Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik heute
- Mittwoch, 16. November 2011 @ 23:00
Von Anne Rieger, GLB-Aktivistin in der Steiermark, bis 2009 Zweite Bevollmächtigte der IG Metall in Waiblingen (Baden-Württemberg)
Ich möchte mit Bertolt Brecht beginnen:
Lob des Revolutionärs
Viele sind zuviel
Wenn sie fort sind, ist es besser.
Aber wenn er fort ist, fehlt er. Er organisiert seinen Kampf
Um den Lohngroschen,
Um das Teewasser
Und um die Macht im Staat.
Er fragt das Eigentum:
Woher kommst du?
Er fragt die Ansichten:
Wem nützt ihr?
Wo immer geschwiegen wird
Dort wird er sprechen
Und wo Unterdrückung herrscht
und von Schicksal die Rede ist
Wird er die Namen nennen.
Wo er sich zu Tisch setzt
Setzt sich die Unzufriedenheit zu Tisch
Das Essen wird schlecht
Und als eng wird erkannt die Kammer.
Wohin sie ihn jagen, dorthin
Geht der Aufruhr, und wo er verjagt ist
Bleibt die Unruhe doch.
Mit diesem Gedicht beantwortete Brecht schon vor Jahrzehnten, was klassenorientierte Gewerkschaftspolitik heute ist:
1. dass sich die Gewerkschaft und ihre Mitglieder in ihren Kämpfen, Auseinandersetzungen und ihrer Arbeit radikal an der Klasse orientiert, die die Werte schafft. Oder in moderner Sprechweise ausgedrückt: dass Gewerkschaftspolitik eindeutig Partei ergreifen muss für die Interessen der abhängig Beschäftigten im weitesten Sinne – also auch für Interessen derjenigen, die mit freiem Dienstvertrag, Werkvertrag, Gewerbeschein ohne Mitarbeiter arbeiten müssen oder sich in anderen prekären Beschäftigungssituation befinden – ihre Familien und die Pensionisten aus diesen Kreisen. Erst gestern wurde der Pensionsbetrag nur um 2,7 Prozent erhöht, die Inflationsrate aber liegt bei 3,4 Prozent.
Schon im Kommunistisches Manifest aus 1848 ist zu lesen: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Und Warren Buffet, Eigentümer von 80 Mrd. Dollar, sagte 2003: „Wenn Klassenkampf in Amerika geführt wird, gewinnt meine Klasse.“
2. Muss klassenorientierte Gewerkschaftspolitik deutlich machen, wer den Mehrwert erarbeitet und wer ihn sich aneignet, also die gesellschaftliche Produktion des Mehrwerts und seine private Aneignung, und dass dies verbunden ist mit den privaten Eigentumsverhältnissen an den Produktionsmitteln, Grund, Boden, teilweise Wasser. Brecht dazu: „Er fragt das Eigentum, woher kommst Du?“ Entsprechend haben auch Karl Marx und Friedrich Engels an die Kommunisten formuliert: "In all diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, (...) als die Grundfrage der Bewegung hervor." Das heißt, klassenorientierte Gewerkschaftspolitik muss Bewusstsein schaffen für die Ausbeutung, die Entstehung und die private Aneignung des Mehrwerts. Das hört sich leicht an – aber ist, wie wir alle wissen – äußerst schwer getan
3. Muss klassenorientierte Gewerkschaftsarbeit dazu beitragen den Hauptgegner zu erkennen, ihn benennen, mit Namen und Adresse sowohl im Land als auch international: In Österreich beispielsweise die Fam. Piech-Porsche, deren Vermögen 33,8 Mrd. Euro beträgt. Zur Größenordnung: Die Einnahmen des österreichischen Haushalts 2012 belaufen sich auf 64,4 Mrd. Eine Familie besitzt die Hälfte eines Jahreshaushalts des ganzen Landes. Eine zweite Zahl: Siegfried Wolf, ehemals Magna, erhielt ein Jahreseinkommen von 10,8 Millionen Euro, oder umfassender gesagt: Ein Manager erhält das 42fache eines Facharbeiters – da rede ich noch nicht von den prekär Beschäftigten. Im kleinen Österreich gibt es 74 000 Millionäre. Ihnen gehören 230 Mrd. Euro Vermögen.
Ich halte es für wichtig, solche Zahlen präsent zu haben, um der Aussagen des überwiegenden Teils der Medien - also der veröffentlichten Meinung – entgegen treten zu können, die wirklich Reichen seien außerhalb dieses Landes. Scheinbar unsichtbare Spekulanten und Finanzhaie auf den Cayman Inseln oder anderen Offshore-Zentren, wo sie eine Trillion Dollar, Steuer schonend und Steuer vernichtend, anlegen. Das stimmt zwar auch, aber die Reichen und Herrschenden gibt es eben auch in Österreich mit Namen und Adresse.
Ein Beispiel: Mit einem Kurs von 7,37 Euro kaufte Erste-Boss Andreas Treichl am 2. März 2009 25.000 Aktien der eigenen Bank und verkaufte sie am 4.11.2010 zum Kurs von 33,55 Euro. Macht einen Gewinn von 654.000 Euro, zusätzlich zu einem Bonus von 1,2 Millionen für 2010. Wegen Insiderinformation wird gegen ihn ermittelt. Und so muss der/die klassenorientierte Gewerkschafter/in eben in allen privaten und öffentlichen Unternehmen und Vereinen schauen, wie hoch die Gewinne sind und die Verdienste von Vorständen und GeschäftsführerInnen, soweit man da ran kommt.
