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Leistungs-Schlankheits-Fitnesswahn

  • Dienstag, 12. Juni 2012 @ 11:16
Meinung Von Bärbel Mende-Danneberg

Unterwerfungsrituale unter das Schönheitsideal – doch wer entwirft? 80-60-80 war ja nicht immer erstrebenswert, wenn wir an Rubens denken. Beim Körperblick geht es immer auch um Ausschluss. Zum Beispiel Ausschluss aus einer (Solidar-)Gemeinschaft oder Ausschluss aus einem Job oder Ausschluss aus dem Sexualpartnermarkt. Die Fokussierung auf die eigene Verantwortung für den Körper, also fürs Aussehen, sagt: selbst Schuld, mach was aus deinem Typ. Klatschmagazine mit Vorher-nachher-Tipps bringen viele Frauen in verzweifelte Unsicherheit. Der Körper als Kapital

Auch wenn Männer mittlerweile in die Mangel der Kosmetikindustrie genommen werden und sich behaarter Weise schon gar nicht mehr im Schwimmbad blicken lassen sollen – der idealisierte Körperzwang meint vorzugsweise das weibliche Geschlecht. Und so hungern sie, liften sich, lassen Busen vergrößern und Lippen aufspritzen, Fett wegsaugen und Falten weglasern, der Machbarkeit des genormten Idealkörpers sind keine Grenzen gesetzt. Höchstens finanzielle. Der tägliche Kampf von vielen Teenagern gegen den eigenen Körper heißt essen-kotzen-essen-kotzen, Bulimie.

Schon in den 50er Jahren haben US-amerikanische Versicherungen den Bodymaß-Index auf ein niedrigeres Niveau gesetzt, um die zum Genuss neigenden Menschen aus den Versicherungspolizzen zu kippen. Heute wird bei uns Ähnliches in Hinsicht auf Fettleibigkeit, Rauchen, mangelnde Bewegung oder riskante Lebensweise diskutiert. Selbstdisziplinierung und Modellierung des Ich werden in einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft zum anbetungswürdigen Ideal.

Der Schlankheitswahn ist eine sichere Kapitalanlage für die Schönheitschirurgie, für Pharma-, Wellness-, Kosmetik- oder Computerkonzerne: Eine in Japan entwickelte „Diätbrille“ soll mit Hilfe von Computertechnik und verzerrten Bildern das Bewusstsein manipulieren und Diätwillige dazu bringen, mit kleineren oder unattraktiveren Essensrationen zufrieden zu sein.

Fit für die Leistungsgesellschaft

Als die damalige VP-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat bei den Reformgesprächen in Alpbach ihre unchristlichen Gedanken zur Senkung der Gesundheitsausgaben geäußert hatte, schwebte ihr vor, die öffentlichen Ausgaben für Ärzte, Medikamente, Spitäler und Pflege an das Wirtschaftswachstum zu koppeln. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen sollten nur noch dann zusätzliches Geld ins Gesundheitswesen stecken, wenn die Wirtschaft entsprechend wächst. Soll heißen: je größer die wirtschaftliche Flaute, desto kleiner die öffentlichen Gesundheitsleistungen – weg mit dem Speck.

Angekurbelt wird damit der private Gesundheitsdienstleistungsmarkt. Der Wellness- und Fitnessbereich ist ein expandierender Zukunftsmarkt mit Blick auf den Mittelstand, Heerscharen von Gesundheitsgurus stürzen sich mit esoterischen Wunderheilmethoden auf geschundene Körper. Und zunehmend sollen auch die Ärmeren genötigt werden, ihren „Inneren Schweinehund“ (so Rauch-Kallats damalige Gesundheitskampagne) zu den privaten Zusatzversicherungen und Kuranstalten zu treiben. Die Allerärmsten bekommen dann, wenn überhaupt, ein Gitterbett am Gang einer Kranken- oder Pflegeeinrichtung.

Krankheit als Ausschluss

Von der Herausforderung, nicht nur die Lebenserwartung zu verlängern, sondern das längere Leben auch in Gesundheit zu verbringen, ist derzeit auf diversen Gesundheitstagen die Rede. Weniger wird davon gesprochen (außer Filmemacher Wallraff schleicht sich mal wieder in so eine Schinderbude ein), welche Arbeitsplatzbedingungen krank machen, weshalb Burnout ein Massenphänomen ist und wo und wie dieses längere Leben gelebt wird.

Immerhin werden 80 Prozent der pflegebedürftigen MitbürgerInnen am „Arbeitsplatz Haushalt“ (VP-Vokabular) von ihren Angehörigen gepflegt – körperlich ausgepowert und psychisch gestresst sind es in der Mehrzahl Frauen, denen das Pflegen sozusagen als natürliche Eigenschaft kostensparend angehängt wird. Sie sind in der Folge ziemlich sichere KandidatInnen für diverse Krankheiten und psychische Leiden.

Ähnlich wie in der Pensionsdebatte sollen die „Kunden“ zur verstärkten Eigenvorsorge veranlasst werden. „Die beste Medizin ist natürlich die Vorbeugung. Und spätestens hier wird klar, dass ein profitorientiertes Gesundheitssystem versagen muss: Das Behandeln von Kranken ist immer lukrativer als das Nicht-Behandeln von Gesunden. Ein Gesundheitskonzern hat also wenig Interesse an einer möglichst gesunden Bevölkerung. Vielleicht sollte man auch eher von Krankheitskonzernen sprechen ...” (Michael Reimon, Christian Felber: Schwarzbuch Privatisierung – was opfern wir dem freien Markt?, Überreuter)

Bärbel Mende-Danneberg ist Journalistin in Wien