medien wird das Leiden der Menschen teilweise sogar als „Modekrankheit“ diffamiert.
Langfristig oder fortschrittlicher Denkende schlagen individuelle Prävention vor. Es werden Tipps veröffentlicht, wie man Warnsignale bei sich selber oder nahestehenden Personen möglichst frühzeitig identifizieren kann um gegen zusteuern, den Prozess des Ausbrennens möglichst frühzeitig zu stoppen. Häufig wird die Dualität von familiären, persönlichen Problemen in Verbindung mit den Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz als Ursache vermutet. Gerade Web-Seiten der Wirtschaftsverbände neigen dazu. Andere untersuchen, ob es bestimmte Berufsgruppen wie Dienstleistungs, Verwaltungs- oder helfende Berufe gibt, in denen sich die Gefahr des Burnouts verstärkt verbirgt. Von der Entfremdung von der Arbeit, von der Kluft zwischen Unternehmen und Person wird gesprochen. Selten wird über eine kollektive Prävention – also eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen - nachgedacht,w ie es die IG Metall in ihrer hervorragenden Broschüre tut .
Keiner dieser Herangehensweisen soll ihre Berechtigung abgesprochen werden. Die Menschen in Not brauchen sie. Aber fast alle Initiativen bleiben an der Ober-fläche, befassen sich lediglich mit den Erscheinungsformen, erfassen jeweils nur Teilaspekte. Kaum eine dringt zum Kern des Problems vor: den inhumanen Arbeitsbedingungen und -verhältnissen, wie sie dem Kapitalismus immanent sind.
Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen
Hohe Arbeitsintensität, lange und unplanbare Arbeitszeiten, bezahlte und unbe-zahlte Überstunden, Vertrauensarbeitszeiten, Schicht- und Nachtarbeit, Arbeits-platzunsicherheit, widersprüchliche Arbeitsaufgaben bzw. –aufträge, unklare Prioritätensetzung, geringe Qualifikationsmöglichkeiten, qualitative und/oder quantitative Über- bzw. Unterforderung, mangelnde Anerkennung und/oder Unterstützung, permanente Umstrukturierungen, ununterbrochene Ausdünnung der Belegschaften, schleichendes stückchenweises – unmittelbar kaum wahrnehmbares - Draufpacken zusätzliche Arbeitsaufgaben prägen den Arbeitsalltag der meisten Beschäftigten. Internet, E-Mails, Facebook, Twitter u.a., Handys, Smartphones ermöglichen den Unternehmern die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen, ja verschwinden zu lassen.
Mit den perfidesten Methoden wird immer mehr Output aus den Menschen ge-presst. Der Druck ist subtil. immer öfter werden sie indirekt gesteuert. Die Selbst-ständigkeit, der eigene Willen der Beschäftigten werden instrumentalisiert für den Unternehmenszweck. Sie sollen agieren wie Unternehmer. Mehr und mehr Verantwortung wird ihnen übertragen, ohne das sie wirklich Handlungs- und Entscheidungsfreiheit haben. Denn Rahmenbedingungen wie Termine, Kosten, Personal, Qualität legt die Unternehmensleitung fest. Dazu werden auch teilautonome Einheiten, Profitcenter und kleinere GmbHs organisiert. Der Taktgeber für die zur Verfügung gestellte Zeit für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe aber ist und bleibt der Unternehmer. Bezahlt wird nicht mehr nach Arbeitszeit. Was zählt, ist das Ergebnis, und Ergebnis ist nur ein anderes Wort für höheren Profit. Etwas anderes wird nicht geduldet.
Folge ist, dass immer mehr Arbeitsstunden in Projekte und Aufgaben gesteckt, nicht angeordnete, unbezahlte Überstunden erbracht werden. Weil das nicht reicht, um die Motivation der Beschäftigten anzutreiben, wird unverhohlen gedroht, nicht mehr in den Arbeits-, Betriebs- bzw. Unternehmensbereich zu investieren oder das Team/die Abteilung aufzulösen. Um die Konkurrenz untereinander anzustacheln, werden nicht nur Vergleichswerte als Referenzgrößen (Benchmarks) mit anderen Unternehmen angeführt, sondern auch mit anderen Werken, bereichen, Abteilungen, angeblich vergleichbaren Einheiten. Systematisch vergrößern die Unternehmer und andere Verantwortliche die Kluft zwischen vorgegebenen Zielen und Arbeitsaufgaben einerseits und deren Machbarkeit in der vorgegebenen Zeiteinheit andererseits. Wer da nicht mithalten kann, weiß, dass letztlich seine berufliche Existenz auf dem Spiel steht. Zukunftsangst hat in die einstmals relativ sichere Arbeitswelt genommen. Arbeitsplatzzerstörungen wie sie jetzt für 3000 Schlecker Frauen drohen führen durch die zunehmende Arbeitsplatzunsicherheit zu weiterem Stress.