Für die Bewusstseinsbildung vor Ort im Betrieb ist das ein nicht zu unterschätzende Faktor. Denn oft begegnet uns die Meinung, ja, die Diktatur der Finanzmärkte ist ganz schlimm, aber unser Chef oder unsere österreichischen Reichen sind gar nicht so schlimm. Ich möchte da gedanklich eine Parallele zum Faschismus ziehen in dem auch die sogenannten reichen Juden angeprangert wurden, also gab es auch damals angeblich gute und böse Reiche.
Den Reichtum vor der Haustür anprangern. Denn die Finanzblase konnte ja nur entstehen, weil uns Löhne und Gehälter abgesenkt wurden, die Produktivitätsgewinne von den Besitzern abgeschöpft, aber nicht mehr in die Realwirtschaft reinvestiert wurden, weil dort kein Profit durch absinkende Kaufkraft in Aussicht war bzw. der tendenzielle Fall der Profitrate das nicht mehr lukrativ werden ließ. So wurde das Geld denen vorenthalten, denen es eigentlich gehören müsste, da sie den Mehrwert erarbeitet haben, und stattdessen in Finanzprodukte investiert.
4. muss natürlich auch global die Kapitalistenklasse insgesamt als Hauptgegner identifiziert werden. Eine Schweizer Studie kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich 147 Konzerne die Weltwirtschaft kontrollieren (http://extranet.igmetall.de/cps/rde/xbcr/SID-EC37ED5C-F6609859/extranet/artikel_0179325.pdf). Besonders Banken und Rentenfonds stehen mit ihrem Einfluss ganz weit vorne. Die Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich haben erstmals nachgewiesen, welche Konzerne die Weltwirtschaft dominieren und wie weit ihr Einfluss reicht. Am einflussreichsten wird die britische Barclays Bank bezeichnet.
5. heißt klassenorientierte Politik umgekehrt auch, keine sozialpartnerschaftliche Politik, kein Bündnis für Arbeit, keine gemeinsame nationalistische Standortpolitik für eine exportorientierte Wirtschaft gemeinsam mit dem Klassengegner machen, für die gewerkschaftliche Autonomie kämpfen. Im übrigen haben die Unternehmer die Sozialpartnerschaft längst aufgekündigt, wie etwa in dem Buch Betriebsratsrealitäten nachzulesen ist, eine von der GPA unterstützte und im ÖGB herausgegebenen Untersuchung.
Oder sie tun es, wie beispielsweise in einem großen Industriebetrieb. Dort soll die Belegschaft zu einem Schichtplan einschließlich des Samstags erpresst werden mit der Drohung, wenn Ihr das nicht abschließt, bauen wir hier in der Nähe ein Werk um die Stückzahl, die vom Kunden gewünscht wird, dort zu erbringen. Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik heißt Gegenmacht aufbauen, keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass sie in Opposition zu einer Umverteilungspolitik zugunsten der Reichen und des Kapitals steht.
6. Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik heißt den Kampf um Löhne und Einkommen, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen zu entwickeln, zu organisieren und zu führen, um daraus Widerstand und individuelles und kollektives Bewusstsein über die Ausbeutung zu entwickeln. Hört sich prima an, aber wie?
Verteidigung der Einkommen – und Kampf um höhere Einkommen. Brecht nennt es den organisierten Kampf um den Lohngroschen. Wir befinden uns in Verteidigungskämpfen. Klassenorientierten Gewerkschaftsarbeit verlangt realistische Analysen der gegenwärtigen Machtsituation um daraus erreichbare Kampfziele zu erarbeiten, aber auch die Ursachen für unsere Schwäche herauszuarbeiten. Dass einige in ihren Armlehnen sitzen, von Dividenden leben und immer höhere Gewinne machen und andere hackeln und schöpfen und gleichzeitig Reallohnverluste haben – diese Information auszugeben, nimmt uns keiner ab.
Ein Beispiel: 2,5 Mrd. Euro haben sich die Eigner im Metallbereich ausgeschüttet, aber 380 Mio für eine Lohnerhöhung um 5,5 Prozent wollten sie nicht zahlen, obwohl das nicht mal die Inflationsrate des kleinen Warenkorbs ausgeglichen hätte, die derzeit bei 7,1 Prozent liegt. Heute wurde gemeldet, dass die GIS Gebühren um sieben Prozent steigen werden. Die Arbeiterkammer Studie vom September kommt zu dem Schluss, dass die Einkommen real im letzten Jahr um 1,1 Prozent gesunken sind, innerhalb der letzten zehn Jahre sogar um 1,5 Prozent. Seit 1995 sind die Reallöhne um sechs Prozent gesunken, die des untersten Zehntels sogar um 31 Prozent.
Klar ist, dass klassenorientierte Gewerkschaftsarbeit die Vorbereitung für die Argumentation, die Organisierung und Durchführung dieses Kampfes anregt und unterstützt, z.B. die Vorbereitung der Forderung nach 5,5 Prozent und den Streik mit Pressemitteilungen, Flugblättern, Unterschriftensammlungen auf Papier und im Internet, also alles was zur Hebung des Bewusstsein beiträgt forciert. Sie unterstützt Aktionen, wie beim BAGS, die Forderung im öffentlichen Dienst nach 4,65 Prozent ebenso wie die Forderung der GPA im Handel.
Kampf gegen immer längere Arbeitszeit, bezahlte und unbezahlte Überstunden, All-In-Verträge. Allein im zweiten Quartal 2009 – also mitten in der Wirtschaftskrise – wurden in Österreich von rund 750.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 6,2 Millionen Überstunden pro Woche geleistet. Sie führen zu hoher Arbeitslosigkeit, Intensivierung der Arbeit, sind schleichende Ausbeutung. Das Ergebnis ist allen bekannt: Ermüdung, Erschöpfung, Resignation, Ausgelaugtheit. Burnout und Mobbing sind das sichtbare Ergebnis.
