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Regierung in selbst gewählter Schuldenfalle?

  • Mittwoch, 8. Februar 2012 @ 08:00
Meinung Von Lutz Holzinger

Diese politische Selbstentleibung ist einzigartig: 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union ziehen auf Geheiß Deutschlands die Schuldenbremse und riskieren damit ihre wirtschaftliche Zukunft.

Die Politik der Regierung Schröder mit Agenda 2010 und den diversen Hartz-Programmen zur Minimierung des Arbeitslosengeldes wurde seinerzeit im Ausland kommentarlos hingenommen. Niemand kam auf den Gedanken, dass diese Entwicklung alle Mitgliedstaaten anging. Erst als die Exporterlöse vor allem der südeuropäischen Länder drastisch gesunken und die Staatsschulden aufgrund der Bankenrettung explodiert sind, dämmerte manchen die Logik dieser Politik. Schröder und Konsorten (samt den führenden Industriegewerkschaften der BRD) haben dafür gesorgt, dass durch diese Art, die Arbeitskosten zu senken, die Lohnstückkosten der deutschen Exportindustrie konkurrenzloses niedrig wurden.

In der Folge konnte die innereuropäische Konkurrenz sich erwürgen; der deutschen Wirtschaft konnte sie nicht Paroli bieten. Die südeuropäischen Volkswirtschaften schrumpften und die Staaten waren bei rückläufigen Einnahmen nicht in der Lage, die für die Bankenrettung aufgenommenen Zusatzschulden zu bedienen. Das wiederum führte bei weiter anhaltender Finanzkrise (Stichwort: Eurorettungsschirm) zu Turbulenzen auf den Währungs- und Kreditmärkten.

Als die Intervention von Exportweltmeister Deutschland unerlässlich wurde, schlug die große Stunde von Berlin und war die Chance gekommen, die Haushaltspolitik der EU-Staaten nach deutschem Muster umzuformen. Speziell am Währungssektor ist die Haltung Deutschlands vom absoluten Stabilitätsanspruch bzw. noch immer von der Angst vor der Hyperinflation geprägt, die durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die folgenden Reparationszahlungen ausgelöst wurde.

Diese Trauma liegt die Idee einer Schuldenobergrenze zu Grunde, obwohl sie tagtäglich von Ländern wie den USA oder Japan Lügen gestraft wird, die in Zusammenarbeit mit ihren Nationalbanken jederzeit für ausreichende flüssige Mittel für den Staatshaushalt sorgen. Da die Europäische Zentralbank auf Wunsch Deutschlands diese Funktion nicht erfüllen darf, hängt Europa in der Schuldenfalle und überlässt die Finanzierung der Haushaltsdefizite aller EU-Staaten dem privaten Kapitalmarkt, der sich daran blöd verdient.

Die Schuldenkrise erscheint als von langer Hand herbeigeführtes Manöver, um die Konsequenzen aus dem Tod des Sozialismus zu ziehen und mit dem nicht nur erkämpften, sondern auch – wegen der „Kommunistengefahr“ – zugestandenen Sozialstaat Schluss zu machen. Dieses Vorhaben ist angesichts eines immer noch relativ hohen Organisationsgrads der Lohnabhängigen in den Gewerkschaften nicht in einem Aufwaschen zu realisieren.

Im Rahmen der Diskussion über die heimische Schuldenbremse und das Sparpaket der Regierung Feymann zeigt sich jedoch, dass den Führungsspitzen von SPÖ und ÖVP kaum ein Bereich des Sozialstaats mehr „heilig“ ist. Zur Disposition stehen alle für die Reproduktion der Arbeitskraft relevanten Bereiche von Bildung und Ausbildung über Lebensarbeitszeit und Einkommen bis zu Altersversorgung und -Pflege.

Das Beispiel der Steiermark zeigt, dass Sozialausgaben am meisten gefährdet sind, wenn Regierungen mit dem Sparen ernst machen. Ist von Verwaltungsreform die Rede, ist nicht der Abbau der künstlich aufgeblasenen Minister- und Landesratsbüros gemeint, die in Konkurrenz mit den Beamtenstäben agieren. Vielmehr besteht die Gefahr, dass Infrastrukturen zur Disposition gestellt werden, die für soziale Dienste unerlässlich sind.

Es liegt auf der Hand, dass die gesamte Schieflage der heimischen und internationalen Wirtschaft und der Staatsfinanzen auf eine mehr als zwei Jahrzehnte andauernde Umverteilung von unten nach oben zurückzuführen ist. Sie schlägt sich unter anderem darin nieder, dass mittlerweile rund 85 Prozent der gesamten Steuerlast von den unselbständig Beschäftigten erbracht wird. Die in den letzten Jahrzehnten exorbitant angestiegenen Gewinne aus Vermögen und Unternehmen werden in der Tendenz immer weniger angetastet. Kein Wunder, dass Stiftungsgründungen weiterhin boomen. Statt 25 Prozent auf die Zinsen vom Sparbuch zahlen Stifterbloß ein Prozent vom – möglicherweise nach unten manipulierten – Gewinn.

Hier eine radikale Wende herbeizuführen, wäre bei weitem keine Revolution, nach Ansicht von Volkswirtschaftlern wie Stephan Schulmeister aber auch im Interesse der Reichen und Superreichen an einer längerfristigen Stabilisierung der Wirtschaft. Von einer Schuldenbremse ist das nicht zu erwarten, weil sei wachstumsfeindlich ist und damit die Schulden weiter in die Höhe treibt.

Lutz Holzinger ist Journalist in Wien