Die Belastung in den Betrieben trifft fast alle. Sie kann ähnlich oder gleich sein, dieselbe schwierige laute Schulklasse, dasselbe Projektteam, dieselben Zielvor-gaben, und doch sind die Folgen nicht für jeden gleich. Man stelle sich eine Schubkarre vor: Ein großer, kräftiger Mensch bewegt sie mit Leichtigkeit, ein klei-ner wird die gleiche Last ungleich schwerer empfinden. Ähnlich ist es mit psychi-schen Belastungen. Der schlechte Führungsstil und die Probleme im Team führen bei einem/er KollegIn zu Stress, eine/n anderen scheint es weniger zu berühren. Keiner aber wird auf die Idee kommen, den kleineren Mann zu einer Einrichtung zu schicken, die ihn wachsen oder stärker werden lässt. Vielmehr wird entweder die Karre geringer beladen oder besser, er erhält eine mechanische oder motorische Hilfseinrichtung.
Burnout ist eine Antwort. Wenn Menschen die systematische Überlastung durch die Anforderungen am Arbeitsplatz individuell nicht überleben können, zwingt sie ihr Körper in den Prozess des Burnouts. Gusy u.a. beschreiben Burnout als „defensiven Umgang mit empfundenen Arbeitsbelastungen ... wenn berufliche Anforderungen die verfügbaren Ressourcen übersteigen“.
Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit
Wie im Brennglas wird im Burnout die verschärfte Ausbeutung der Menschen durch die Intensivierung der Arbeit im Arbeitsprozess sichtbar. Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist angeblich beendet. Die Beschäftigten aber sind dauerhaft in der Krise in Fabrikhallen, Werkstätten, Büros, Verwaltungen, Callcentern, For-schung- und Wissenschaftseinrichtungen, Sozialen und Pädagogischen Bereichen - auf allen Arbeitsplätzen gleichermaßen. Burnout kann jede/n treffen.
Keineswegs handelt sich um Kollateralschäden des betriebswirtschaftlichen Effi-zienzsystems. Leistungs- und Konkurrenzdruck sind keine leidige Folge von Ma-nagementmethoden, sie sind gewollt. Sie sind das System. Immer mehr Beschäf-tigte sind überfordert, leiden unter chronischer Ermüdung bis hin zum Burnout.
Hier vollzieht sich, was Marx die "dichtere Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit", d. h. wachsende Arbeitsintensität nannte, die „zugleich vergrößerte Arbeitsausgabe in derselben Zeit, erhöhte Anspannung der Arbeitskraft, dichtere Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit, d.h. Kondensation der Arbeit dem Arbeiter zu einem Grad aufzwingt, der nur innerhalb des verkürzten Arbeitstags erreichbar ist. Diese Zusammenpressung einer größren Masse Arbeit in eine gegebne Zeitperiode zählt jetzt als was sie ist, als größres Arbeitsquantum. Neben das Maß der Arbeitszeit als "ausgedehnter Größe" tritt jetzt das Maß ihres Verdichtungsgrads“ . Folge ist ein erhöhter Mehrwert und damit erhöhter Profit.
Werwolfs-Heißhunger der Kapitals
„In seinem maßlos blinden Trieb, seinem Werwolfs-Heißhunger nach Mehrarbeit, überrennt das Kapital nicht nur die moralischen, sondern auch die rein physischen Maximalschranken des Arbeitstags“ . Karl Marx schreib das 1867. Heute, 150 Jahre später, überrennt das Kapital in seinem maßlos blinden Trieb, seinem Werwolfs-Heißhunger die psychischen Grenzen der Intensivierung der Arbeit und des verlängerten Arbeitstag durch bezahlte und nicht bezahlte Überstunden und Flexibilisierung. Der systematische Verschleiß von menschlicher Arbeitskraft erhöht den Profit.
Der Beweis zeigt sich überall. So nimmt es nicht Wunder, dass Österreich in der EU an der Spitze, und weltweit auf Platz drei der Staaten steht, die eine beson-ders hohe Dichte an Superreichen aufweisen .
Anne Rieger, Dipl. Psychologin, hat als Arbeits- und Betriebspsychologin gearbeitet, ehem. Bevollmächtige der IG Metall, arbeitet in Graz für den GLB