Argumentieren gegen die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Das sind sowohl verlängerte Durchrechnungszeiten als auch die organisierte Abwechslung von Kurzarbeit in der Krise mit geringeren Löhnen und staatlichen Lohnzuschüssen für die Industrielle und in der Folgeperiode Überstunden und Samstagsschichten. Klassenorientierte Gewerkschaftsarbeit heißt, einzutreten für Arbeitszeitverkürzung bei vollen Lohn- und Personalausgleich. Der ÖGB hat ausgerechnet, dass zehn Prozent Arbeitszeitverkürzung für 80.000 Arbeitslose Beschäftigung bedeuten würde. Auch der Kampf um bessere Rahmenbedingungen, wie z.B. Arbeitsschutz, der Schutz der KV Verträge, des Arbeitsrechts, wie es erkämpft wurde, der Widerstand gegen kollektivvertragliche Öffnungsklauseln gehört dazu.
7. Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik heißt Kümmerer sein um die sogenannten kleinen Probleme, wie z.B. den Urlaubstag, eine andere Arbeitsstelle, Probleme mit dem Vorgesetzten, das Teewasser, wie Brecht das nennt. Gegen Kündigungen vorgehen, gegen jede Kündigung, denn wir sind Anwälte unserer KollegInnen, nicht Mediatoren, heißt Sozial- und Rechtsberatung etc.
8. Kollektive Kampfkraft und Selbstbewusstsein entwickeln. Erfolge, Teilerfolge und Abwehrerfolge aufzeigen, Mut machen. Wenn, wie kürzlich bei Exit, gestreikt wird oder bei den Metallern, ist es notwendig, Mut zu machen für den Streik vorher und nachher, Teil- und Abwehrerfolge richtig einzuschätzen. Denn der überwiegende Teil der Medien haut gegen jede Aktion, schweigt sie tot oder hält sie für überflüssig, wenn sie im eigenen Land geschieht. Aktionen im Ausland dagegen werden häufiger gemeldet. Mit dieser ungleichen Vorgehenswiese, soll die Resignation gefördert werden. Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik muss den Kampf gegen die Resignation in der heutigen Medienlandschaft als Schwerpunkt sehen und best practice Beispiele sind zu verallgemeinern.
Der Solidargedanke muss entwickelt werden. Das heißt einerseits Aktionseinheit mit anderen Fraktionen anstreben wo möglich – ohne die eigene Position zu verleugnen, - auch bei Betriebsratslisten. Denn Unternehmer klatschen sich auf die Schenkel bei zersplitterten Belegschaften. Andererseits ist Bündnispolitik notwendig, wie das beispielsweise bei Exit mit den Studenten oder der Plattform25 gemeinsam mit dem ÖGB gelungen ist.
Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik ist auf keinen Fall Stellvertreter Politik. Selbstbewusstsein bei Einzelnen und in Kollektiven zu entwickeln ist eine hohe Kunst. Sie kann nicht einhergehen mit einer Schwerpunktsetzung juristischer Klagen. Das beinhaltet Gefahr der Atomisierung des Widerstands. Stattdessen müssen kollektive Lösungen versucht werden.
9. Internationale Arbeit, in Österreich, aber auch darüber hinaus sollte Selbstverständlichkeit sein.
10. Klassenorientierte Gewerkschaftsarbeit kann sich nicht nur aufs Kerngeschäft der Gewerkschaften konzentrieren wie betrieblich und überbetriebliche Interessenvertretung, Tarifpolitik und Rechtsvertretung. Das muss alles sein, aber schon in der Frühgeschichte der kapitalistischen Gesellschaft konstatierte Thomas Morus im 16. Jahrhundert: „Wenn ich daher alle unsere Staaten, die heute irgendwo in Blüte stehen, im Geiste betrachte, und darüber nachsinne, so stoße ich auf nichts anderes, so wahr mir Gott helfe, als auf eine Art Verschwörung der Reichen, die den Namen und Rechtstitel des Staates missbrauchen, um für ihren eigenen Vorteil zu sorgen. Sie sinnen und hecken sich alle möglichen Methoden und Kunstgriffe aus, zunächst um ihren Besitz, den sie mit verwerflichen Mitteln zusammengerafft haben, ohne Verlustgefahr festzuhalten, sodann um die Mühe und Arbeit der Armen so billig als möglich sich zu erkaufen und zu missbrauchen. Haben die Reichen erst einmal im Namen des Staates, das heißt also auch der Armen, den Beschluss gefasst, ihre Machenschaften durchzuführen, so erhalten diese sogleich Gesetzeskraft.“
Klassenorientiert Gewerkschaftspolitik heißt Analysen, Argumente, und wo möglich Kampf und Kraft gegen die Ausbeutung des Staates, die Politik des Sozialabbaus, der Massenarbeitslosigkeit, Prekarisierung, Privatisierung und Steuerumverteilung zugunsten der Vermögenden und stattdessen eine Gesundheits-, Bildungs-, Pensions-, Wohnpolitik im Interesse der Mehrheit fordern. Eintreten für ein Investitions- und Wachstumsprogramm wie es derzeit gerade die Dänische Regierung plant, für tatsächliche Wirtschaftsdemokratie mit Mitentscheidungen in Unternehmen, die Sozialisierung von Schlüsselindustrien wie z. B. Banken, Versicherungen, Energie, Telekommunikation unter der demokratischen Kontrolle von Gewerkschaftern, Sozialen Bündnissen und Gemeinderäten vor Ort. Für eine Friedenspolitik mit Aufrechterhaltung der Neutralität und gegen die Aufstellung und Aussendung von battle groups. Erhalt und Ausbau gelebter Demokratie sollte ebenso auf der Tagesordnung stehen. Wir erleben durch die Frankfurter Runde den Abbau der bürgerlichen Demokratie in der EU. Gewählte Regierungen werden abgesetzt, die Handlungsprogramme, der Sozialabbau wird ihnen vorgeschrieben. Wir erleben die Institutionalisierung des autoritären bürgerlichen Staates. In Österreich wird im vorauseilenden Gehorsam gerade die sogenannte Schuldenbremse installiert. Sie dient zu nichts anderem als erkämpften Errungenschaften des Sozialstaates mit der Abrissbirne zu zerstören. Bund, Ländern und Gemeinden stehen durch Struktur- und Verwaltungsreform drastischer Personalabbau bevor. Hinter Diktaten, wie sie von der Frankfurter Runde befohlen werden, steht die Fraktion des Industrie- und Finanzkapitals, im besonderen die Deutsche Bank. Über das Instrument EU mit dem Euro Plus Pakt sollen u.a. Tarifauseinandersetzungen nicht mehr möglich sein, sondern Lohnerhöhungen nach den Wirtschaftsdaten vorgegeben werden.
Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik darf keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass sie sich in Opposition zur Umverteilungspolitik zugunsten der Reichen und des Kapitals steht. Sie muss die Systemfrage stellen, wenn Menschen nach Antworten suchen, in diesem System aber keine Lösungen für ihre Probleme finden.
11. Rechte verhindern. Die politischen Kräfte- und Machtverhältnisse in Europa haben sich nach Rechts verschoben. Die Menschen haben genug von der Privilegienwirtschaft vieler Politiker. Der Ruf nach einem, der es für die da unten richtet ist bereits zu hören. Dagegen muss klassenorientierte Gewerkschaftspolitik angehen, unter anderem indem sie die Privilegien von FP Politikern offen legt. Der FP-Ehrenvorsitzende in Graz Alexander Götz kassiert Pensionen in Höhe von 13.000 Euro klagte gegen die Stadt, weil es 7000 Euro zu wenig waren. In Heft 5/2011 der „Marxistischen Blätter“ sind weitere Beispiele aufgezählt.
12. Natürlich ist klassenorientierte Gewerkschaftsarbeit nur innerhalb der Gewerkschaften möglich, in ihren Gremien, im Betrieb, der Jugendarbeit oder bei den Pensionisten. Dort kann die fortschrittliche Politik kommuniziert werden, persönlich, mit Flugblättern, Anträgen, Artikeln wo möglich, in Betriebsversammlungen, Seminaren, Konferenzen oder bei gewerkschaftlichen Aktionen. Dort müssen wir kollektiv arbeiten – uns nicht in Fraktionen zerstreiten – wohl um klassenorientierte Positionen kämpfen, für mehr Beteiligung und gelebte Demokratie in der Gewerkschaft eintreten – trotzdem aber andere Positionen respektieren.
13. Den Kampf um die Köpfe, die wertvollen Köpfe gegen die neoliberale Hegemonie, können wir nicht den anderen überlassen. Brecht sagt: Er fragt die Ansichten, wem nützt Ihr? Wir müssen der täglichen betriebswirtschaftlichen Gehirnwäsche, der wir alle ausgesetzt sind, unsere Argumente entgegensetzen. Wem nützt die Schuldenbremse, das spätere Pensionsantrittsalter, die Studiengebühren, die schleichend zunehmende Ausbeutung? Die Werteschöpfer haben Würde und verdienen Wertschätzung. Der Streik der Metaller kam auch zustande, weil die Menschen angefressen waren von der täglichen Hetze und Demütigung. Sie fanden es gut, dass etwas passierte, dass den Industriellen eine Grenze aufgezeigt wurde.
14. Warum sind wir schwach: Wir befinden uns in der schwierigsten Situation, die die Arbeiterbewegung je hatte. Von 1917 bis 1989 war die Alternative zu diesem inhumanen kapitalistischen System zu sehen. Sie war nicht immer 100prozentig gut, aber in sozialen Fragen durchaus ein Vorbild: kostenlose Bildung, Gesundheit, Alterssicherung für alle, keine Arbeitslosigkeit. Vor 1917 gab es die Hoffnung auf die Alternative. 1989 wurde uns diese Alternative brutal diskreditiert, das schwächte nicht nur die kommunistische Bewegung, das schwächte alle Parteien und Organisationen der Arbeiterbewegung. Die müssen wir heute wieder neu stärke. Die Jungen schreckt das nicht so, sie sind so jung, dass sie den Hauptangriff der Diskreditierung nicht mehr erlebt haben. Gemeinsam mit ihnen können wir Aufklären, Aktionen organisieren, Mut machen und gegen die Resignation ankämpfen. Es gibt einige Länder, in denen uns das vorgemacht wird.
Ich habe mit Brecht begonnen und ich möchte mit Brecht schließen:
Unsere Feinde sagen
Unsere Feinde sagen: Der Kampf ist zu Ende.
Wir sagen: Er hat angefangen.
Unsere Feinde sagen: Die Wahrheit ist vernichtet.
Aber wir sagen: Wir wissen sie noch.
Unsere Feinde sagen: Auch wenn die Wahrheit noch gewusst wird
Kann sie nicht mehr verbreitet werden.
Aber wir verbreiten sie.
Es ist der Vorabend der Schlacht.
Es ist das Schmieden unserer Kader.
Es ist das Studium des Kampfplans.
Es ist der Tag vor dem Fall
unserer Feinde.
