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Wer profitiert an Staatsschulden?

  • Dienstag, 3. April 2012 @ 08:00
Meinung Von Michael Graber

Die ökonomische Ausbeutung im heutigen Kapitalismus funktioniert im Wesentlichen über drei Ebenen:

Erstens über die Primärverteilung. Dabei geht es um die Aufteilung der wertmäßigen Resultate der Arbeit zwischen Löhnen und Profiten. Was hier nicht für die Arbeitenden erreicht wird, ist schon ans Kapital verloren. Die Tendenz dieser Primärverteilung zeigt seit Beginn der 80er Jahre ein permanentes Sinken der Lohnanteile an der Wertschöpfung und logischerweise ein Steigen des Anteils der Profite. Die Ausbeutung wächst. Zweitens über die Steuer- und Budgetpolitik. Lohnsteuer und Einkommensteuer waren noch Anfang der 70er Jahre etwa gleich stark am Steueraufkommen beteiligt. Heute macht die Lohnsteuer ein Vielfaches der Einkommensteuer aus. Der Staatshaushalt wird zu über vier Fünftel aus Massensteuern finanziert. Die Tendenz ist im Gegensatz zur Primärverteilung steigend. Netto bleiben den arbeitenden Menschen immer weniger übrig.

Drittens aber erfolgt Ausbeutung über die Staatsverschuldung, und zwar auf mehrfache Weise. Was der Staat sich nicht durch angemessene Besteuerung der Vermögensbesitzer hereinholt, holt er sich durch Ausgabe von Staatsanleihen, also Verschuldung herein. Diese langfristige Schuldenspirale ist nicht anderes als eine Flucht, ein Ausweichen vor einer Umverteilung von oben nach unten.

Wer zahlt die Schulden und die Zinsen? Die SteuerzahlerInnen, also zu mehr als vier Fünfteln aus den Massensteuern. Weiter. Die Staatsanleihen gehen überwiegend an die Kapitalsammelstellen, Banken, Versicherungen, Finanzkonzerne, Fonds und die betuchten Privatanleger. Sie profitieren ein zweites Mal. Denn sie haben nicht nur fast keine Steuern bezahlt, jetzt profitieren sie zusätzlich aus der Steuerleistung, die für die Staatsschulden verwendet werden muß.

Und schließlich garantiert der Staat durch seine Staatsschulden das Finanzsystem, das vor vier Jahren vor dem Zusammenbruch stand und seither ein labiles Gebilde geblieben ist. Aber was ist das Finanzsystem? Es ist die Summe der Einlagen und Prämien der Banken und Versicherungen. Dies aber nur zum kleinen Teil. Hauptsächlich besteht es aus den verschiedensten Wertpapieren, zu denen auch die Staatsanleihen gehören. Die Schulden des Staates sind die Vermögen der Besitzenden.

Garantiert der Staat das Finanzsystem über die Stabilisierung der Banken, stabilisiert er die Vermögen der Besitzenden und damit den Wert seiner Schulden. Mit welchen Mitteln? Natürlich mit Steuermitteln und/oder zusätzlichen Schulden.

Das heutige finanzkapitalistische System kann sich nur halten, wenn diese drei Ausbeutungsebenen als Herz-Lungenmaschinen der Umverteilung von unten nach oben funktionieren. Natürlich gibt es deshalb für diejenigen, die alle Werte in der Gesellschaft schaffen ein Interesse daran, die Staatschulden zu verringern. Aber auch da kommt es auf das Wie an. Durch Vermögensabgaben oder durch zusätzliches Schröpfen der Massen? Aber auch durch die Verhältnismäßigkeit des Schuldenabbaus zu Wachstum und Beschäftigung.

Die „Schuldenbremse“, wie sie in fast allen EU-Mitgliedsländern jetzt eigeführt wird, hat mit all dem nur insofern zu tun, als sie die Garantie der Zahlungsfähigkeit des Staates für seine Anleihen und damit der Vermögensbesitzer aufrechterhalten soll. Dies natürlich wieder mittels Umverteilung von unten nach oben durch zusätzlichen Steuerdruck (allerdings nicht für Profite und große Vermögen) und Sozialabbau durch Einschränkung der Staatsausgaben.

In Europa gibt es etwa 14.000 Superreiche, also Menschen, die als Untergrenze zumindest 100 Millionen Dollar besitzen. Die Summe dieser privaten Vermögen übersteigt bei Weitem die Summe der Staatsschulden. Das ganze neoliberale System läuft darauf hinaus, diese finanzkapitalistischen Verhältnisse aufrechtzuerhalten und zu verewigen.

Michael Graber ist Volkswirt und Wirtschaftssprecher der KPÖ