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Teilhabe ermöglichen

  • Donnerstag, 9. Februar 2012 @ 08:30
Meinung Von Gerlinde Grünn

Derzeit halt ich mir mitunter beim Morgenkaffee schon die Ohren zu. Unerträglich ist inzwischen die Schuldenbremsenpropaganda, die tagtäglich aus dem Morgenradio schallt, geworden.

Ungeachtet des Wissens, das eine möglichst breite Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums das Leben für alle besser macht, wird an allen Ecken und Enden von mächtigen Meinungsmachern das Lied vom Gürtel enger schnallen angestimmt.
Gemeint sind natürlich nicht diejenigen Reichen und Superreichen, die Konzerne und Banken, die sich ihrer Pflicht durch entsprechende Steuerleistungen zum gesellschaftlichen Wohl beizutragen, entziehen.

Das trifft den Lebensnerv

Die Last der sogenannten Schuldenbremse soll vielmehr der Allgemeinheit aufs Auge gedrückt werden und das trifft uns alle in unseren existenziellen Lebensbereichen. Spart der Staat bei sozialen Dienstleistungen und Investitionen trifft das den Lebensnerv vieler. Kurzum es geht um unsere Vorsorge für Notfälle wie Arbeitslosigkeit, Krankheit und Behinderung, um unsere Pflege im Alter, die Organisation unserer Mobilität, um Bildungschancen für Jung und Alt, unserer Gesundheitsvorsorge, unseren Wohnraum, um Kultur und Freizeitangebote.

Verabsäumt eine Kommune in den sozialen Wohnbau zu investieren, den öffentlichen Verkehr zu fördern oder zuwenig Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen, hat das massive Konsequenzen für all jene, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen sind und deren Einkommen aus Erwerbsarbeit, Pensionen oder Transferleistungen nicht dafür ausreicht Dienstleistungen am freien Markt einzukaufen.

Diejenigen, die bereits am Rande der Gesellschaft leben, weil sie auch im bisdato bekannten Wohlfahrtsstaat durch das soziale Netz gefallen sind, sollen wohl gänzlich abgeschrieben werden. Ein beschämendes Zeichen dafür sind die zunehmende Hetze gegenüber randständig Lebenden, denen das Leben durch restriktive Gesetzgebung wie etwa Bettelverbot und durch ein blühendes Sicherheitsgewerbe schwer gemacht wird.

Ein tiefer Graben

Wer regelmäßig die Aussendungen der österreichischen Armutskonferenz verfolgt, kann nur feststellen, dass sich ein tiefer Graben zwischen denen, die alles im Überfluss haben und denen die am Rand des Überflusses leben, gebildet hat. Laut Armutskonferenz gelten aktuell 993.000 Menschen in Österreich, immerhin das viertreichste Land der EU, als armutsgefährdet, weil sie monatlich weniger als 994 Euro zum Leben haben, 488.000 davon gelten als manifest arm.

Gleichzeitig sind laut Arbeiterkammer 330.000 Personen von Energiearmut betroffen, weil sie Probleme haben Strom und Heizung zu bezahlen. Auf Linz heruntergerechnet bedeutet das rund 23.600 armutsgefährdete, 11.600 manifest Arme und 7.900 von Energiearmut betroffene Menschen.

Und an vergleichbaren Befunden mangelt es leider nicht. Ein Griff zum erst heuer erschienenen „Ersten Linzer Frauenbericht“ liefert ebenso Unerfreuliches. Nur ein Zitat daraus, nämlich, dass das durchschnittliche monatliche Pensionseinkommen einer Linzer Seniorin im Jahr 2008 nur 915 Euro betrug und damit an der österreichischen Armutsgefährdungsschwelle liegt, sagt schon vieles über die soziale und geschlechtsspezifische Schieflage aus.

Besonders zynisch ist in diesem Zusammenhang ist der im Dezember 2011 von ÖVP und FPÖ getroffene Beschluss zur Kürzung der Wohnbeihilfe in Oberösterreich. Diese Maßnahme trifft hauptsächlich den Teil der Bevölkerung, der an oder unter der Armutsgrenze lebt. Also Alleinerzieherinnen, Familien mit vielen Kindern und alleinlebende Seniorinnen.

Rettungsschirm für wen?

Wer spannt nun einen Rettungsschirm auf für alle jene, die dem Tempo des real existierenden Kapitalismus nicht folgen können, die durch Herkunft, Flucht, Langzeitbeschäftigungslosigkeit, mangelnder Bildungschancen, Krankheit oder Alter an den Rand des Wohlstands gedrängt werden?

Klar ist, allein auf kommunaler Ebene können all diese systembedingten sozialen Probleme nicht gelöste werden. Denn Sozialgesetzgebung, Steuer- und Lohnpolitik wird auf höherer Ebene verhandelt. Eine wesentliche Aufgabe der Stadt ist es jedoch, die materielle und finanzielle Grundvorsorgung zu betreiben. Dafür zu sorgen, dass ausreichend leistbarer Wohnraum, Grundbildungseinrichtungen von der Krabbelstube bis zur Volkshochschule und Einrichtungen, die Lebensrisiken zu bewältigen helfen, zur Verfügung stehen.

Es besteht die reale Gefahr, dass unter dem enormen Spardruck, kommunale Leistungen und Investitionen zurückgefahren werden.Was eine weitere Aufspaltung und Entsolidarisierung der Gesellschaft zu Folgen haben wird und den Apologeten der ausgrenzenden und rassistischen Law and Order Politik von ÖVP und FPÖ in die Hände spielt.

Natürlich kosten soziale Dienstleistungen und Investitionen eine Menge Geld, 35 Prozent des Linzer Budgets rund 238 Millionen Euro sind derzeit dafür vorgesehen. Mir ist das noch viel zu wenig. Vieles gäbe es hier noch zusätzlich zu tun, um wirklich allen EinwohnerInnen eine gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum der Stadt zu ermöglichen.

„Heißes Eisen“ Energiearmut

Ein besonders dringliches Problem ist etwa die Energiearmut. Eine Energiegrundsicherung, die durch die Garantie eines Energiekontingents verlässlich für Wärme und Licht in allen Linzer Wohnungen sorgen könnte, wäre hier ein wirksames Mittel. Eine Stadt, die sich jedes Jahr Weihnachtsbeleuchtung um mehr als 300.000 Euro leistet, täte hier gut daran, erste Schritte in diese Richtung zu setzen.

Und übrigens, auch im Sozialen kostet nicht alles Geld. Die Haltung, dass „was alle brauchen auch allen gehören soll“ und dass nur eine Sozialpolitik, die alle hier lebenden ungeachtet ihres staatsbürgerlichen Status miteinschließt, diesen Namen auch verdient, gibt es von mir gratis dazu.

Gerlinde Grünn ist Sozialpädagogin und KPÖ-Gemeinderätin in Linz