Referat im Rahmen der Veranstaltung „Klassenkampf und Interessenpolitik“ der Alfred Klahr Gesellschaft am 16. November 2011 in Wien.
Ich möchte mit Bertolt Brecht beginnen:
Lob des Revolutionärs
Viele sind zuviel
Wenn sie fort sind, ist es besser.
Aber wenn er fort ist, fehlt er. Er organisiert seinen Kampf
Um den Lohngroschen,
Um das Teewasser
Und um die Macht im Staat.
Er fragt das Eigentum:
Woher kommst du?
Er fragt die Ansichten:
Wem nützt ihr?
Wo immer geschwiegen wird
Dort wird er sprechen
Und wo Unterdrückung herrscht
und von Schicksal die Rede ist
Wird er die Namen nennen.
Wo er sich zu Tisch setzt
Setzt sich die Unzufriedenheit zu Tisch
Das Essen wird schlecht
Und als eng wird erkannt die Kammer.
Wohin sie ihn jagen, dorthin
Geht der Aufruhr, und wo er verjagt ist
Bleibt die Unruhe doch.
Mit diesem Gedicht beantwortete Brecht schon vor Jahrzehnten, was klassenorientierte Gewerkschaftspolitik heute ist:
1. dass sich die Gewerkschaft und ihre Mitglieder in ihren Kämpfen, Auseinandersetzungen und ihrer Arbeit radikal an der Klasse orientiert, die die Werte schafft. Oder in moderner Sprechweise ausgedrückt: dass Gewerkschaftspolitik eindeutig Partei ergreifen muss für die Interessen der abhängig Beschäftigten im weitesten Sinne – also auch für Interessen derjenigen, die mit freiem Dienstvertrag, Werkvertrag, Gewerbeschein ohne Mitarbeiter arbeiten müssen oder sich in anderen prekären Beschäftigungssituation befinden – ihre Familien und die Pensionisten aus diesen Kreisen. Erst gestern wurde der Pensionsbetrag nur um 2,7 Prozent erhöht, die Inflationsrate aber liegt bei 3,4 Prozent.
Schon im Kommunistisches Manifest aus 1848 ist zu lesen: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Und Warren Buffet, Eigentümer von 80 Mrd. Dollar, sagte 2003: „Wenn Klassenkampf in Amerika geführt wird, gewinnt meine Klasse.“
2. Muss klassenorientierte Gewerkschaftspolitik deutlich machen, wer den Mehrwert erarbeitet und wer ihn sich aneignet, also die gesellschaftliche Produktion des Mehrwerts und seine private Aneignung, und dass dies verbunden ist mit den privaten Eigentumsverhältnissen an den Produktionsmitteln, Grund, Boden, teilweise Wasser. Brecht dazu: „Er fragt das Eigentum, woher kommst Du?“ Entsprechend haben auch Karl Marx und Friedrich Engels an die Kommunisten formuliert: "In all diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, (...) als die Grundfrage der Bewegung hervor." Das heißt, klassenorientierte Gewerkschaftspolitik muss Bewusstsein schaffen für die Ausbeutung, die Entstehung und die private Aneignung des Mehrwerts. Das hört sich leicht an – aber ist, wie wir alle wissen – äußerst schwer getan
3. Muss klassenorientierte Gewerkschaftsarbeit dazu beitragen den Hauptgegner zu erkennen, ihn benennen, mit Namen und Adresse sowohl im Land als auch international: In Österreich beispielsweise die Fam. Piech-Porsche, deren Vermögen 33,8 Mrd. Euro beträgt. Zur Größenordnung: Die Einnahmen des österreichischen Haushalts 2012 belaufen sich auf 64,4 Mrd. Eine Familie besitzt die Hälfte eines Jahreshaushalts des ganzen Landes. Eine zweite Zahl: Siegfried Wolf, ehemals Magna, erhielt ein Jahreseinkommen von 10,8 Millionen Euro, oder umfassender gesagt: Ein Manager erhält das 42fache eines Facharbeiters – da rede ich noch nicht von den prekär Beschäftigten. Im kleinen Österreich gibt es 74 000 Millionäre. Ihnen gehören 230 Mrd. Euro Vermögen.
Ich halte es für wichtig, solche Zahlen präsent zu haben, um der Aussagen des überwiegenden Teils der Medien - also der veröffentlichten Meinung – entgegen treten zu können, die wirklich Reichen seien außerhalb dieses Landes. Scheinbar unsichtbare Spekulanten und Finanzhaie auf den Cayman Inseln oder anderen Offshore-Zentren, wo sie eine Trillion Dollar, Steuer schonend und Steuer vernichtend, anlegen. Das stimmt zwar auch, aber die Reichen und Herrschenden gibt es eben auch in Österreich mit Namen und Adresse.
Ein Beispiel: Mit einem Kurs von 7,37 Euro kaufte Erste-Boss Andreas Treichl am 2. März 2009 25.000 Aktien der eigenen Bank und verkaufte sie am 4.11.2010 zum Kurs von 33,55 Euro. Macht einen Gewinn von 654.000 Euro, zusätzlich zu einem Bonus von 1,2 Millionen für 2010. Wegen Insiderinformation wird gegen ihn ermittelt. Und so muss der/die klassenorientierte Gewerkschafter/in eben in allen privaten und öffentlichen Unternehmen und Vereinen schauen, wie hoch die Gewinne sind und die Verdienste von Vorständen und GeschäftsführerInnen, soweit man da ran kommt.
Für die Bewusstseinsbildung vor Ort im Betrieb ist das ein nicht zu unterschätzende Faktor. Denn oft begegnet uns die Meinung, ja, die Diktatur der Finanzmärkte ist ganz schlimm, aber unser Chef oder unsere österreichischen Reichen sind gar nicht so schlimm. Ich möchte da gedanklich eine Parallele zum Faschismus ziehen in dem auch die sogenannten reichen Juden angeprangert wurden, also gab es auch damals angeblich gute und böse Reiche.
Den Reichtum vor der Haustür anprangern. Denn die Finanzblase konnte ja nur entstehen, weil uns Löhne und Gehälter abgesenkt wurden, die Produktivitätsgewinne von den Besitzern abgeschöpft, aber nicht mehr in die Realwirtschaft reinvestiert wurden, weil dort kein Profit durch absinkende Kaufkraft in Aussicht war bzw. der tendenzielle Fall der Profitrate das nicht mehr lukrativ werden ließ. So wurde das Geld denen vorenthalten, denen es eigentlich gehören müsste, da sie den Mehrwert erarbeitet haben, und stattdessen in Finanzprodukte investiert.
4. muss natürlich auch global die Kapitalistenklasse insgesamt als Hauptgegner identifiziert werden. Eine Schweizer Studie kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich 147 Konzerne die Weltwirtschaft kontrollieren (http://extranet.igmetall.de/cps/rde/xbcr/SID-EC37ED5C-F6609859/extranet/artikel_0179325.pdf). Besonders Banken und Rentenfonds stehen mit ihrem Einfluss ganz weit vorne. Die Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich haben erstmals nachgewiesen, welche Konzerne die Weltwirtschaft dominieren und wie weit ihr Einfluss reicht. Am einflussreichsten wird die britische Barclays Bank bezeichnet.
5. heißt klassenorientierte Politik umgekehrt auch, keine sozialpartnerschaftliche Politik, kein Bündnis für Arbeit, keine gemeinsame nationalistische Standortpolitik für eine exportorientierte Wirtschaft gemeinsam mit dem Klassengegner machen, für die gewerkschaftliche Autonomie kämpfen. Im übrigen haben die Unternehmer die Sozialpartnerschaft längst aufgekündigt, wie etwa in dem Buch Betriebsratsrealitäten nachzulesen ist, eine von der GPA unterstützte und im ÖGB herausgegebenen Untersuchung.
Oder sie tun es, wie beispielsweise in einem großen Industriebetrieb. Dort soll die Belegschaft zu einem Schichtplan einschließlich des Samstags erpresst werden mit der Drohung, wenn Ihr das nicht abschließt, bauen wir hier in der Nähe ein Werk um die Stückzahl, die vom Kunden gewünscht wird, dort zu erbringen. Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik heißt Gegenmacht aufbauen, keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass sie in Opposition zu einer Umverteilungspolitik zugunsten der Reichen und des Kapitals steht.
6. Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik heißt den Kampf um Löhne und Einkommen, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen zu entwickeln, zu organisieren und zu führen, um daraus Widerstand und individuelles und kollektives Bewusstsein über die Ausbeutung zu entwickeln. Hört sich prima an, aber wie?
Verteidigung der Einkommen – und Kampf um höhere Einkommen. Brecht nennt es den organisierten Kampf um den Lohngroschen. Wir befinden uns in Verteidigungskämpfen. Klassenorientierten Gewerkschaftsarbeit verlangt realistische Analysen der gegenwärtigen Machtsituation um daraus erreichbare Kampfziele zu erarbeiten, aber auch die Ursachen für unsere Schwäche herauszuarbeiten. Dass einige in ihren Armlehnen sitzen, von Dividenden leben und immer höhere Gewinne machen und andere hackeln und schöpfen und gleichzeitig Reallohnverluste haben – diese Information auszugeben, nimmt uns keiner ab.
Ein Beispiel: 2,5 Mrd. Euro haben sich die Eigner im Metallbereich ausgeschüttet, aber 380 Mio für eine Lohnerhöhung um 5,5 Prozent wollten sie nicht zahlen, obwohl das nicht mal die Inflationsrate des kleinen Warenkorbs ausgeglichen hätte, die derzeit bei 7,1 Prozent liegt. Heute wurde gemeldet, dass die GIS Gebühren um sieben Prozent steigen werden. Die Arbeiterkammer Studie vom September kommt zu dem Schluss, dass die Einkommen real im letzten Jahr um 1,1 Prozent gesunken sind, innerhalb der letzten zehn Jahre sogar um 1,5 Prozent. Seit 1995 sind die Reallöhne um sechs Prozent gesunken, die des untersten Zehntels sogar um 31 Prozent.
Klar ist, dass klassenorientierte Gewerkschaftsarbeit die Vorbereitung für die Argumentation, die Organisierung und Durchführung dieses Kampfes anregt und unterstützt, z.B. die Vorbereitung der Forderung nach 5,5 Prozent und den Streik mit Pressemitteilungen, Flugblättern, Unterschriftensammlungen auf Papier und im Internet, also alles was zur Hebung des Bewusstsein beiträgt forciert. Sie unterstützt Aktionen, wie beim BAGS, die Forderung im öffentlichen Dienst nach 4,65 Prozent ebenso wie die Forderung der GPA im Handel.
Kampf gegen immer längere Arbeitszeit, bezahlte und unbezahlte Überstunden, All-In-Verträge. Allein im zweiten Quartal 2009 – also mitten in der Wirtschaftskrise – wurden in Österreich von rund 750.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 6,2 Millionen Überstunden pro Woche geleistet. Sie führen zu hoher Arbeitslosigkeit, Intensivierung der Arbeit, sind schleichende Ausbeutung. Das Ergebnis ist allen bekannt: Ermüdung, Erschöpfung, Resignation, Ausgelaugtheit. Burnout und Mobbing sind das sichtbare Ergebnis.
Argumentieren gegen die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Das sind sowohl verlängerte Durchrechnungszeiten als auch die organisierte Abwechslung von Kurzarbeit in der Krise mit geringeren Löhnen und staatlichen Lohnzuschüssen für die Industrielle und in der Folgeperiode Überstunden und Samstagsschichten. Klassenorientierte Gewerkschaftsarbeit heißt, einzutreten für Arbeitszeitverkürzung bei vollen Lohn- und Personalausgleich. Der ÖGB hat ausgerechnet, dass zehn Prozent Arbeitszeitverkürzung für 80.000 Arbeitslose Beschäftigung bedeuten würde. Auch der Kampf um bessere Rahmenbedingungen, wie z.B. Arbeitsschutz, der Schutz der KV Verträge, des Arbeitsrechts, wie es erkämpft wurde, der Widerstand gegen kollektivvertragliche Öffnungsklauseln gehört dazu.
7. Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik heißt Kümmerer sein um die sogenannten kleinen Probleme, wie z.B. den Urlaubstag, eine andere Arbeitsstelle, Probleme mit dem Vorgesetzten, das Teewasser, wie Brecht das nennt. Gegen Kündigungen vorgehen, gegen jede Kündigung, denn wir sind Anwälte unserer KollegInnen, nicht Mediatoren, heißt Sozial- und Rechtsberatung etc.
8. Kollektive Kampfkraft und Selbstbewusstsein entwickeln. Erfolge, Teilerfolge und Abwehrerfolge aufzeigen, Mut machen. Wenn, wie kürzlich bei Exit, gestreikt wird oder bei den Metallern, ist es notwendig, Mut zu machen für den Streik vorher und nachher, Teil- und Abwehrerfolge richtig einzuschätzen. Denn der überwiegende Teil der Medien haut gegen jede Aktion, schweigt sie tot oder hält sie für überflüssig, wenn sie im eigenen Land geschieht. Aktionen im Ausland dagegen werden häufiger gemeldet. Mit dieser ungleichen Vorgehenswiese, soll die Resignation gefördert werden. Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik muss den Kampf gegen die Resignation in der heutigen Medienlandschaft als Schwerpunkt sehen und best practice Beispiele sind zu verallgemeinern.
Der Solidargedanke muss entwickelt werden. Das heißt einerseits Aktionseinheit mit anderen Fraktionen anstreben wo möglich – ohne die eigene Position zu verleugnen, - auch bei Betriebsratslisten. Denn Unternehmer klatschen sich auf die Schenkel bei zersplitterten Belegschaften. Andererseits ist Bündnispolitik notwendig, wie das beispielsweise bei Exit mit den Studenten oder der Plattform25 gemeinsam mit dem ÖGB gelungen ist.
Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik ist auf keinen Fall Stellvertreter Politik. Selbstbewusstsein bei Einzelnen und in Kollektiven zu entwickeln ist eine hohe Kunst. Sie kann nicht einhergehen mit einer Schwerpunktsetzung juristischer Klagen. Das beinhaltet Gefahr der Atomisierung des Widerstands. Stattdessen müssen kollektive Lösungen versucht werden.
9. Internationale Arbeit, in Österreich, aber auch darüber hinaus sollte Selbstverständlichkeit sein.
10. Klassenorientierte Gewerkschaftsarbeit kann sich nicht nur aufs Kerngeschäft der Gewerkschaften konzentrieren wie betrieblich und überbetriebliche Interessenvertretung, Tarifpolitik und Rechtsvertretung. Das muss alles sein, aber schon in der Frühgeschichte der kapitalistischen Gesellschaft konstatierte Thomas Morus im 16. Jahrhundert: „Wenn ich daher alle unsere Staaten, die heute irgendwo in Blüte stehen, im Geiste betrachte, und darüber nachsinne, so stoße ich auf nichts anderes, so wahr mir Gott helfe, als auf eine Art Verschwörung der Reichen, die den Namen und Rechtstitel des Staates missbrauchen, um für ihren eigenen Vorteil zu sorgen. Sie sinnen und hecken sich alle möglichen Methoden und Kunstgriffe aus, zunächst um ihren Besitz, den sie mit verwerflichen Mitteln zusammengerafft haben, ohne Verlustgefahr festzuhalten, sodann um die Mühe und Arbeit der Armen so billig als möglich sich zu erkaufen und zu missbrauchen. Haben die Reichen erst einmal im Namen des Staates, das heißt also auch der Armen, den Beschluss gefasst, ihre Machenschaften durchzuführen, so erhalten diese sogleich Gesetzeskraft.“
Klassenorientiert Gewerkschaftspolitik heißt Analysen, Argumente, und wo möglich Kampf und Kraft gegen die Ausbeutung des Staates, die Politik des Sozialabbaus, der Massenarbeitslosigkeit, Prekarisierung, Privatisierung und Steuerumverteilung zugunsten der Vermögenden und stattdessen eine Gesundheits-, Bildungs-, Pensions-, Wohnpolitik im Interesse der Mehrheit fordern. Eintreten für ein Investitions- und Wachstumsprogramm wie es derzeit gerade die Dänische Regierung plant, für tatsächliche Wirtschaftsdemokratie mit Mitentscheidungen in Unternehmen, die Sozialisierung von Schlüsselindustrien wie z. B. Banken, Versicherungen, Energie, Telekommunikation unter der demokratischen Kontrolle von Gewerkschaftern, Sozialen Bündnissen und Gemeinderäten vor Ort. Für eine Friedenspolitik mit Aufrechterhaltung der Neutralität und gegen die Aufstellung und Aussendung von battle groups. Erhalt und Ausbau gelebter Demokratie sollte ebenso auf der Tagesordnung stehen. Wir erleben durch die Frankfurter Runde den Abbau der bürgerlichen Demokratie in der EU. Gewählte Regierungen werden abgesetzt, die Handlungsprogramme, der Sozialabbau wird ihnen vorgeschrieben. Wir erleben die Institutionalisierung des autoritären bürgerlichen Staates. In Österreich wird im vorauseilenden Gehorsam gerade die sogenannte Schuldenbremse installiert. Sie dient zu nichts anderem als erkämpften Errungenschaften des Sozialstaates mit der Abrissbirne zu zerstören. Bund, Ländern und Gemeinden stehen durch Struktur- und Verwaltungsreform drastischer Personalabbau bevor. Hinter Diktaten, wie sie von der Frankfurter Runde befohlen werden, steht die Fraktion des Industrie- und Finanzkapitals, im besonderen die Deutsche Bank. Über das Instrument EU mit dem Euro Plus Pakt sollen u.a. Tarifauseinandersetzungen nicht mehr möglich sein, sondern Lohnerhöhungen nach den Wirtschaftsdaten vorgegeben werden.
Klassenorientierte Gewerkschaftspolitik darf keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass sie sich in Opposition zur Umverteilungspolitik zugunsten der Reichen und des Kapitals steht. Sie muss die Systemfrage stellen, wenn Menschen nach Antworten suchen, in diesem System aber keine Lösungen für ihre Probleme finden.
11. Rechte verhindern. Die politischen Kräfte- und Machtverhältnisse in Europa haben sich nach Rechts verschoben. Die Menschen haben genug von der Privilegienwirtschaft vieler Politiker. Der Ruf nach einem, der es für die da unten richtet ist bereits zu hören. Dagegen muss klassenorientierte Gewerkschaftspolitik angehen, unter anderem indem sie die Privilegien von FP Politikern offen legt. Der FP-Ehrenvorsitzende in Graz Alexander Götz kassiert Pensionen in Höhe von 13.000 Euro klagte gegen die Stadt, weil es 7000 Euro zu wenig waren. In Heft 5/2011 der „Marxistischen Blätter“ sind weitere Beispiele aufgezählt.
12. Natürlich ist klassenorientierte Gewerkschaftsarbeit nur innerhalb der Gewerkschaften möglich, in ihren Gremien, im Betrieb, der Jugendarbeit oder bei den Pensionisten. Dort kann die fortschrittliche Politik kommuniziert werden, persönlich, mit Flugblättern, Anträgen, Artikeln wo möglich, in Betriebsversammlungen, Seminaren, Konferenzen oder bei gewerkschaftlichen Aktionen. Dort müssen wir kollektiv arbeiten – uns nicht in Fraktionen zerstreiten – wohl um klassenorientierte Positionen kämpfen, für mehr Beteiligung und gelebte Demokratie in der Gewerkschaft eintreten – trotzdem aber andere Positionen respektieren.
13. Den Kampf um die Köpfe, die wertvollen Köpfe gegen die neoliberale Hegemonie, können wir nicht den anderen überlassen. Brecht sagt: Er fragt die Ansichten, wem nützt Ihr? Wir müssen der täglichen betriebswirtschaftlichen Gehirnwäsche, der wir alle ausgesetzt sind, unsere Argumente entgegensetzen. Wem nützt die Schuldenbremse, das spätere Pensionsantrittsalter, die Studiengebühren, die schleichend zunehmende Ausbeutung? Die Werteschöpfer haben Würde und verdienen Wertschätzung. Der Streik der Metaller kam auch zustande, weil die Menschen angefressen waren von der täglichen Hetze und Demütigung. Sie fanden es gut, dass etwas passierte, dass den Industriellen eine Grenze aufgezeigt wurde.
14. Warum sind wir schwach: Wir befinden uns in der schwierigsten Situation, die die Arbeiterbewegung je hatte. Von 1917 bis 1989 war die Alternative zu diesem inhumanen kapitalistischen System zu sehen. Sie war nicht immer 100prozentig gut, aber in sozialen Fragen durchaus ein Vorbild: kostenlose Bildung, Gesundheit, Alterssicherung für alle, keine Arbeitslosigkeit. Vor 1917 gab es die Hoffnung auf die Alternative. 1989 wurde uns diese Alternative brutal diskreditiert, das schwächte nicht nur die kommunistische Bewegung, das schwächte alle Parteien und Organisationen der Arbeiterbewegung. Die müssen wir heute wieder neu stärke. Die Jungen schreckt das nicht so, sie sind so jung, dass sie den Hauptangriff der Diskreditierung nicht mehr erlebt haben. Gemeinsam mit ihnen können wir Aufklären, Aktionen organisieren, Mut machen und gegen die Resignation ankämpfen. Es gibt einige Länder, in denen uns das vorgemacht wird.
Ich habe mit Brecht begonnen und ich möchte mit Brecht schließen:
Unsere Feinde sagen
Unsere Feinde sagen: Der Kampf ist zu Ende.
Wir sagen: Er hat angefangen.
Unsere Feinde sagen: Die Wahrheit ist vernichtet.
Aber wir sagen: Wir wissen sie noch.
Unsere Feinde sagen: Auch wenn die Wahrheit noch gewusst wird
Kann sie nicht mehr verbreitet werden.
Aber wir verbreiten sie.
Es ist der Vorabend der Schlacht.
Es ist das Schmieden unserer Kader.
Es ist das Studium des Kampfplans.
Es ist der Tag vor dem Fall
unserer Feinde.
Referat im Rahmen der Veranstaltung „Klassenkampf und Interessenpolitik“ der Alfred Klahr Gesellschaft am 16. November 2011 in Wien.